Kommt die BU-Leistungswelle?

Der Angriff kam vollkommen überraschend. Nachdem im Januar 2020 erste Meldungen über das Auftreten einer neuen, später als COVID-19 bezeichneten Form der Lungenentzündung im chinesischen Wuhan verbreitet wurden, reagierten die Nationen der westlichen Welt mit verhaltenem Interesse.

Nur sechs Wochen nach den ersten Nachrichten in den Medien erreichte der Erreger, das SARS-CoV-II-Virus, Italien und im März20 20 erklärte die Weltgesundheitsorganisation COVID-19 zu einer weltweiten Pandemie.

Innerhalb eines Jahres hatten sich weltweit 107 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert und 2,34 Millionen Patienten sind an den Folgen der Infektion verstorben. Die Symptome einer Infektion mit dem SARS-CoV-II-Virus oder einer der zwischenzeitlich aufgetretenen Virusmutanten reichen von grippeähnlichen Beschwerden bis hin zu neurologischen Defiziten und schweren Organschäden.

Vor allem bei einer schweren Verlaufsform der Infektion wird die Erkrankung in vielen Fällen auch zu einer (temporären) Berufsunfähigkeit des Betroffenen führen. Allerdings dürfen auch die psychischen Belastungen infolge Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Insolvenz und der damit verbundenen finanziellen Probleme und Existenzängste nicht unberücksichtigt bleiben.

Aktuell ist vollkommen unklar, bis wann die Pandemie überwunden und der Weg zurück in einen halbwegs normalen Lebensalltag gefunden werden kann. Die Aussage, dass mit einem Anstieg der Berufsunfähigkeitsversicherungsfälle zu rechnen ist, erscheint vor diesem Hintergrund sicherlich nicht als Fiktion. Gut, wenn man darauf vorbereitet ist …

Welche Erwartungshaltung hat der Kunde?

Jeden Tag werden in Deutschland Vorsorgeverträge zur Absicherung der Arbeitskraft abgeschlossen. Das Beratungsniveau der deutschen Vermittler ist regelmäßig sehr hoch. Dem Kunden werden Tarifvergleiche, Ratingergebnisse, Angebote für eine flankierende Ergänzung seines Versicherungsschutzes für eine Absicherung von Dread-Disease-Risiken und eine verbesserte Vorsorge für den Fall einer Pflegebedürftigkeit, Tarifprospekte und Versicherungsbedingungen vorgelegt.

Das sind unstrittig wichtige Informationen, aber der Anspruch der meisten Kunden reduziert sich auf drei Fragestellungen:

  • Berät mich der Vermittler neutral oder hat er primär seine eigene Brieftasche im Blick?
  • Kann und will ich mir diesen Versicherungsschutz leisten?
  • Löst der Versicherer im Versicherungsfall das von dem Vermittler abgegebene Leistungsversprechen auch ein?

Wenn der Versicherungsfall, und dies soll nachfolgend am Beispiel der Berufsunfähigkeit betrachtet werden, eintritt, dann schlägt sowohl für den Versicherer als auch den Vermittler die Stunde der Wahrheit.

Operative Hektik ist dabei kontraindiziert. Vielmehr ist eine strukturierte Vorgehensweise zwingend erforderlich. Fehler aufgrund voreiligen oder nachlässigen Handelns wiegen schwer und sind oftmals nicht mehr korrigierbar, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlichen soll.

Unterlassungssünden im Versicherungsfall

Arbeitnehmer Max Mustermann, Angestellter mit hoher Budget- und Personalverantwortung im öffentlichen Dienst, wurde von seinem Vorgesetzten und seinen Kollegen regelmäßig gemobbt. Die hohe Arbeitsbelastung, ständiger Termindruck und die sehr belastende Situation in seinem beruflichen Umfeld forderten ihren Tribut. Die anfängliche Burn-out-Diagnose des Hausarztes wurde von einem Facharzt sehr schnell als schwere Depression des Patienten erkannt.

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Eine längere Arbeitsunfähigkeit von neun Monaten war die Folge. Herr Mustermann, Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung, war von seinem Versicherungsmakler gut beraten und das Krankentagegeld vermeintlich in ausreichender Höhe abgesichert worden. Nachdem ein erster Wiedereingliederungsversuch bereits nach zwei Wochen abgebrochen werden musste, testierte der behandelnde Arzt für weitere acht Monate eine Arbeitsunfähigkeit seines Patienten.

Nach einer sechswöchigen Wiedereingliederung übernahm Herr Mustermann wieder seine beruflichen Aufgaben in vollem Umfang. Drei Monate später brach der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz zusammen und eine weitere Arbeitsunfähigkeit folgte. Nach einer Zahlung von Krankentagegeld für weitere zwölf Monate musste sich der Versicherungsnehmer bei einem Gutachter vorstellen und der private Krankenversicherer beendete die Krankentagegeldversicherung aufgrund von Berufsunfähigkeit.

Ein Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit wurde bei dem zuständigen Lebensversicherer eingereicht und bei der Deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt. Der Bescheid des Rentenversicherungsträgers sorgte bei dem Versicherten für Ernüchterung und brachte den Versicherungsmakler in große Erklärungsnöte.

So hatte Herr Mustermann in den letzten fünf Jahren für fast 26 Monate Krankentagegeld erhalten und während des Krankentagegeldbezugs keine Pflichtbeiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt. Die erforderliche Belegung mit 36 monatlichen Pflichtbeiträgen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung wurde somit nicht erfüllt und der Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung war verwirkt.

Die Frage, welche Aufklärungs- und Hinweispflichten dem Versicherungsmakler zuzurechnen sind, kann nun engagiert diskutiert werden. In den meisten Fällen wird der Krankentagegeldanspruch von Arbeitnehmern mit einer privaten Krankenversicherung dem durchschnittlichen Nettoeinkommen des Versicherungsnehmers entsprechen.

Der Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit wird deshalb aufgrund der meist deutlich niedrigeren Rentenleistung sehr gerne hinausgeschoben. Dies auch mit der Begründung, dass der Lebensversicherer bei Anerkennung einer Berufsunfähigkeit eine rückwirkende Leistungszahlung erbringt.

Allerdings sollte und darf der Anspruch des Arbeitnehmers und anderer in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherter Kunden auf eine Rente wegen teilweiser oder vollständiger Erwerbsminderung nicht unberücksichtigt bleiben.

Nicht jede längere Arbeitsunfähigkeit mündet zwangsweise in eine Erwerbsminderung. Der Hinweis auf die möglichen Wechselwirkungen eines langfristigen Krankentagegeldbezugs mit dem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung und die optionale Zahlung von freiwilligen Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung sollte aber gegeben werden.

Ausreichende Absicherung bei Arbeitsunfähigkeit?

Jeder Berufsunfähigkeit geht regelmäßig eine längere Arbeitsunfähigkeit voraus. Viele Kunden sind genau auf diesen Störfall nur unzureichend vorbereitet. Vor allem in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmer haben zumeist keine konkrete Vorstellung von der Höhe ihres Anspruchs auf Krankengeld und der Versorgungslücke im Fall einer über die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers hinausreichenden Arbeitsunfähigkeit.

In den meisten Fällen sind Arbeitnehmerkunden von diesem Versorgungsfall gerade einmal sechs Wochen entfernt. Zur Erinnerung: Der Anspruch auf Krankengeld bemisst sich mit 70 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens der letzten zwölf Monate vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, höchstens aber mit 90 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Versicherten.

Für freiwillig gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer wird das Krankengeld mit 70 Prozent der aktuellen Beitragsbemessungsgrenze berechnet. Vor allem für die letztgenannte Kundengruppe geht die Schere zwischen dem Nettoeinkommen und dem Krankengeld besonders weit auf.

Das Krankengeld der gesetzlichen Krankenkassen kann steuerfrei vereinnahmt, muss aber verbeitragt werden. Das bedeutet, der Arbeitnehmer muss die arbeitnehmeranteiligen Beiträge zur Arbeitslosen-, gesetzlichen Renten- und sozialen Pflegeversicherung abführen.

Der Beitragszuschlag zur sozialen Pflegeversicherung für kinderlose Versicherte ab dem vollendeten 23. Lebensjahr geht in vollem Umfang zulasten des Versicherten. Hier stellt sich die Frage nach der Pflicht des Vermittlers und insbesondere des Versicherungsmaklers zur Aufklärung des Kunden.

Korrekte Bedarfsermittlung, aber unzureichende Aufklärung?

Nachdem vor der Einrichtung einer Grundfähigkeiten-, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung routinemäßig eine Bedarfsermittlung durchgeführt werden sollte, erhält der Vermittler Kenntnis vom Arbeitseinkommen seines Kunden. Im Fall einer unzureichenden Absicherung des Arbeitsunfähigkeitsrisikos kann der Vermittler sehr schnell in Erklärungsnöte geraten.

Sofern beispielsweise eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer höheren Monatsrente abgeschlossen wurde, musste im Antrag das Jahreseinkommen der versicherten Person für die letzten drei Kalenderjahre vor Antragstellung angegeben werden. In diesem Fall wurde die Einkommenssituation der versicherten Person in Schriftform dokumentiert und der Nachweis über eine ordnungsgemäße Information des Vermittlers kann im Streitfall unproblematisch geführt werden.

Mit der Einbindung des Arbeitsunfähigkeitsrisikos in die Vorsorgeberatung zur Absicherung der Arbeitskraft setzt der Vermittler im Kundengespräch auf einem Schadenereignis auf, das praktisch jeder Kunde aus seiner persönlichen Erfahrung kennt.

Die Bänderdehnung beim Fußballtraining, der grippale Infekt oder auch Rückenbeschwerden, die Ursachen für eine Arbeitsunfähigkeit sind zahlreich und allein die AOK bezifferte die Fehlzeiten ihrer Mitglieder für das Jahr 2018 auf 13,98 Millionen Tage.

Für das Jahr 2020 werden, auch als direkte und indirekte Folgen der COVID-19-Pandemie und der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, gestiegene Fehlzeiten erwartet. Eine flankierende Absicherung des Arbeitsunfähigkeitsrisikos mit einer Krankentagegeldversicherung sollte somit bei gesetzlich krankenversicherten Kunden routinemäßig angesprochen werden.

Sofern der Kunde diesen ergänzenden Versicherungsschutz ausdrücklich ablehnt, sollte die Kundenentscheidung immer in das Beratungsprotokoll des Vermittlers aufgenommen werden.

 

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