Seit Anfang des Jahres 2022 ist die EU-Taxonomie in Kraft – und muss bereits wieder erweitert werden, weil die die EU-Kommission unlängst Erdgas- und Kernkraftprojekte als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie eingestuft hat. Doch derzeit herrscht noch ein Mangel an verlässlichen Daten. Zudem kommen weitere Herausforderungen bezüglich den zulässigen Erdgas- und Kernkraftprojekten auf sein Haus und die Anleger zu.
Gianluca Manca, Head of Sustainability bei Eurizon, spricht im Interview über erste Erfahrungen mit den EU-weiten Regelungen.
Herr Manca, die EU-Kommission hat Erdgas- und Kernkraftprojekte als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie eingestuft. Was halten Sie davon?
Der Vorschlag der Kommission hat den Rat der Mitgliedsstaaten sicherlich gespalten. Während Frankreich die Idee der grünen Kernenergie unterstützt, ist Deutschland strikt dagegen, da in den letzten Monaten drei der verbliebenen sechs Kernkraftwerke abgeschaltet wurden. Gleichzeitig ist Deutschland wiederum bereit, Gas als grün zuzulassen, während eine Handvoll Länder die Änderung komplett ablehnt. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte der Rat den Vorschlag ablehnen, wenn mindestens 20 Länder dagegen stimmen, während das Parlament eine volle Mehrheit benötigt, um ihn abzulehnen.
Abgesehen von der politischen Sackgasse ist es offensichtlich, dass wir zu einem Zeitpunkt, an dem wir das Thema der Dekarbonisierung eigentlich beschleunigen müssten, mit einer Energiekrise konfrontiert sind. Hinzu kommt, dass der im jüngsten Kommissionsvorschlag festgelegte Schwellenwert für Gas die Messlatte weiter anhebt und deutlich macht, dass nur Projekte, die Effizienz nachweisen können, für die Taxonomie in Frage kommen. In einem solchen Szenario hoffen wir, dass eine Entscheidung der Regulierungsbehörden das tägliche Management nicht beeinträchtigt und der Gesetzgeber bald eine klare Linie vorgibt.
Wie wird Eurizon mit dem Thema in seiner Anlagepolitik umgehen?
Wir beschäftigen uns seit mehr als zwei Jahrzehnten mit dem Thema Nachhaltigkeit. Wir sind deshalb agil und flexibel genug, um kurzfristig auf die Anforderungen des Gesetzgebers reagieren zu können.
Welche Lösung schwebt Ihnen vor?
Sobald der Gesetzgeber über die neue Nomenklatur entschieden hat, werden wir die geeigneten internen Instrumente bereitstellen, um die Aufnahme dieser beiden neuen Kategorien in die Taxonomielisten zu ermöglichen.
Die EU-Taxonomie ist am 1. Januar in Kraft getreten. Wie sind bislang ihre Erfahrungen?
Eine der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist die Verfügbarkeit und Standardisierung von Daten. Obwohl die Veröffentlichung von Daten durch die Emittenten deutlich zugenommen hat, sind viele relevante Informationen immer noch nicht verfügbar – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen –, und wenn doch, dann sind sie oft nicht vergleichbar, weil sie auf unterschiedliche Definitionen oder Berechnungsmethoden zurückgehen.
Darüber hinaus korrelieren dieselben Kennzahlen und Ratings verschiedener Anbieter nach wie vor nur wenig miteinander, sodass es zunehmend notwendig wird, eigene interne Bewertungsinstrumente zu entwickeln, die die von den Anbietern verwendeten zugrunde liegenden Daten überarbeiten und interpretieren.
In welchen Punkten muss Ihrer Meinung nach noch nachgebessert werden und was genau sollte hier getan werden?
Wir erwarten mehr Klarheit darüber, wie mit Unternehmen umzugehen ist, die nicht der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) unterliegen und derzeit auch nicht in den Anwendungsbereich des CSRD-Vorschlags, der Corporate Sustainability Reporting Directive, fallen.
Ein Punkt, der sehr kritisch hinterfragt werden muss, ist auch, wie kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) in den für Finanzinstitute geforderten grünen Quoten berücksichtigt werden sollen. Im Vergleich zu großen Unternehmen ist es für kleine und mittlere Unternehmen schwieriger, das Nachhaltigkeitsniveau ihrer Geschäftstätigkeit darzustellen, weil die erforderlichen Daten nicht verfügbar sind oder ihre Erhebung zu teuer ist und weil sie noch nicht so organisiert sind, dass sie auf diese Art von Anfragen reagieren können.
Deshalb ist Eurizon zum Beispiel Mitglied der EFRAG-Projekt-Taskforce für die Formulierung der von der Europäischen Kommission geförderten europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung und sitzt insbesondere am Arbeitstisch für die Berichterstattung von kleinen und mittleren Unternehmen.
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