Dr. Ingeborg Schumacher-Hummel beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit nachhaltiger Kapitalanlage. Als Geschäftsführerin von Responsible Impact Investing berät sie Investoren bei der Entwicklung nachhaltiger Anlagestrategien. Außerdem ist sie Vorstandsmitglied des Forums Nachhaltige Geldanlage (FNG).
Im Interview spricht sie über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachhaltiger Kapitalanlage.
Frau Schumacher-Hummel, im FNG-Marktbericht 2020 differenzieren Sie zwischen verantwortlichen Investments und nachhaltiger Geldanlage. Wie kommt diese Unterscheidung zustande?
Diese Bezeichnung ist eine Anpassung an die Marktentwicklung. Immer mehr Asset-Manager integrieren Mindestkriterien und es werden in der EU-Offenlegungsverordnung Vorgaben gemacht, dass bestimmte ESG-Kriterien systematisch integriert werden sollen.
Dadurch entwickeln sich verantwortliche Investments, bei denen die ESG-Kriterien auf institutioneller Ebene festgelegt werden, zunehmend zum Mainstream. Nachhaltige Geldanlagen sind dagegen Produkte, die die ESG-Kriterien in den Produktdokumenten festgeschrieben haben und damit explizit nachhaltig gestaltet sind und auch als nachhaltige Produkte vermarktet werden.
Nur knapp 20 Prozent der im FNG-Marktbericht 2020 untersuchten nachhaltigen Fonds haben ein entsprechendes Siegel. Ist Nachhaltigkeit überhaupt ein geschützter Begriff?
Bisher ist es so, dass der Begriff nicht geschützt ist. Es ist aber einiges im Umbruch. So soll die Sustainable Finance Disclosure Verordnung als Teilmaßnahme des EU Action Plan on Sustainable Finance eine bessere Orientierung der Investoren bringen und Green Washing verhindern. … Momentan entscheiden die Asset-Manager selber, in welche Kategorie sie ihre Produkte einteilen. In der Praxis ist es leider so, dass sehr unterschiedliche Vorgehensweisen zu beobachten sind.
Wenn es um die Zertifizierung nachhaltiger Geldanlagen geht: Wie lassen sich ökologische, soziale, ethische Kriterien quantifizieren?
Die Bewertung von Unternehmen wird durch eine Vielzahl von Rating-Agenturen durchgeführt. Hier sind in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden, sodass immer mehr Unternehmen ESG-Informationen berichten. Die Aufgabe der Rating-Agenturen ist es, diese Informationen zu sammeln. Hier wird mittlerweile viel mit künstlicher Intelligenz gearbeitet.
Wenn wir uns die Portfolios großer ESG-ETFs ansehen, finden sich darin oft Unternehmen wie Apple oder Amazon, die aufgrund von prekären Arbeitsbedingungen regelmäßig in den Schlagzeilen sind. Wie sind solche Produkte einzuordnen?
Wichtig ist, dass die Kunden sich überlegen, was die Nachhaltigkeit ihres Fonds ausmachen soll. Es gibt eine Vielzahl von Anlagestrategien, die angewendet werden.
Eine sehr häufige und durchaus auch legitime Strategie ist die Best-in-Class-Strategie, bei der aus jeder Branche die besten Unternehmen ausgewählt werden. Hier wird eine relative Bewertung durchgeführt, ob Apple als Unternehmen in der Elektronikbranche besser ist als zum Beispiel Samsung.
Gerade bei passiven Produkten wie ETFs gibt es eher pragmatische Ansätze. Hier wenden manche Produkte eine Selektivität an, nach der die besten 50 Prozent einer Branche investierbar sind oder nur die schlechten zwanzig Prozent einer Branche ausgemustert werden. …
Wer nach Siegeln Ausschau hält wie dem österreichischen Umweltsiegel oder dem FNG-Siegel, der kann zumindest davon ausgehen, dass Produkte, die mit drei Sternen ausgezeichnet sind, nicht nur die Mindestkriterien des Siegels erfüllen, sondern auch eine saubere Durchführung der Prozesse nachweisen können.
Würden Sie sagen, dass die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei einem Finanzprodukt ab einem bestimmten Punkt zulasten des Risikos oder der Rendite-Chancen geht?
Das ist die alte Diskussion und es ist immer noch so, dass das Vorurteil in vielen Köpfen rumschwirrt, dass Nachhaltigkeit kostet. Mittlerweile sind viele empirische Studien durchgeführt worden, die aufzeigen, dass die Berücksichtigung von Umwelt-, sozialen und Governance-Kriterien einen positiven Beitrag zum Risikomanagement liefert und dass Portfolios, die entsprechend zusammengestellt sind, ein geringeres Downside-Risiko aufweisen. Das wurde auch in der Krise im ersten Quartal 2020 sehr deutlich. Hier haben sich nachhaltige Fonds als wesentlich stabiler erwiesen.
Hier geht es zum vollständigen und ungekürzten Interview mit Handelskontor-News.de.
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