Die Europäische Zentralbank hatte am 15. Dezember keine Wahl: Wenn die Teuerung in Europa durchschnittlich fünfmal so hoch ist wie es das EZB-Ziel vorschreibt, bleibt nur die geldpolitische Straffung. Somit haben Europas Währungshüter den Leitzins um 0,50 Prozentpunkte angehoben.
Ein Marktkommentar von Dr. Otmar Lang, Chefvolkswirt der TARGOBANK
Es hätte allerdings auch vieles für einen größeren Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten gesprochen. Auf diesen hat die EZB jedoch verzichtet, weil sie ab März 2023 ihren Anleihenbestand reduzieren wird. Die über Jahre aufgeblähte Bilanz soll so verkürzt werden – ein überfälliger Schritt! Denn die aggressivste Zinserhöhungspolitik seit Schaffung der EZB und bis dato unveränderte geldpolitische Stimuli passen nicht zusammen. Beim Autofahren steht man ja auch nicht gleichzeitig mit einem Fuß auf dem Gaspedal und mit einem auf der Bremse.
Eigentlich hätte EZB-Chefin Christine Lagarde aber auch doppelt Gas geben können: Mit einem Jumbo-Zinsschritt und einem sofortigen Einstieg in die Straffung der Bilanz. Zwar befeuert jede monetäre Verschärfung das Rezessionsrisiko in Europa, aber de facto läuft die europäische Konjunktur seit Monaten besser als erwartet, und auch die vorausschauenden Stimmungsindikatoren erholen sich. Der teilweise befürchtete Konjunkturabsturz scheint auszufallen.
Wie geht es also weiter? Der Einstieg in die Bilanzverkürzung ist Neuland für die EZB. Und er ist mit Risiken verbunden. Die vielen Krisen um Finanzmärkte, Staatsschulden und Covid haben die EZB in den vergangenen Jahren immer wieder in die Nähe der monetären Staatsfinanzierung gerückt.
Nun ist es an der Zeit, dass sich Europas oberste Währungshüter wieder um sich selbst kümmern: Neben einer Normalisierung der Zinsen gehört dazu eben auch die Entrümpelung der eigenen Bilanz. Die hätte allerdings auch etwas schneller starten können.
Themen:
LESEN SIE AUCH
So lässt sich ein gutes Jahr erfolgreich abschließen
Es scheint tatsächlich das Soft-Landing eingetreten zu sein, auf das viele gehofft, aber nur wenige gebaut haben. Mittlerweile haben sich die Märkte auf diese zentrale Prämisse festgelegt und zeigen sich positiv. Um nun das Jahr erfolgreich abzuschließen, bedarf es einer Bestätigung dieser Annahme.
Härtetest für die Geldpolitik von EZB und Fed
EZB und Fed wollen die Inflation unbedingt auf das angestrebte 2 Prozent-Ziel zurückführen. Die Geldpolitik bleibt deshalb vorerst restriktiv. Doch: Wann ist der Zeitpunkt erreicht, ab dem weitere Zinsanhebungen der Wirtschaft mehr schaden, als die derzeit erhöhte Inflation?
Rezessionswahrscheinlichkeit steigt auf knapp 80 Prozent
Dass das Rezessionsrisiko für die kommenden Monate kurzfristig so deutlich gestiegen ist, geht wesentlich auf die Eintrübung von Finanzmarktindikatoren zurück, was das IMK auch mit der Leitzinserhöhung durch die Europäische Zentralbank im Juni in Verbindung bringt.
Die Fed, die EZB und der Beinahe-Crash der Banken
Die Spannungen bezüglich der US-Regionalbanken, die SVB-Pleite und die Übernahme der Credit Suisse als Ansteckungspunkt in Europa sind eine indirekte Folge und ein unerwünschter Nebeneffekt im Kampf gegen die Inflation, den Fed und EZB um jeden Preis führen wollten.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Goldpreis erreicht neuen Rekordwert
Der Goldpreis hat mit 3.600 US-Dollar je Feinunze ein neues Allzeithoch erreicht. Welche Faktoren die Rallye treiben – und warum Analystin Sarah Schalück von der apoBank den Trend noch lange nicht am Ende sieht.
Globale Renditeanstiege: Langläufer geraten unter Druck
Die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen steigen weltweit auf neue Höchststände. Der Kapitalmarkt signalisiert: Die Phase fiskalischer Schonung ist vorbei. Emissionsdruck, politische Unsicherheiten und strukturelle Zweifel an der Schuldentragfähigkeit erzwingen eine Neubewertung. Was Anleger jetzt erwarten – und Staaten herausfordert.
KI-Aktien: Ist der Hype überschritten – oder beginnt Europas Chance?
Die KI-Euphorie hat die Börsen im Griff – doch wie tragfähig sind die Bewertungen von Nvidia, Microsoft & Co.? Während US-Tech dominiert, eröffnen sich in Europa Chancen abseits des Rampenlichts. Mike Judith, Partner und Chief Sales Officer bei TEQ-Capital, ordnet den Markt ein – und zeigt, wo Anleger jetzt genau hinschauen sollten.
Depotbanken verwahren fast 3 Billionen Euro
Die Verwahrstellen in Deutschland haben im ersten Halbjahr 2025 fast 3 Billionen Euro für Fonds verwahrt – ein neuer Rekord. Doch hinter dem Wachstum steht auch eine deutliche Marktkonzentration: Fünf Anbieter dominieren fast 70 Prozent des Geschäfts.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.