Studie des Dezernat Zukunft: Reform der Einkommensteuer – Entlastung der Mittelschicht im Fokus
Die Einkommensteuerreform ist eines der zentralen Themen des Bundestagswahlkampfs 2025. Vor allem die Mittelschicht leidet unter der starken Belastung durch das aktuelle Steuersystem, das wegen des schnellen Anstiegs der Steuerlast in mittleren Einkommensbereichen oft als „Mittelstandsbauch“ bezeichnet wird. Trotz jahrelanger Diskussionen blieb eine grundlegende Reform bisher aus. Das Policy Paper „Reform der Einkommensteuer – Vorschläge aus den Wahlprogrammen, ihre Kosten und Wachstumseffekte“ von Leonard Mühlenweg und Florian Schuster-Johnson, herausgegeben von Dezernat Zukunft e.V., nimmt die Steuerpläne der Parteien genau unter die Lupe. Die Studie analysiert, wie die Reformen gestaltet sein könnten, welche Kosten sie verursachen und welche wirtschaftlichen Effekte sie entfalten könnten.
Belastung der Mittelschicht und Reformbedarf
Wie die Autoren der Studie darlegen, wird die deutsche Mittelschicht durch das Einkommensteuersystem überproportional stark belastet. Besonders problematisch ist der sogenannte „Mittelstandsbauch“ – der steile Anstieg der Steuerlast in den unteren und mittleren Progressionszonen. Während hohe Einkommen ab einem bestimmten Punkt nur noch moderat besteuert werden, trifft der Anstieg des Grenzsteuersatzes mittlere Einkommen besonders hart.
Obwohl fast alle Parteien im Bundestagswahlkampf 2025 die Entlastung der Mittelschicht zu einem zentralen Thema gemacht haben, standen Steuerreformen bisher vor zwei grundlegenden Herausforderungen:
- Unklare Zielgruppen: Unterschiedliche Parteien definieren die „Mitte“ unterschiedlich. Soll die Entlastung für alle mittleren und unteren Einkommen gelten, oder lediglich für spezifische Einkommensgruppen?
- Finanzierungsproblematik: Jede Steuerentlastung führt zunächst zu Einnahmeverlusten für den Staat. Eine Gegenfinanzierung, etwa durch höhere Steuern für Spitzenverdiener, stößt oft auf politische Widerstände. Zusätzlich limitiert die Schuldenbremse die Möglichkeiten, kurzfristige Einnahmeausfälle durch Kredite auszugleichen.
Die Reformvorschläge im Detail
Das Policy Paper von Dezernat Zukunft e.V. analysiert die Einkommensteuerpläne der großen Parteien – SPD, Grüne, CDU und FDP. Dabei werden die geplanten Maßnahmen, ihre Kosten und ihre Zielgruppen verglichen:
SPD: Maßvolle Entlastung für breite Bevölkerungsschichten
Die SPD zielt darauf ab, die unteren 95 Prozent der Einkommensverteilung zu entlasten und die oberen fünf Prozent stärker zu belasten.
- Maßnahmen: Verschiebung der Einkommensgrenzen, bei denen höhere Steuersätze gelten, und eine Verlängerung der Progressionszone.
- Kosten: Die Maßnahmen würden den Staat rund 13 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
- Effekt: Besonders mittlere Einkommen profitieren. Ein Jahreseinkommen von 27.000 Euro würde um etwa 380 Euro jährlich entlastet.
Bündnis90/Die Grünen: Schwerpunkt auf niedrige Einkommen
Die Grünen möchten vor allem die unteren Einkommen entlasten, indem der steuerfreie Grundfreibetrag um 2.000 Euro erhöht wird. Zusätzlich soll der Solidaritätszuschlag in den Einkommensteuertarif integriert werden.
- Kosten: Die Reform würde etwa 16 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
- Effekt: Besonders Menschen mit niedrigen Einkommen profitieren. Wer ein steuerpflichtiges Einkommen von etwa 14.000 Euro hat, könnte rund 2,3 Prozent weniger Steuern zahlen.
CDU: Starke Entlastung für mittlere und hohe Einkommen
Die CDU legt den Fokus auf die Entlastung von mittleren und hohen Einkommen. Der Spitzensteuersatz soll später greifen, und der Solidaritätszuschlag soll vollständig abgeschafft werden.
- Kosten: Die Maßnahmen würden rund 40 Milliarden Euro jährlich kosten.
- Effekt: Besonders hohe Einkommen profitieren. Ein Einkommen von 90.000 Euro könnte um etwa 2.500 Euro jährlich entlastet werden, während ein Einkommen von 15.000 Euro nur etwa 33 Euro spart.
FDP: Maximale Entlastung – vor allem für Spitzenverdiener
Die FDP schlägt die umfangreichsten Reformen vor. Der Spitzensteuersatz soll später greifen, die Progressionszonen abgeflacht und der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden.
- Kosten: Mit 112 Milliarden Euro jährlich ist dies die teuerste Reformvariante.
- Effekt: Die Entlastung fällt besonders für hohe Einkommen signifikant aus. Ein steuerpflichtiges Einkommen von 90.000 Euro würde um etwa 7.000 Euro entlastet, während ein Einkommen von 15.000 Euro nur marginal entlastet wird.
Kosten und Gegenfinanzierung
Laut dem Policy Paper verursachen alle Reformvorschläge Mindereinnahmen für den Staat. Diese sogenannten „Erstrundenkosten“ betragen zwischen 13 Milliarden Euro (SPD) und 112 Milliarden Euro (FDP) jährlich. Die Autoren heben hervor, dass eine vollständige Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen bei den höchsten Einkommen kaum möglich ist. Gleichzeitig profitieren auch Spitzenverdiener von Maßnahmen wie der Erhöhung des Grundfreibetrags, sodass eine zielgenaue Entlastung schwierig bleibt.
Wachstumseffekte und Finanzierungslücken
Ein wichtiger Aspekt der Studie ist die Analyse der möglichen Wachstumsimpulse durch Steuerreformen. Steuerentlastungen können das Wirtschaftswachstum ankurbeln, indem sie den Konsum fördern, Investitionen stimulieren und das Arbeitsangebot erhöhen. Studien zeigen, dass Steuerreduktionen langfristig zu einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) führen können – im Durchschnitt um etwa zwei Prozent.
Allerdings treten diese Wachstumseffekte erst mit Verzögerung ein. In den ersten Jahren nach einer Reform bleibt die Finanzierungslücke groß, was die Umsetzung im Rahmen der Schuldenbremse erschwert.
Die Schuldenbremse als Reformhindernis
Die Autoren des Policy Papers betonen, dass die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form eine zentrale Hürde für die Umsetzung von Steuerreformen darstellt. Da sie kurzfristige Kreditaufnahmen verhindert, zwingt sie den Staat, Einnahmeverluste sofort durch Einsparungen oder Steuererhöhungen auszugleichen. Dies erschwert eine Reform, selbst wenn sie langfristig Wachstum und höhere Steuereinnahmen fördern könnte.
Die Studie schlägt vor, die Schuldenbremse so anzupassen, dass produktive Verschuldung – etwa zur Finanzierung von Steuerreformen mit positiven Wirtschaftseffekten – ermöglicht wird.
Steuerentlastung für die Mittelschicht bleibt politisch schwierig
Die Studie des Dezernat Zukunft e.V. zeigt, dass eine Entlastung der Mittelschicht wirtschaftlich sinnvoll und politisch dringend notwendig ist. Während SPD und Grüne auf moderate Entlastungen für mittlere und niedrige Einkommen setzen, legen CDU und FDP den Schwerpunkt auf die Entlastung hoher Einkommen.
Die Finanzierung der Reformen bleibt jedoch das zentrale Problem. Politische Kompromisse, insbesondere zur Reform der Schuldenbremse, könnten den nötigen Spielraum schaffen, um die Steuerlast gerechter zu verteilen und langfristig das Wirtschaftswachstum zu fördern.
Das Policy Paper „Reform der Einkommensteuer – Vorschläge aus den Wahlprogrammen, ihre Kosten und Wachstumseffekte“ von Leonard Mühlenweg und Florian Schuster-Johnson
veröffentlicht durch:
Dezernat Zukunft e.V.
Chausseestraße 111, 10115 Berlin
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