39 Prozesse stehen alleine beim Landgericht München in den nächsten Wochen an und viele werden im Laufe der nächsten Monate folgen. Am 31. Juli wurden erste Fälle, eine Münchener Kindertagesstätte und drei Gastronomiebetriebe, verhandelt.
Trotz der vorhandenen Betriebsschließungspolicen lehnen die beklagten Versicherer Allianz, Haftpflichtkasse Darmstadt sowie der Bayerische Versicherungsverband Zahlungen ab. Entscheidungen werden laut Richterin Susanne Laufenberg, die den Vorsitz führte, erst im Laufe des Septembers gefällt werden.
Obwohl die Betriebe sich mit einer Betriebsschließungsversicherung vor finanziellen Ausfällen und Verlusten schützen wollten, bleibt ungewiss, ob ihre Klagen erfolgreich sein werden.
„Es kommt auf den Einzelfall an“…
… ließ die Vorsitzende Richterin verlauten. Insbesondere auch in Verbindung mit aktuellen Urteilen. Eine Gelsenkirchener Gaststätte hatte mit ihrer Klage vor dem OLG Hamm keinen Erfolg. Der beklagte Versicherer hatte klar formuliert, dass Versicherungsschutz nur für die genannten Krankheiten vorhanden ist. Diese Eindeutigkeit würde im Allianz-Vertrag fehlen. Vor dem Landgericht Mannheim wird ein Fall verhandelt, bei dem der Antrag eines Hoteliers auf einstweilige Verfügung gegen den Versicherer zwar abgelehnt und gleichzeitig ein grundsätzlicher Anspruch auf eine Versicherungsleistung bestätigt wurde. Die Auslegung einzelner Formulierungen im Vertragswerk und somit die Transparenz wird ausschlaggebend sein.
Möglicherweise droht dem Branchenprimus Allianz eine Niederlage. Denn schon im Sachvortrag wurde die Intransparenz des Vertrags von der Richterin kritisiert. Ein Kunde müsse jeweils erkennen können, wofür Versicherungsschutz besteht oder auch, ob eine Lücke vorhanden sei.
Nicht aufgeführte Krankheiten wären nicht versichert
Das Ausflugslokal „Tatzlwurm“ fordert von der Allianz 236 000 Euro. Im besagten Streitfall sind laut Vertrag der Allianz Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz zwar abgedeckt. Doch zur Liste der Krankheiten, die die Grundlage des Versicherungsvertrags bilden, gehört Covid-19, als neue Diagnose, nicht. Deshalb lehnt die Allianz eine Zahlung auch ab und verweist auf den konkreten Bezug in den AVB zum Infektionsschutzgesetz: nicht aufgelistete Krankheiten sind nicht versichert. Fakt ist jedoch auch, dass die Allianz zwar einen Verweis auf das Infektionsschutzgesetz setzt, aber nicht alle dort erwähnten Krankheiten aufführt. Zusätzlich zum falschen Zitat wäre noch zu berücksichtigen: Im Infektionsschutzgesetz steht geschrieben, dass auch „nicht namentlich genannte gefährliche Erreger“ meldepflichtig sind.
Münchner Kita klagt gegen HKD
Die Erfolgsaussichten einer Münchner Kindertagesstätte, deren Klage sich gegen die Haftpflichtkasse Darmstadt richtet, dürften relativ gering sein. Die Kindertagesstätte musste zwar durch das Betretungsverbot schließen, war aber gleichzeitig aufgefordert, eine Notbetreuung für Eltern in systemrelevanten Berufen anzubieten. Hier würde ein Sonderfall vorhanden sein, der durch die Versicherungsbedingungen nicht abgedeckt wäre.
Schlupfloch gesucht?
Die Sankt Emeramsmühle klagt gegen die Haftpflichtkasse Darmstadt und der Sachverhalt rund um die Schadensumme von 427.00 Euro gestaltet sich komplex. Bei Abschluss des Versicherungsschutzes bildeten die täglichen Einnahmen im Normalbetrieb die Grundlage. Eine konsequente Vorgehensweise, denn das Lokal verfügt über 190 Innenplätze und 900 Plätze im Außenbereich. Schwankungen sind somit vorprogrammiert. Die Idee des Versicherers ist nun aber eine alternative Herangehensweise an eine mögliche Schadenregulierung. Der Anwalt des Versicherers trug vor, dass nicht der Normalbetrieb die Grundlage für eine Leistung bilden soll, sondern die Einnahmen kurz vor und während der Schließung des Lokals durch Corona.
Dadurch würde die zu leistende Summe für den Versicherer wesentlich niedriger ausfallen: Wo keine Einnahmen, da keine Verluste, da keine Leistung?! Der Geschäftsführer der Sankt Emeramsmühle ist zudem aufgefordert, betriebswirtschaftliche Auswertungen von Vergleichszeiträumen aus den Vorjahren vorzulegen. Es wird geprüft werden, ob die bei Vertragsabschluss angegebenen Daten für die Tagestaxe der Realität entsprechen und ob eine jährliche Abfrage zur Aktualität der Daten durch den Versicherer oder den Versicherungsmakler erfolgt war. Falls der Umsatz eine Kurve nach unten gezeigt hätte, argumentiert die Richterin, wäre konsequenterweise die Versicherungssumme und somit auch die Versicherungsprämie anzupassen gewesen.
Die höchste Schadensumme wurde dann am Nachmittag verhandelt. Über eine 1 Million Euro fordert der Betreiber und Pächter des Augustinerkellers vom Bayerischen Versicherungsverband für die Zeit der Schließung vom 21. März bis 18. Mai 2020. Es dürfte spannend bleiben. Fortsetzung folgt im September.
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