Die Kritik an der Einstufung der EU von Kernenergie und Erdgas als nachhaltige Übergangstechnologien ist berechtigt. Die Diskussion darüber lenkt jedoch ab davon, dass die EU mit der neuen Taxonomie beim Klimaschutz insgesamt zunehmend ernst macht: Das neue Regelwerk aus Brüssel soll ab diesem Jahr zeigen, welche Unternehmen wirklich nachhaltig sind.
An die Stelle vieler unterschiedlicher, größtenteils freiwilliger Nachhaltigkeitskriterien tritt mit dem neuen Klassifizierungssystem schrittweise ein europaweit verbindlicher Standard für die Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsaspekten. Die auf Transformation, Strategie und Kommunikation spezialisierte Managementberatung Globeone sieht durch die anspruchsvolleren Transparenzvorschriften für Unternehmen viele kommunikative Chancen, aber auch erhebliche Reputationsrisiken. Dr. Niklas Schaffmeister, Managing Partner von Globeone, sagt:
Die EU-Taxonomie stellt die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf eine ganz neue Ebene. Sie verleiht ihr mehr Gewicht und schafft ein neues Level an Vergleichbarkeit. Unternehmen, die nachweislich taxonomiekonform handeln, können ihre Nachhaltigkeitsleistungen reputationssteigernd gegenüber Investoren und anderen Stakeholdern kommunizieren.
Wer noch Nachholbedarf bei der nachhaltigen Ausrichtung seiner Wirtschaftsaktivitäten habe, der sei künftig gezwungen, den Transformationsprozess proaktiver als bislang zu gestalten und kommunikativ zu begleiten, um nicht voreilig als unnachhaltig abgestempelt zu werden. Schaffmeister betont:
Es gibt aber auch Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht per se nachhaltig, aber auch nicht unnachhaltig ist. Diese nach den Taxonomie-Standards unauffälligen Unternehmen haben es künftig vermutlich deutlich schwerer, ihre Daseinsberechtigung zu erklären.
Sie treten in einen erheblichen Wettbewerb um gesellschaftliche Anerkennung und Kapital, denn die überwiegende Aufmerksamkeit von Verbrauchern und Investoren dürfte sich auf die Klassenbesten in Nachhaltigkeitsfragen konzentrieren, vertieft Schaffmeister. Kritiker sähen bereits die Gefahr einer „grünen Blase“, aber dennoch gebe es insgesamt wenig Zweifel daran, dass die Taxonomie in den kommenden Jahren zu einem echter Gamechanger werde und die Transformation der Wirtschaft weiter antreibe.
Unternehmen sollten drei große Fragen klären
Viele betroffene Unternehmen seien noch relativ unvorbereitet mit Blick auf die erstmals für die Berichterstattung zum Geschäftsjahr 2021 geltenden Transparenzvorschriften. Laut Schaffmeister seien drei große Fragen in zahlreichen Konzernen zu klären:
Erstens, was bedeutet die EU-Taxonomie für die Glaubwürdigkeit? Ein Abgleich mit dem voraussichtlichen Ergebnis des Reportings und dem bisherigen Storytelling des Unternehmens ist unabdingbar, um Reputationsrisiken zu antizipieren.
Schon kleine Diskrepanzen zwischen der Positionierung und tatsächlichen Übereinstimmung mit der EU-Taxonomie könnten unbequeme Fragen der kritischen Öffentlichkeit sowie von an nachhaltigen Geschäftsmodellen orientierten Investoren aufwerfen und Zweifel an der eigenen Aufrichtigkeit aufkommen lassen. Simon Aschermann, Manager bei Globeone, ergänzt:
Die zweite Frage lautet: Verfügt das Unternehmen über geeignete Prozesse, um taxonomiekonform berichten zu können? Vor allem in Unternehmen, wo das Nachhaltigkeitsreporting Teil der Kommunikation ist, kann dies schnell zur Überforderung führen.
Die Reporting-Prozesse seien deshalb zunächst so aufzubauen, dass sich Informationen aus dem Unternehmen verlässlich zusammentragen lassen, empfiehlt Aschermann. Die EU-Taxonomie hebe die weit verbreitete Arbeitsteilung zwischen finanziellem und nichtfinanziellem Reporting auf.
Die dritte Fragestellung betrifft die Verantwortung für die Kommunikation des jeweiligen Abschneidens nach dem Klassifizierungssystem der EU-Taxonomie. Aschermann sagt:
Mit der Umsetzung des Reportings gemäß EU-Taxonomie entwickelt sich Nachhaltigkeit zu einem Thema, das für alle Stakeholder von Bedeutung ist: Mitarbeiter, Öffentlichkeit, Medien – und jetzt auch Investoren. Als Haupttreiber der Reputation ist es idealerweise die Kommunikation, die mit ihrem ganzheitlichen Blick auf die Stakeholder alle relevanten Abteilungen an einen Tisch bringt.
Die Herausforderungen der neuen Berichtspflicht seien in Unternehmen deshalb nur in enger, funktionsübergreifender Kooperation zu bewältigen.
EU-Taxonomie als Chance begreifen
Je schlechter das Reporting ausfalle, um so dringender stelle sich die Frage, wie es weitergeht. Aschermann betont, dass es wichtiger denn je werde, die eigenen Nachhaltigkeitsanstrengungen sichtbar zu machen und einen klaren Fahrplan für die Transformation aufzuzeigen. Leere Worthülsen haben im Zuge der neuen Taxonomie-Standards nur eine kurze Halbwertszeit. Er rät:
Unternehmen tun gut daran, die EU-Taxonomie als Chance zu begreifen, ihre Transformationsgeschichte hin zu einer grüneren Zukunft über das reine Reporting hinaus anhand konkreter Belege greifbar zu machen.
Qualitatives Messaging allein sei nicht mehr ausreichend, um die Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsbemühungen sicherzustellen, schließt der Manager.
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