2021 war ein Rekord-Jahr für Fusionen und Übernahmen. Niedrige Zinssätze, zahlreiche Börsengänge und eine stärkere Digitalisierung boten dafür fruchtbaren Boden. Die Experten des MARC an der Bayes Business School analysieren Trends und das Geschäftspotential 2022.
1. Angst vor Zinserhöhungen und Inflation treibt schnellere fremdfinanzierte Geschäfte voran
Die Pandemie und die steigenden Lebenshaltungskosten haben die Inflation in die Höhe getrieben, was unweigerlich zu einem Anstieg der Zinssätze führt. Professor Scott Moeller, Direktor des MARC und Professor für Finanzpraxis an der Bayes University, geht davon aus, dass dadurch die Dringlichkeit erhöht wird, Geschäfte eher früher als später abzuschließen:
Nachdem die Zinssätze zu Beginn der Pandemie ein Rekordtief erreicht hatten, wird für das kommende Jahr ein Anstieg prognostiziert.
Vor Kurzem habe die Bank of England die Zinsen im Vereinigten Königreich zum ersten Mal seit März 2020 angehoben, berichtet Moeller. Er folgert: Da viele Fusionen und Übernahmen mit Fremdkapital finanziert seien, werden viele potenzielle Erwerber verzweifelt versuchen, ihre Geschäfte jetzt abzuschließen, bevor das Finanzierungsfenster teurer werde und sie am Ende mehr als erwartet koste.
2. Rekordjahr für Börsengänge führt zu weiterer Übernahmeaktivität
Das Jahr 2021 war ein Rekordjahr für weltweite Fusionen und Übernahmen, aber auch für Börsengänge (IPOs) und Unternehmensfinanzierungen. Dadurch sei eine noch größere Kapazität für Deals geschaffen, so Professor Moeller. Er gibt Einblick:
Einige unserer jüngsten Untersuchungen haben gezeigt, dass Übernahmen das wahrscheinlichste Unternehmensereignis nach einem Börsengang oder einer bedeutenden Kapitalbeschaffungsrunde sind.
Normalerweise dauere dies nicht länger als neun Monate, sodass die im letzten Jahr in die Kassen der Unternehmen geflossenen Mittel eine gute Ausgangsbasis für weitere Geschäftsabschlüsse darstellen.
3. Private-Equity-Firmen wandeln Rekord-Bargeldreserven in noch mehr Deals um
Auch die sehr hohen Bargeldbestände, die derzeit von Private-Equity-Firmen gehalten werden, dürften das Volumen und den Wert der Transaktionen erhöhen. Professor Moeller fügt hinzu:
Private-Equity-Firmen verfügen über rekordhohe Barmittel.
Zusammen mit den Mitteln, die von speziellen Übernahmegesellschaften (SPACs) aufgebracht werden, und den erleichterten Anforderungen für die Börsennotierung in bestimmten Ländern würden dadurch mehr externe Gelder für Investitionen und gezielte Transaktionen zur Verfügung stehen.
4. Zunehmende Digitalisierung bei Geschäftsabschlüssen
Laut Dr. Naaguesh Appadu, Research Fellow bei Bayes, wird die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Pandemie eine stärkere Digitalisierung und den Einsatz von Technologie bei Geschäftsabschlüssen erforderlich machen. Er stellt die Prognose:
Angesichts der drohenden Covid-Krise ist mit einem Anstieg der Transaktionen im Bereich der digitalen Transformation zu rechnen und die Unternehmen müssen Mittel für die Umstrukturierung und Anpassung an die Veränderungen des Marktes bereitstellen.
Dr. Appadu erklärt, die Unternehmen haben sich bereits vor der Pandemie auf diesen Bereich ihrer Geschäftstätigkeit konzentriert, aber die Beschränkungen für Reisen und Interaktionen am Arbeitsplatz in den letzten zwei Jahren haben diesen Trend drastisch beschleunigt. Die Unternehmen mussten sich aufgrund der Umstände umorientieren, da auf einem knappen Arbeitsmarkt neue Qualifikationen verlangt werden. Diese Fähigkeiten umfassen Software Engineering, Data Mining und Cyber Security.
5. Eine Machtverschiebung weg von China
Neben der Überzeugung, dass das Jahr 2022 erneut Rekorde für Transaktionsaktivitäten brechen wird, sind Vorbehalte zu verzeichnen. Professor Moeller glaubt, dass eine geringere Beteiligung Chinas die Beschleunigung der Deals etwas dämpfen könnte. Zunehmender Protektionismus auf politischer und lokaler Ebene könne sich, so Professor Moeller, auf Geschäfte zwischen verschiedenen Märkten auswirken.
Darüber hinaus könnte Chinas anhaltende Konzentration auf das Inland und die Reduzierung von Auslandsinvestitionen seit Beginn der Pandemie sowie die zusätzliche regulatorische Prüfung von Geschäften jenseits der protektionistischen Front einen Dominoeffekt auf den Rest der Welt haben.
Andererseits könnte dadurch aber auch anderen Märkten wie Japan, Indien und Südostasien die Tür zum Aufschwung geöffnet werden, schätzt der Professor für Finanzpraxis.
6. Eine stärkere Betonung der Vielfalt
Dr. Valeriya Vitkova, Research Fellow bei Bayes, geht davon aus, dass die geschlechtsspezifische, ethnische und kulturelle Vielfalt für viele Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnt und eine noch höhere strategische Priorität erhält: Fragen im Zusammenhang mit Diversität und Inklusion würden in jeder Phase des M&A-Prozesses immer relevanter, insbesondere bei der Due Diligence und der Integration.
Die Forschung zeige, dass Unternehmen mit größerer Diversität und Inklusion besser abschneiden als ihre Konkurrenten. Dazu gehört auch unsere jüngste Studie in Zusammenarbeit mit SS&C Intralinks, die zeige, dass Fusionen und Übernahmen, die von geschlechtsspezifisch gemischten Vorständen initiiert wurden, vom Markt positiver wahrgenommen werden und langfristig zu höheren Aktienkursen und Betriebsergebnissen führen. Dr. Vitkova ergänzt:
Zu den wichtigen Faktoren, die aus Sicht des Übernehmers den Abschluss von Geschäften vorantreiben werden, gehören mehr denn je die Bewertung der Leistungen des Zielunternehmens in Bezug auf Vielfalt und Integration.
Ebenso wichtig sei die Sicherstellung, dass die Integration nach dem Abschluss diese Aspekte in die neuen Ziele einbezieht, und eine wirksame Kommunikation sowohl mit dem Zielunternehmen als auch mit dem übernehmenden Unternehmen zu allen Fragen im Zusammenhang mit Vielfalt und Integration.
Führungskräfte, die in der Lage seien, diesen Faktor in ihrer M&A-Strategie zu verankern, und sicherstellen, dass ihre eigenen Verhandlungsteams vielfältig sind, würden voraussichtlich ihre Chancen auf eine bessere Leistung nach M&A im Vergleich zu ihren Mitbewerbern deutlich erhöhen, schließt Dr. Vitkova.
7. ESG-Ziele zur Förderung von Geschäftsaktivitäten
Neben der Diversität hat in den letzten Jahren auch das Thema Umwelt, Soziales und Governance (ESG) an Bedeutung gewonnen. Dr. Zhenyi Huang, Research Fellow an der Bayes Business School, ist der Meinung, dass sich dieser Trend im kommenden Jahr fortsetzen wird, wobei mehr Geschäfte auf der Grundlage der Wertkompatibilität abgeschlossen oder abgebrochen werden: Da die ESG-Agenda zu einem der wichtigsten Managementziele für globale Unternehmen werde, dürfte sie in Zukunft eine größere Anzahl von Transaktionen nach sich ziehen, so Dr. Huang. Die jüngsten Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen von der Übertragung von ESG-Fähigkeiten durch die Integration von Geschäften profitieren, und der Erwerb dieser Fähigkeiten werde zu einem immer wichtigeren Geschäftsfaktor. Dr. Huang gibt Einblick:
Es gibt auch mehr Finanzsponsoren mit ESG-Schwerpunkt als je zuvor und es werden mehr Fonds aktiv, um Geschäfte in diesem Bereich zu unterstützen. So bieten beispielsweise viele Fremdkapitalgeber Erwerbern, die an ESG-bezogenen Geschäften beteiligt sind, bessere Preise an.
Darüber hinaus erwartet, Dr. Huang, dass angesichts der verbesserten ESG-Offenlegung der Unternehmen unter dem verschärften Druck der Aufsichtsbehörden und des Marktes die Entscheidungsträger eine größere ESG-Due-Diligence-Prüfung in ihre Transaktionen einbeziehen werden, um die potenziellen Risiken einer Transaktion zu verringern. Die Daten aus der jüngsten Studie mit Willis Towers Watson deuten darauf hin, dass der M&A-Markt trotz der geringeren Aktivität in China im Jahr 2021 robust ist“
Themen:
LESEN SIE AUCH
Globale Banken setzen auf Fintech-Partnerschaften
Obwohl globale Institute im Schnitt 47 Prozent ihrer Prozesse digitalisiert haben, geht jedes Zweite davon aus, dass es noch im Rückstand ist. So setzen globale Banken zunehmend auf Kooperationen mit Fintechs, um sich den geforderten Kunden- und Regulierungsanforderungen anzupassen.
Industrieversicherer uneinig über Zukunft des Underwritings
45 Prozent der Versicherungsmanager sind der Ansicht, dass das Industriegeschäft zu individuell sei, um die Risikoeinschätzung und -übernahme in einem automatisierten Prozess vorzunehmen. Doch für immerhin 55 Prozent ist ein weitgehend automatisiertes Underwriting in fünf Jahren denkbar.
Hochzinsanleihen: Ausfallrisiko bleibt gedämpft
Angesichts der Tatsache, dass Europa ein Winter mit Energiekrise und möglicher Rezession bevorsteht, ist zu erwarten, dass das kurzfristige Ausfallrisiko bei europäischen Unternehmensanleihen dramatisch ansteigt. Was dennoch für eine gedämpfte Ausfallprognose spricht.
Erster Silberstreif am Horizont für die deutsche Konjunktur
2024 dürfte die deutsche Wirtschaft zu einem moderaten Realwachstum von 0,6 Prozent zurückkehren. Vor allem eine Wiederbelebung der privaten Kaufkraft stützt die Konjunktur. Die Konsumerholung wird allerdings etwas später einsetzen als bisher angenommen.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Personalumbau im Bundeswirtschaftsministerium: Katherina Reiche vollzieht Bruch mit Habeck-Ära
Katherina Reiche zieht nach ihrem Amtsantritt als Bundeswirtschaftsministerin einen radikalen Schlussstrich unter die Ära Habeck: Mit umfassenden Personalentscheidungen ersetzt sie zentrale Staatssekretäre und Abteilungsleiter. Was hinter dem überraschenden Bruch im Wirtschaftsministerium steckt – und welche politischen Signale Reiche damit sendet.
USA und Ukraine gründen gemeinsamen Wiederaufbaufonds: Strategisches Bündnis zur wirtschaftlichen Stärkung und geopolitischen Positionierung
USA und Ukraine gründen einen gemeinsamen Wiederaufbaufonds zur Stärkung der ukrainischen Wirtschaft – mit Fokus auf Öl, Gas und strategische Rohstoffe. Militärhilfe kann als Beitrag gewertet werden. Europa droht geopolitisch ins Hintertreffen zu geraten.
Neuanfang im Wirtschaftsministerium: Katherina Reiche steht für das Gegenmodell zur Ära Habeck
Katherina Reiche übernimmt als Wirtschaftsministerin – und steht für den radikalen Kurswechsel: marktwirtschaftlich, praxisnah und tief verankert in Politik und Wirtschaft. Als Ostdeutsche und erfahrene Managerin verkörpert sie das Gegenmodell zur Habeck-Ära. Die Erwartungen sind groß – jetzt muss geliefert werden.
Unternehmen in Deutschland: Beschäftigungsabbau setzt sich fort – Unsicherheit erreicht Höchststand
Die Stimmung hellt sich leicht auf, doch zunehmende Unsicherheit und anhaltender Stellenabbau bremsen die wirtschaftliche Erholung in Deutschland weiterhin spürbar aus.