„Aufschieberitis“ – so könnte eine Begleiterscheinung des Corona-Virus bezeichnet werden. Direkt zu Pandemiebeginn im Jahr 2020 wurden laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 16 Prozent der Gesundheits-Checks aufgeschoben.
Ein Beitrag von Isabella Martorell Naßl, Vorstandsvorsitzende der Kranken- und Reiseversicherer im Konzern Versicherungskammer.
Aus Angst, sich in einem Praxis-Wartezimmer mit dem Corona-Virus zu infizieren, wurden wichtige Vorsorgetermine verschoben oder gleich komplett abgesagt. Selbst in Notfällen zögerten so manche, medizinische Hilfe in Krankenhäusern in Anspruch zu nehmen. Doch auch Kapazitätsengpässe und umfassende Hygienevorschriften in Kliniken und Arztpraxen führten oft zu Terminverschiebungen. Wie praktisch, wenn man stattdessen bequem von zu Hause aus telemedizinische Angebote wahrnehmen kann.
Als Versicherer wollen wir die Brücke schlagen zwischen patientenorientiertem Service und einer stabilen, ökonomischen Gesundheitsversorgung. Mit dem Selbstverständnis eines Gesundheitspartners navigieren wir unsere Kunden durch die verschiedenen Lebenslagen und -phasen. Auch wenn es darum geht, Bedenken gegenüber digitalen Gesundheitsanwendungen abzubauen. Im Zeitalter von digital optimierten Lebensmodellen und einer immer mehr auf Effizienz getrimmten Gesellschaft findet ein Arztbesuch nur schwer Platz im Smartphone-Kalender.
Abhilfe schafft hier die Telemedizin: In räumlicher Distanz kann von der Anamnese über eine therapeutische Behandlung bis hin zur Ausstellung eines elektronischen Rezepts oder Krankschreibung die medizinische Versorgung gewährleistet werden. Das Gesundheitssystem profitiert somit zumindest in diesem Bereich von der Corona-Pandemie.
Doch wer profitiert von der Telemedizin? Instinktiv lautet oft die Antwort, dass digitalaffine und junge Menschen mit diesem Angebot erreicht werden. Das stimmt ohne Zweifel, doch auch chronisch kranke und mobil eingeschränkte Menschen sowie Familien mit Kindern nutzen die Vorteile einer distanzfreien Behandlung, die auch aus dem Ausland möglich ist, etwa auf Reisen. Erkrankte Urlauber*innen können sich mittels Smartphone mit medizinischem Fachpersonal in ihrer Heimat verbinden lassen. Sprachbarrieren oder mangelnde Ortskenntnisse vor Ort stellen somit kein Hindernis mehr dar.
Über 2,9 Millionen abgerechnete Videosprechstunden in 2020 hat allein die deutsche Tochter des Schweizer Anbieters Medgate kürzlich gemeldet. Die Eidgenossen gelten mit über 20 Jahren Erfahrung als Vorreiter auf diesem Gebiet. Und auch wir im Konzern Versicherungskammer haben seit Pandemiebeginn eine Verdoppelung der Nutzerzahlen telemedizinischer Leistungen beobachtet.
Perspektivisch wird sich die Telemedizin vor allem auf den Feldern der Fachmedizin und der Prävention mittels Gesundheits-Coaching weiterentwickeln, so zum Beispiel im Bereich der Dermatologie: Veränderungen an Haut, Haaren und Nägeln oder manche Geschlechtskrankheiten können einen Besuch beim Hautarzt erfordern. Telemedizinische Behandlungsmethoden kombinieren die Vorteile moderner Technik mit den Grundsätzen der Anamnese: Auf die Einsendung von Fotos der betroffenen Körperstellen folgt die ärztliche Befragung und im Anschluss der Befund. Und weil ein Telefonat oder eine Video-Session ein geschützter Raum ist, müssen sich Patienten nicht Blicken Dritter aussetzen, wenn sie etwa im Wartezimmer auf ihre Behandlung warten.
Ein weiteres Feld ist die Prävention von Krankheiten durch Sensibilierungs- und Weiterbildungsangebote. Dazu gehören Smartphone-Applikationen, die auf Basis erfasster Gesundheitsdaten (von der Medikation bis zu den Blutwerten) Hinweise für eine gesündere Lebensweise erhalten. Ein wichtiger Faktor in diesem Therapieplan spielen die Teleärzt*innen, die die Entwicklung des Gesundheitszustandes ihrer Patienten beobachten.
Meine Überzeugung ist, dass die Telemedizin ein fester Bestandteil in der Gesundheitsversorgung wird. Deren Verfügbarkeit und Akzeptanz nimmt ein Stück weit uns Versicherungsunternehmen in die Pflicht. Hier sind wir gefordert, im Interesse unserer Kund*innen eigene Angebote zu entwickeln und mit jungen Unternehmen zu kooperieren und auf die Einhaltung regulatorischer Bedingungen (wie zum Beispiel beim Datenschutz) zu bestehen und ein offenes Ohr für Bedenken zu haben.
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