GKV-Finanzen unter Druck: Crashkurs vorprogrammiert?

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Die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geraten durch die kostspielige Ausgabenpolitik auf Bundesebene und durch versicherungsfremde Aufgaben massiv unter Druck. Nach den vorläufigen offiziellen Jahresergebnissen muss die GKV 2020 ein Minus von 2,7 Mrd. Euro verbuchen, davon 235 Mio. bei den Betriebskrankenkassen (BKK).

Sigrid König, Vorständin des BKK Landesverbandes Bayern stellt fest: „2021 werden bei den meisten Krankenkassen die Rücklagen flüssig gemacht, die Kassen sind dann weitgehend leer. Es ist fünf nach zwölf für einen Kurswechsel. Wir müssen weg von der reinen Ausgaben- hin zu einer qualitätsorientiert-strukturverändernden Politik.“

Zu Beginn des Jahres wurden die Krankenkassen vom Gesetzgeber gezwungen, ihre Rücklagen erheblich abzuschmelzen. Gleichzeitig stiegen die Beitragssätze mit durchschnittlich 15,9 Prozent auf Rekordhöhe an.

Sigrid König: „Die Belastungsgrenze von Beitrags- und Steuerzahlenden ist längst überschritten. Wir können und dürfen uns eine fortwährende Über- und Fehlversorgung nicht mehr leisten, wenn wir ein am Menschen orientiertes Gesundheitssystem wollen.“

Die BKK-Chefin fordert:

„Wir brauchen eine grundlegende Reform im stationären Bereich. Zusätzlich muss die Politik sektorenübergreifende Lösungen mit einer ganzheitlichen Betrachtung der Gesundheit der Menschen angehen. Insbesondere bei chronischen Krankheiten setzen wir zu sehr auf Maschinenmedizin. Diese muss um eine stressabbauende psychosoziale Betrachtungsweise ergänzt oder sogar ersetzt werden.“

Auch weil sich die Politik seit Jahren sträubt, strukturelle Defizite anzugehen, steigen die Ausgaben der GKV von Jahr zu Jahr an.

„Zusätzliches Geld mag kurzfristig Systemmängel verdecken. Wenn aber die Ursachen nicht angegangen werden, werden die Probleme größer und unfinanzierbar.“

Das Defizit steigt auch dadurch, dass die Ausgaben für das zurückliegende Jahr um über eine Milliarde Euro unterschätzt wurden. Allein die Kostenwirkungen der Gesetzvorhaben, die 2021 relevant werden, schätzt der BKK Landesverband Bayern auf bis zu 14 Milliarden Euro. Einher mit der steigenden Ausgabenlast gehen konjunkturbedingt sinkende Einnahmen.

Viele versicherungsfremde Leistungen gewinnen in Zeiten von Corona zudem an Dynamik. So steigen für die GKV die weit unterdeckten Ausgaben für ALG-II-Empfänger, wenn konjunkturbedingt die Arbeitslosigkeit zunimmt.

Bei der GKV werden auch die Ausgaben für Schutzausrüstungen in den Arztpraxen verortet und die Schutzschirme aufgehängt, die eine Umsatzgarantie für die Ärzte garantieren. Zudem wird der Betrieb der Impfzentren zum Teil von den Krankenkassen finanziert.

Auch im Krankenhausbereich wurde die GKV zur Kasse gebeten, indem sie den Aufbau neuer Intensivbetten finanzierte. Diese Betten können aktuell gar nicht belegt werden, weil das Pflegepersonal dafür fehlt. Sigrid König:

„Pandemiebedingte Kosten aber auch andere versicherungsfremde Leistungen sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die über den Staatshaushalt zu verantworten und zu finanzieren sind.“

Versicherungsfremde Leistungen

Das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung WIG² schätzte in einer Studie aus dem Jahr 2020 die Summe versicherungsfremder Leistungen auf 56 Milliarden Euro (2016). Darunter fallen die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Jugendlichen, Ehepartnern sowie der Familienangehörigen von Rentner mit einem Anteil an den Gesamtausgaben von insgesamt über 55 Prozent.

Weitere größere Ausgabenblöcke versicherungsfremder Leistungen werden über die ALG-II-Zuschüsse, Leistungen für Betriebs- und Haushaltshilfen und die häusliche Krankenpflege sowie als Ausgaben für Schwangerschaft und Mutterschutz, betragsfreies Erziehungsgeld und ähnliche Leistungen abgebildet.

Der BKK Landesverband Bayern vertritt als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Interessen der Betriebskrankenkassen und ihrer Versicherten in Bayern. Aktuell zählt der BKK Landesverband Bayern 17 Betriebskrankenkassen als Mitglieder mit rund 3,4 Millionen Versicherten (Kassensitz). In Bayern selbst leben knapp 2,5 Millionen Menschen, die bei einer Betriebskrankenkasse (BKK) versichert sind. Damit verfügen die Betriebskrankenkassen im Freistaat über einen GKV-Marktanteil von rund 22 Prozent.