Nach einem Unfall stellt sich für den Kraftwagenfahrer die Frage, welche Maßnahmen er ergreifen muss, um den Unfallhergang rechtssicher abzuwickeln. Besteht eine Kaskoversicherung, so kann eine Anzeigepflicht vereinbart sein, die den Versicherungsschutz an das Verhalten anknüpft, alles zu tun was der Aufklärung dient. Was genau hierunter zu verstehen ist und wo die Schnittstelle zu einer strafbaren Fahrerflucht besteht, erläutert folgendes Urteil.
Ein Beitrag von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Schutz und Informationstechnologierecht, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB
Der Kläger wollte Ansprüche aus einer Kfz-Vollkaskoversicherung gegenüber der beklagten Versicherung geltend machen. Am 02.05.2020 wurde der Versicherte nach seinen Angaben mit seinem BMW 650 i xDrive in ein Unfallereignis verwickelt. In den Versicherungsbedingungen war folgende Anzeigepflicht normiert:
„Anzeigepflicht
E.1.1.1 Sie sind verpflichtet, uns jedes Schadensereignis, das zu einer Leistung durch uns führen kann, innerhalb einer Woche anzuzeigen.
E.1.1.3 Sie müssen alles tun, was zur Aufklärung des Versicherungsfalls und des Umfangs
– Sie dürfen den Unfallort nicht verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht). (…)“
Die beklagte Versicherung erfragte, nachdem der Versicherte den Unfall angezeigt hat, Unterlagen die belegen sollen, ob die Polizei den Unfall aufgenommen hat. Der Versicherungsnehmer reichte nur ein Sachverständigengutachten ein, dass den Wiederbeschaffungswert auf 30.000 Euro bezifferte und den Restwert auf 16.100 Euro.
Die Versicherung lehnte ihre Eintrittspflicht mit der Begründung ab, dass der Kläger seiner Anzeigepflicht nicht nachkam.
Die rechtliche Wertung des LG Kassel
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass das Unfallereignis stattfand, einer polizeilichen Schadensaufnahme bedarf es hierzu nicht (LG Kassel, Urt. v. 24.08.2021 – 5 O 37/21). Der Kläger konnte sich auf Zeugenaussagen berufen, die mit ihm am Unfallort zu gegen waren.
Strittig war, ob der Versicherungsnehmer seiner Anzeigeverpflichtung nachkam. Sofern er dieser Pflicht nicht nachgekommen wäre, wäre der Versicherer gemäß § 28 VVG von seiner Leistungspflicht frei geworden. Der Versicherungsnehmer darf nach der Klausel, den Unfallort nicht verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht).
Die Klausel knüpft an den Straftatbestand der Unfallflucht in § 142 StGB an. Nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, muss ein Unfallbeteiligter eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet haben, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen über seine Person, sein Fahrzeug und der Art seiner Unfallbeteiligung zu treffen. Der Kläger hat 30 Minuten an der Unfallstelle bis zum Eintreffen des Pannennotdienstes gewartet. Diese Wartezeit war angemessen.
Es musste letztlich geklärt werden, ob der Versicherungsnehmer verpflichtet gewesen ist, vor Verlassen des Unfallortes die Polizei zu informieren. Hierfür musste die Versicherungsklausel ausgelegt werden, so wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer verstehen muss.
Die Klausel muss ein Versicherungsnehmer, ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnis, so verstehen, dass die Klausel an den Tatbestand des § 142 StGB anknüpft, denn die Strafnorm regelt das unerlaubte Entfernen vom Unfallort. Der Wortlaut der Klausel deckt sich mit dem Inhalt der Strafnorm. Eine grundsätzliche Verpflichtung die Polizei zu rufen, wenn keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort vorhanden sind, besteht nach § 142 StGB aber nicht.
Eine weitergehende Verpflichtung, als die die in § 142 StGB normiert ist, lässt sich der Klausel nicht entnehmen. Der Versicherungsnehmer musste damit die Polizei nicht alarmieren.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Nach einem Verkehrsunfall wird das Verhalten der Unfallbeteiligten stets relevant. Häufig bestehen zwischen Versicherungsschutz und einer möglichen Strafbarkeit eine enge Verbindung. Um den vollen Versicherungsschutz beanspruchen zu können, empfiehlt es sich rechtzeitig einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu konsultieren.
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