Droht eine Stagflation?

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Das Jahr 2022 hat an den Börsen mit heftigen Turbulenzen begonnen. Erst schockte die US-Notenbank in einem Anflug von Konvertiteneifer die Märkte mit der Ankündigung einer Serie von Zinserhöhungen und Anleiheverkäufen wegen der grob unterschätzten Inflationsgefahr.

Marktkommentar von Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital

Dann ließ Putin am 24. Februar seine Armee in die Ukraine einmarschieren. Der Westen reagierte mit harten Wirtschaftssanktionen. Energie- und Rohstoffpreise explodierten von teilweise schon stark erhöhten Niveaus aus. Jetzt musste auch der Dümmste erkennen, dass die Inflation gekommen war, um hartnäckig zu bleiben.

US-Inflationsrate und Rohstoffpreisindex
Quelle: Datastream. US-Infationsrate YoY bis März 2022 ; Rohstoffpreise per 21.03.2022 (M-096-SCMAG) © StarCapital AG

Vor dem Einmarsch in die Ukraine konnte man erwarten, dass im Sommerhalbjahr mit der Aufhebung der Corona-Beschränkungen ein «kleiner Wirtschaftsboom» beginnen würde. Der dürfte jetzt viel bescheidener ausfallen. Kommt stattdessen eine Rezession oder zumindest eine Stagnation, begleitet von hohen Inflationsraten auf die Industrieländer des Westens zu? Und wie geht es an den Aktienmärkten weiter, die sich zumindest von ihren Tiefständen schon wieder kräftig erholt haben?

Der Krieg und die wirtschaftlichen Folgen

Zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine glaubten Militärexperten, dass die Ukraine nach maximal drei Wochen besiegt sei: Welch ein Irrtum! Jetzt versucht Putin, die Hauptstadt Kiew zu umzingeln und auszuhungern und so viel Landgewinn wie möglich an der Schwarzmeerküste zu erzielen. Erst wenn er glaubt, sich gesichtswahrend als Sieger darstellen zu können, dürfte er zu Friedensverhandlungen bereit sein – natürlich zu seinen Bedingungen! Einen Frieden, egal zu welchen Bedingungen, würden die Kapitalmärkte mit weiteren Kurssteigerungen «feiern».

Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement, StarCapital AG © StarCapital AG

Zieht sich der Krieg aber noch viele Monate hin, wird der Druck auf Europa und insbesondere Deutschland massiv zunehmen, ein Verbot von russischen Öl- und Gaseinfuhren zu erlassen. Doch dann ist es mit einem «Frieren für den Frieden» im nächsten Winter nicht getan. Zwei Drittel des Gasverbrauchs entfallen in Deutschland auf die Industrie.

Ein Ausfall kann noch auf längere Sicht nicht ausgeglichen werden und die Preise würden weiter drastisch steigen. In diesem Fall wäre eine Rezession in Deutschland unausweichlich. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland in diesem Jahr vermutlich mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen muss, käme dies einer Katastrophe gleich. Der Schaden für Putin dürfte sich in Grenzen halten. Dank der dann erheblich weiter steigenden Weltmarktpreise dürfte es ihm gelingen, zumindest einen Großteil seines Öls und Gas zu Discountpreisen an Länder wie China und Indien loszuschlagen, ohne große finanzielle Einbußen erleiden zu müssen.

Kommt es nicht zu diesem Extremszenario, wird das Wachstum der Weltwirtschaft und insbesondere in Europa dennoch 1 bis 1,5 Prozent niedriger ausfallen als noch Anfang des Jahres prognostiziert. Gleichzeitig kommt die Inflation trotz der entlastenden Basiseffekte aus dem Vorjahr nicht zurück. Die Energie- und Rohstoffpreise bleiben auf hohem Niveau und der sich noch verstärkende Trend zur Deglobalisierung lässt die Inflationsraten vorläufig nicht nennenswert sinken. Ein Stagflationsszenario mit bescheidenem Wachstum und hoher Inflation wird somit immer wahrscheinlicher.

Kann China der Weltwirtschaft helfen?

China versucht weiterhin, geordnet die heisse Luft aus ihrer Immobilienkredit-Blase der letzten Jahrzehnte zu lassen. Dies ist aber zwangsläufig mit schwächerem Wachstum verbunden. Gleichzeitig erfasst aktuell die Omikron-Welle wichtige Teile des Landes. Da chinesische Impfstoffe gegen das Omikron-Virus unwirksam sind, bleibt die Führung bei ihren harten Lockdown-Maßnahmen. Dies betrifft momentan die Region Shenzhen, das «Silicon Valley» der Volksrepublik. Schiffsstaus vor den südchinesischen Häfen symbolisieren eine weitere Belastung der Lieferkettenthematik. Zwar profitiert China von den «günstigen» russischen Rohstofflieferungen, darf aber den Bogen der Solidarität mit Russland nicht überspannen, um nicht weitere US-Sanktionen zu riskieren. Chinas Wachstum in 2022 dürfte unter 4 Prozent liegen, auch wenn die offizielle Rate durch kreative Buchführung bei den prognostizierten 5,5 Prozent liegen sollte.

Zentralbanken im Dilemma

Durch die Pandemie und die Beschränkungen der Behörden wurde die Angebotsseite der Weltwirtschaft schwer beeinträchtigt, während die Nachfrage durch staatliche Transfers gestützt und sogar verstärkt wurde. Damit war der Boden für die anziehende Inflation gelegt, die durch die Rohstoffpreise und die Lieferkettenproblematik weiter angeheizt wurde. Und jetzt sehen wir auch – zumindest in den USA – den Beginn einer Lohn-Preis-Spirale.

US-Lohnentwicklung
Quelle: Datastream per 28.02.2022 (A-103-SCMAG) © StarCapital AG

Panikartig vollzog vor diesem Hintergrund die FED die monetäre Wende. Mit geplanten zehn weiteren Zinserhöhungen und dem Nettoverkauf von Anleihen aus dem Bestand ab Mai fegt sie den geldpolitischen Sektkübel vom Tisch. Neben der Geldpolitik wirkt in den USA nun auch die Fiskalpolitik restriktiver. Dazu kommen negative Wohlfahrtseffekte aufgrund der schwächeren Vermögenspreise. Dieser Cocktail ist Gift für die Aktienmärkte und wird für anhaltend hohe Volatilität sorgen. Positiv ist lediglich, dass sich die Märkte im Zuge des Ukrainekriegs auf merklich niedrigeren Niveaus befinden und die Bewertungen eher wieder attraktiv geworden sind.

Spätestens im Herbst sollten sich jedoch wegen der geldpolitischen Bremsmanöver deutliche Schwächetendenzen bei der Konjunktur bemerkbar machen. Tritt das Inflationsproblem zugunsten der Konjunktursorgen in den Hintergrund und entschließt sich die FED zur erneuten Wende, kann der Bullenmarkt bei Aktien wieder Fahrt aufnehmen. Bis dahin könnte es trotz Zwischenrallyes anhaltend ungemütlich an den Börsen bleiben. Im Schatten der FED wird auch die EZB restriktiver werden. Da das Primärziel der EZB aber darin besteht, die Eurozone am Leben zu halten, wird es nur zu homöopathischen Schritten kommen.  

Wo sollte man investieren?

Der Rohstoff- und Energiesektor wird seinen im Vorjahr begonnenen «Superzyklus» fortsetzen. Hohe Gewinne und anhaltend günstige Bewertungen eröffnen enorme Kurschancen, bestenfalls unterbrochen von temporären Rückschlägen.

Grafik: MSCI – Energiesektoren
Quelle: Datastream per 21.03.2021 (A-225-SCMAG). © StarCapital AG

Auch die Anbieter alternativer Energien werden sich nach ihrem Rückschlag im Vorjahr wieder «nachhaltig» erholen, nicht zuletzt dank kräftiger öffentlicher Subventionen. Unprofitable Wachstumstitel werden spätestens bis zur nächsten geldpolitischen Wende einen schweren Stand haben. Hochprofitable Tech-Monopolisten wie Apple, Alphabet und Microsoft etc. kann man stets bei Rückschlägen antizyklisch kaufen.

Auch Rüstungsaktien werden ihre Hausse fortsetzen, nachdem die «Frieden schaffen ohne Waffen»-Ideologie in der Ukraine zu Grabe getragen wurde. Schon in Kürze dürften sie auch durch ein Nachhaltigkeitssiegel der EU-Taxonomie geadelt werden.

Da die Realzinsen in USA und Europa negativ bleiben werden, ist die Beimischung von Gold weiterhin ratsam.

Bilder (2–5): © StarCapital AG