Digitale Polizeiarbeit in Deutschland

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Polizeiarbeit mag an vielen Stellen analog sein und es wohl auch für immer bleiben. Dennoch gibt es insgesamt einen hohen Bedarf an Digitalisierung. Wir zeigen, was der deutsche Status Quo ist, was noch zu tun ist und wie die Hintergründe aussehen.

Was haben Polizeibeamte mit Digitalisierung zu tun? Wenn es darum geht, einen ganz normalen Wildunfall zu klären, sicherlich nicht allzu viel. Doch schon, wenn die dabei erhobenen Informationen verarbeitet und beispielsweise an die Staatsanwaltschaft oder den Jagdausübungsberechtigten weitergeleitet werden sollen, wird es digital. Und natürlich umfasst „die Polizei“ auch Spezialisten, die beispielsweise dafür Sorge tragen, dass die Kommunikation von Kriminellen überwacht wird oder Hacker möglichst noch vor vollendeter Tat gestellt werden.

Polizeiarbeit ist immer ein Spiegel der jeweiligen Zeit. Als solche haben moderne deutsche Polizeien in Sachen Digitalisierung einen erheblichen Bedarf, können einige Erfolgsmeldungen vorweisen, aber haben ebenso noch Nachholbedarf.

Die Hürden

Sind Deutschlands Polizisten so digitalisiert unterwegs wie, beispielsweise, die in den USA? In den meisten Fällen nicht. Ein zentraler Grund dafür (übrigens genauso wie in vielen Orten in den USA) ist die föderale Zersplitterung. Wir haben in Deutschland nicht eine Polizei, wir haben:

  • Die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Bundestagspolizei auf Bundesebene,
  • die Länderpolizeien mit Schutz- und Kriminalpolizei und allen weiteren Unterordnungen sowie den Landeskriminalämtern und Bereitschaftspolizeien auf Landesebene,
  • Teile der Bundeszollverwaltung, den Justizvollzug sowie weitere Stellen, die ebenfalls polizeiliche Befugnisse haben, aber nicht direkt zu den Innenbehörden zählen.
  • Sicherheitsbehörden ohne Polizeibefugnisse in Bund und Land, beispielsweise den Verfassungsschutz.

Im Ergebnis hat jeder andere Bedürfnisse und kann durch den Föderalismus gänzlich eigene Wege gehen. Zwar gibt es viele Harmonisierungsbestrebungen, jedoch ist dies schwierig, weil diese verschiedenen Behörden so unterschiedliche Interessen haben und zudem aufseiten der Politik einiges gegen eine einheitliche Polizei spricht – und nicht zuletzt könnte die Effektivität in der Verbrechensbekämpfung leiden.

Die Erfolge

Es gibt einige Stimmen, die Deutschlands Polizeien durch die Bank weg einen sehr schlechten Digitalisierungsgrad attestieren. Dieser Vorwurf lässt sich jedoch bei realistischer Betrachtung nicht halten. Tatsächlich kann die Gesamtheit der deutschen Polizeien, vor allem in jüngster Vergangenheit, diesbezüglich einige sehr gute Erfolge vorweisen.

1. VIS-Polizei:

Jeder polizeiliche Vorgang muss erfasst, muss be- und verarbeitet sowie gegebenenfalls an andere Stellen weitergeleitet und archiviert werden. Hierfür kamen einst nicht nur für jeden Vorgang unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz, sondern diese unterschieden sich auch noch völlig zwischen den Polizeibehörden. Hier macht die Baden-Württembergische Polizei derzeit den Anfang. Bei ihr wurde eine revolutionär neuartige Plattform eingeführt, VIS-Polizei.

Dabei handelt es sich um nicht weniger als eine Software, die alle Aufgaben der Aktenführung und Vorgangsbearbeitung auf einer Ebene zusammenführt. Das sorgt nicht nur für enorme Zeitersparnis, sondern macht den allgemeinen Umgang mit dieser wichtigen Basis jeder Polizeiarbeit einfacher und intuitiver. Zudem lassen sich Informationen spielend leicht – und sicher – zwischen verschiedenen Dienststellen teilen.

Da Baden-Württemberg voll des Lobes für die Plattform ist, wird sie höchstwahrscheinlich in Bremen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein als nächstes eingeführt werden. Andere Bundesländer haben für ihre Länderpolizeien ebenfalls Interesse bekundet.

2. Mobilgeräte:

Jeder Anwender weiß, wie viele Aufgaben sich auf einem Smartphone oder Tablet erledigen lassen. Aufgaben, die auch in den Bereich Polizeiarbeit fallen. Nachdem in vielen Polizeien die Beamten jahrelang auf eigene Faust Privatgeräte nutzen mussten, führen derzeit immer mehr Behörden offiziell beschaffte Geräte ein. Der Vorteil: Einheitlichkeit der Systeme und eine dem Polizeialltag entsprechende Sicherheitsarchitektur.

Hierbei ist Hessen aktuell ein großer Vorreiter. Dort sollen bis Ende 2022 alle Polizisten auf Streife mit passenden Geräten ausgestattet werden – inklusive datenschutzkonformer Software-Umgebung und für die Polizeiarbeit abgestimmter Apps.

3. BKA Abteilung CC:

Jahrelang musste das Bundeskriminalamt das Thema Cyber-Kriminalität aus einer Unterabteilung der Abteilung SO für schwere und organisierte Kriminalität heraus bearbeiten. Am 1. April 2020 wurde jedoch daraus eine eigene, vollwertige Abteilung innerhalb der BKA-Struktur.

Der Vorteil: Die Abteilung kann in Sachen Personal und Budget völlig anders und eigenständiger aufgebaut werden. Vor allem, was den Schutz von Hochwertzielen gegen Hacker und ähnliche Kriminelle anbelangt, ist diese erhöhte Schlagkraft dringend geboten.

Aus einer Unterabteilung mit gerade einmal 100 Spezialisten soll so über die kommenden Jahre ein machtvolles Instrument mit fast dreifacher Personalbesetzung werden.

4. ZITiS:

Digitaltechnik sowie sämtliche dahinterstehenden polizeilichen Notwendigkeiten wandeln sich in rasendem Tempo. Die normalen Polizeibehörden haben deshalb keine realistische Chance, ständig am Puls der Zeit zu sein – obwohl gerade dies im Höchstmaß nötig ist, damit die Kriminalitätsvereitelung und -bekämpfung nicht nachlässt.

Bereits 2017 wurde deshalb im Bundesinnenministerium eine nicht rechtsfähige Bundesanstalt eingerichtet, die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS). Sie ist letzten Endes ein staatlicher Thinktank und Forschungszentrum in einem. Die Aufgaben stützen sich ausschließlich auf das Thema Digitalisierung aus Sicht von Verbrechensvereitelung und -bekämpfung:

  • Forschung und Entwicklung zwischen Strategien und technischen Werkzeugen.
  • Digitaltechnische Unterstützung und Beratung für alle behördlichen Stellen in Deutschland ungeachtet ihrer Lage und Kompetenzen.
  • Zusammenarbeit mit verschiedenen anderen Instituten zur Kräftebündelung und Kompetenzmaximierung.

5. Studiengänge/Sonderlaufbahnen:

Deutsche Polizisten werden in ihrer Ausbildung mit verschiedensten Themen konfrontiert. So gut dies im Alltag ist, so sehr erweist es sich gerade beim Anwerben von Spezialisten für das Thema Digitalisierung als hinderlich. Denn für, beispielsweise, einen Computer-Forensiker, ist es völlig unerheblich, irgendwelche Gesetze zur Ladungssicherung zu kennen. Dennoch muss er polizeiliche und rechtliche Grundlagen erlernen.

Um diesen Spagat zu bewältigen, haben das BKA und einige Länderpolizeien spezielle Wege in das Thema Cyber-Kriminalistik geschaffen. Beim BKA funktioniert dies als 24-monatige Ausbildung für Quereinsteiger aus dem gesamten IT-Bereich. Unter anderem in Hessen gibt es alternativ einen speziellen (dualen) Bachelor-Studiengang. Er soll IT-affinen jungen Menschen auf diesem Weg ohne vorheriges Studium einen Weg in diese Besonderheit der Polizei ermöglichen.

Diese fünf Punkte zeigen beispielhaft, wie sehr sich die Digitalisierung deutscher Polizeien im Aufwind befindet. Allerdings lässt sich nicht verhehlen, wie weit der Weg noch ist.

Der Nachholbedarf

Letzten Endes lässt sich alles, was diesbezüglich noch zu tun ist, mit einem Wort zusammenfassen: Harmonisierung. Die wichtigsten Grundlagen für eine insgesamt digitale deutsche Polizei wurden bereits gelegt. Jetzt aber geht es darum:

  • sämtliche verbliebenen Insellösungen zu entfernen. So sind beispielsweise viele dienstliche Smartphones nicht mit den digitalen Funkgeräten kompatibel.
  • hinderliche Bestandteile des Föderalismus zu übergehen. Dieser wird sicherlich nicht beschädigt, wenn beispielsweise alle Polizeien VIS-Polizei nutzen.
  • nicht aufzuhören. Viele Dienstherren neigen dazu, Polizeien nach einer Neuausstattung mit einer sparsamen „das muss jetzt aber mal für einige Jahre genügen“ Haltung zu begegnen. Aufgrund der Schnelllebigkeit von Digitaltechnik darf das nicht geschehen.

Es geht also darum, das jetzige Momentum bloß nicht mehr zu verlangsamen. Dann dürfte die digitale Transformation deutscher Polizeien auf einem guten Weg sein. Egal, ob beim Schutz von Bundesbehörden gegen ausländische Geheimdienst-Hacker oder bei der Aufnahme eines Verkehrsunfalls mit dem dienstlichen Smartphone.