Als Mario Draghi im Februar 2021 italienischer Ministerpräsident wurde, muss er gewusst haben, dass die Ära der billigen Finanzierung irgendwann zu Ende sein würde. Damals lag die Rendite 10-jähriger italienischer Anleihen bei rund 50 Basispunkten, was eindeutig ein anormales Niveau und ein Geschenk der EZB an hochverschuldete Länder war.
Von Hendrik Tuch, Head of Fixed Income NL, bei Aegon Asset Management
Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen:
- Was hat die Regierung unternommen, um einen glaubwürdigen langfristigen Plan zum Abbau des italienischen Schuldenüberhangs vorzulegen?
- Hat der Ministerpräsident, als er an der Spitze der EZB stand, die Regierungen der Peripherieländer gewarnt, dass sie an der Schuldentragfähigkeit arbeiten sollten, während sie das Niedrigzinsumfeld genossen?
- Hat er sie daran erinnert, dass der EU-Vertrag es der EZB ausdrücklich verbietet, Staatsschulden zu finanzieren?
- Oder dass es für die EZB unmöglich wäre, ihre Aufkaufprogramme ewig fortzusetzen?
Die Antwort auf all diese Fragen lautet wahrscheinlich nein oder nicht genug für die italienische Regierung, um zu handeln.
Seitdem die EZB begonnen hat, italienische Staatsanleihen in großem Umfang aufzukaufen, legten die nachfolgenden Regierungen keinen glaubwürdigen Plan zum Abbau der Schulden vor. Es ist kein Wunder, dass das vom damaligen EZB-Präsidenten Draghi 2012 aufgelegte OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) als früheres Defragmentierungsinstrument an Reformen geknüpft war. Ohne Konditionalität werden sich die Regierungen einfach zurücklehnen und entspannen, während die EZB die schwere Arbeit (oder vielmehr die massiven Käufe) übernimmt.
Deshalb sollte das neue Defragmentierungsinstrument der EZB eine Konditionalitätsklausel enthalten. Ohne diese hätten künftige Regierungen der Peripherie keinen Anreiz zu Reformen. Aber mit einer solchen Klausel würde keine Regierung sie auslösen wollen, und die Spreads werden ihren Trend zur Ausweitung fortsetzen. Als ehemaliger Präsident der EZB muss Mario Draghi sich dieses Dilemmas bewusst sein, in dem sich das neue EZB-Direktorium befindet, wenn es sein Defragmentierungsinstrument fertigstellen will.
Die EZB sollte ihr neues Instrument mit der Konditionalitätsklausel ankündigen und die italienische Regierung sich sofort für die erforderlichen Reformen einsetzen. Eine solche Kombination wäre für Investoren glaubwürdig und würde anderen Regierungen das Stigma nehmen, dieses Instrument in künftigen Krisenzeiten einzusetzen.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Zinswende sorgt für Rückflüsse aus der Zinszusatzreserve
Das Ende des Niedrigzinsumfelds kommt den Lebensversicherern zugute, da der hohe Zuführungsbedarf zur ZZR entfallen ist. Die Branche verzeichnete 2022 sogar bereits erste Rückflüsse in Höhe von 4 Mrd. Euro. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wann der Höchstrechnungszins wieder steigen wird.
Leitzinserhöhung: Entrümpelung im eigenen Haus
Europas Währungshüter haben den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Es hätte allerdings auch vieles für einen größeren Zinssprung von 0,75 Prozentpunkten gesprochen. Auf diesen hat die EZB jedoch verzichtet, weil sie ab März 2023 ihren Anleihenbestand reduzieren wird.
Rechnungszins runter, Inflation rauf
Festgeldzinsen erreichen Tiefststand – Atempause beim Tagesgeld
Die Festgeldzinsen sind auf den tiefsten Stand seit mehr als einem Jahr gesunken. Bundesweit verfügbare Angebote mit zwei Jahren Laufzeit bringen im Schnitt 2,68 Prozent Zinsen. - der niedrigste Stand seit Mai 2023. Anders beim Tagesgeld – hier hatten sich die Banken eine Atempause verordnet und die Zinsen weitestgehend konstant gehalten.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
In der Steuerung des Kreditrisikos liegt ein strategischer Hebel
Protektionismus, Handelskonflikte, geopolitische Risiken – die Unsicherheit an den Märkten bleibt hoch. Passive Kreditstrategien stoßen in diesem Umfeld schnell an ihre Grenzen. Warum gerade aktives Management und ein gezielter Umgang mit Kreditaufschlägen den Unterschied machen können, erklärt Jörg Held, Head of Portfolio Management bei Ethenea.
Mehrheit befürwortet Rüstungsinvestments – Akzeptanz steigt auch bei nachhaltigen Fonds
Private Geldanlagen in Rüstungsunternehmen polarisieren – doch laut aktueller Verivox-Umfrage kippt die Stimmung: 56 Prozent der Deutschen halten solche Investments inzwischen für legitim. Auch nachhaltige Fonds greifen vermehrt zu.
PKV-Initiative „Heal Capital 2“: Neuer Fonds, neue Investoren, neue Start-ups
Digitale Wartung, KI-Zertifizierung, stärkere europäische Vernetzung: Der PKV-Investitionsfonds Heal Capital geht mit neuer Schlagkraft an den Start – und will die digitale Versorgung nachhaltig verändern. Doch welche Start-ups profitieren zuerst?
„Was zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es meistens auch“
Von unseriösen Werbeversprechen bis KI-Euphorie: Im zweiten Teil des Interviews mit Tim Grüger geht es um Trends im Daytrading, die Erwartungen von Kunden und den Kampf gegen Finanz-Fake-News. Plus: Was TradingFreaks für die Zukunft plant – und welchen Rat der Gründer Anfängern mit auf den Weg gibt.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.