Der demografische Wandel reißt bis 2040 zusätzliche Lücken in die Etats der meisten Bundesländer, zeigt eine neue Studie. Ausnahme sind die Stadtstaaten und jene Länder, in denen die Alterung der Bevölkerung schon heute weit fortgeschritten ist.
Der demografische Wandel führt bis 2040 in vielen Bundesländern zu zusätzlichen finanziellen Belastungen. Einzig in Berlin und Hamburg übersteigen dann noch die altersabhängigen Einnahmen die entsprechenden Ausgaben, bei der Mehrheit reißt die Alterung der Bevölkerung hingegen Lücken in den Etat. Dies zeigt eine aktuelle Studie aus dem Grünbuch „Alternde Gesellschaft“, das am 12.09.2022 vom Demografie-Netzwerk Population Europe und dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin vorgestellt wurde.
Die Stadtstaaten profitieren von ihrer relativ jungen Bevölkerung, sagt Studien-Autorin Fanny Kluge. Auch in den Ländern, die bereits heute tendenziell überaltert sind, halten sich die budgetären Auswirkungen in Grenzen. So halten sich auch in Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland die altersabhängigen
Einnahmen und Ausgaben 2040 noch die Waage.
Dagegen werden die heute wirtschaftsstarken Länder Bayern und Baden-Württemberg von der demografischen Entwicklung eingeholt. Die Ausgaben für Ältere steigen besonders in Süddeutschland gravierend, ergänzt Kluge. In den nächsten Jahrzehnten vollziehe sich dort die gesellschaftliche Alterung, die anderswo bereits weiter vorangeschritten sei.
Mittlere Altersgruppe zahlt Steuern, staatliche Transfers für Jüngere und Ältere
Ihre Berechnungen fußen auf sogenannten Altersstrukturkostenprofilen des National Transfer Accounts-Netzwerks für Deutschland. Sie zeigen, wie sich die Einnahmen und Ausgaben von Bund, Ländern oder Gemeinden abhängig von der Bevölkerungsstruktur verändern.
Die Ausgaben der Bundesländer – etwa für Bildung oder Soziales – fokussieren sich auf jüngere und ältere Bevölkerungsgruppen. Ihre altersabhängigen Einnahmen speisen sich dagegen überwiegend aus den Steuern auf das Einkommen von Erwerbstätigen.
Ökonomische und demografische Abwärtsentwicklung können sich verstärken
Andreas Edel, Leiter des Demografie-Netzwerks Population Europe und Herausgeber des Grünbuchs erklärt, dass sich die demografische und wirtschaftliche Entwicklung teilweise bedingen. Strukturschwache Gegenden werden durch Abwanderung weiter geschwächt und verlieren an Attraktivität. Man müsse sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen, wie der Teufelskreis aus alternder Bevölkerung und schrumpfenden finanziellen Ressourcen durchbrochen werden könne, so Edel. GDV-Geschäftsführer Peter Schwark ergänzt:
Deutschland steht an einem demografischen Wendepunkt.
Das Ausscheiden der Baby-Boomer aus dem Erwerbsleben werde die Probleme verschärfen. Trotz der aktuellen Krisen müsse die Politik ihren Fokus stärker auf die Gestaltung des demografischen Wandels legen, betont Schwark. Das gelte für die Entwicklung der Regionen genauso wie für die Gewinnung von Fachkräften oder die Zukunft der Alterssicherungssysteme. Der GDV-Geschäftsführer konstatiert, dass sowohl bei der gesetzlichen Rente als auch der privaten Altersvorsorge sich ein Reformstau aufbaue.
Demografischen Faktor in den Länderfinanzausgleich integrieren
Für die Länderfinanzen schlägt Studienautorin Kluge beispielsweise ein neues Förderinstrument für überalterte und strukturschwache Regionen in Ost und West vor: Denkbar sei die Einführung eines demografischen Faktors in den Länderfinanzausgleich nach Auslaufen des Solidarparkts II. Zusätzlich könnten stark altersabhängige Ausgaben auf den Bund verlagert werden. Zudem könnten Kommunen oder Länder, die junge Menschen ausgebildet haben, einen Ausgleich erhalten von den Regionen, in die die Menschen nach Ende ihrer Ausbildung ziehen – ähnlich wie im Fußball. Dort erhalten Ausbildungsvereine eine Entschädigung, wenn junge Spieler zu einem anderen Klub wechseln, und werden auch an künftigen Transfereinnahmen beteiligt, so Kluge.
Wissenschaftliche Beiträge im Grünbuch „Alternde Gesellschaft II“:
- Tilman Mayer (Universität Bonn): Lebensstile verändern – gesundes Altern unterstützen. Sollten Politik und Gesellschaft Einfluss auf das individuelle Altern nehmen?
- Fanny A. Kluge (Population Europe / Bezirksamt Pankow): Die demografische Lage der Bundesländer – eine Herausforderung für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
- Marc Luy (Vienna Institute of Demography): Entwicklung der gesunden Lebensjahre in Deutschland. Kompression versus Expansion der Morbidität und die Bedeutung des Gesundheitsindikators
- Nadine Diersch (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, jetzt Neotiv GmbH): Die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter und die Früherkennung und Prävention neurodegenerativer Veränderungen mit Hilfe mobiler Technologien
- Peter Eibich (Max-Planck-Institut für demografische Forschung): „Wer rastet, der rostet?” – Engagement und Gesundheit im Alter.
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