Viele traditionelle Versicherer hinken der digitalen Transformation hinterher und riskieren so, im Wettbewerb von innovativen Newcomern verdrängt zu werden. Allerdings geht die größte Gefahr nicht von InsurTechs aus, sondern von neuen Angeboten, sogenannten „Financial Homes“, an denen bereits ein Drittel der Konsumenten in Europa Interesse haben. Dies zeigt die „Financial Needs“-Studie der Strategieberatung Oliver Wyman.
Financial Homes sind digitale Plattformen, die als zentraler Anlaufpunkt für Endverbraucher alle Finanz- und Versicherungsangebote bündeln. Als bevorzugter Anbieter für ein Financial Home stehen für 62 Prozent der Befragten die Banken an erster Stelle, gefolgt von Finanzberatungs-Apps (17 Prozent). Dagegen belegen Versicherungen mit 14 Prozent lediglich den dritten Platz, allerdings noch vor den Big Techs (6 Prozent).
Stefan Wojahn, Partner bei Oliver Wyman und Experte für Bancassurance und Digitalisierung im Vertrieb, sagt:
„Hier stellt sich die Frage, ob Versicherungen die Chance haben, sich als zentraler Anlaufpunkt in allen Finanzfragen zu etablieren, oder ob sie in die Rolle des reinen Produktlieferanten in Financial Homes anderer Anbieter gedrängt werden.“
Ein Drittel der befragten Konsumenten in Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und im Vereinigten Königreich hat Interesse an digitalen Plattformlösungen, die es möglich machen, an einem zentralen Platz alle Finanzen und Versicherungen zu managen.
Durch den Zugang zu den Bankkonten der Kunden und den damit verbundenen Analyse-Möglichkeiten können die Plattformen den Kunden konkrete Handlungsempfehlungen geben, wie sie ihre Finanzen und Versicherungen optimieren können.
Daten bringen Optimierungspotenzial
Dies macht die EU-Zahlungsdienstrichtlinie PSD II möglich. Sie schreibt Banken vor, von der BaFin zertifizierten externen Dienstleistern, wie FinTechs oder Versicherungen, Zugriff auf Kontodaten der Kunden zu gewähren, wenn diese ihr Einverständnis geben. Dadurch erhalten Financial Homes einen detaillierten Einblick in die Ein- und Ausgaben, das verfügbare Einkommen, die Lebenshaltungskosten, aber auch über bestehende Versicherungen und sonstige Verträge. Kombiniert mit intelligenten Tools können die Plattformen die Transaktionsdaten analysieren und dem Kunden Optimierungspotenziale aufzeigen: Wo besteht weiterer Versicherungsbedarf, gibt es günstigere Alternativen zu bestehenden Verträgen oder sollten nicht notwendige Versicherungen gekündigt werden.
Durch die Integration weiterer Ökosysteme können dem Kunden zusätzliche Kostenoptimierungen aufgezeigt werden – sei es im Bereich Telefon, Strom oder Transportdienstleitungen. Auch beim Eintritt zentraler Lebensereignisse, wie dem Kauf einer Immobilie oder einem Jobverlust, können Financial Homes sinnvolle Handlungsempfehlungen geben. So können sie für den Verbraucher als täglicher Wegbegleiter und Berater zum „One-Stop-Shop“ in allen Finanz-, Versicherungs- und weiteren Vertragsfragen werden.
Unterschiedliche Unternehmen stehen bereits in den Startlöchern, um einen umfassenden digitalen Vertriebskanal im Bereich Finanzierung und Versicherungen anzubieten. Im Wettbewerb stehen nicht nur etablierte Anbieter wie Banken und Versicherungen, sondern auch Big Techs, etwa Amazon, Apple und Google, FinTechs und Vergleichsportale.
Kunden vertrauen Versicherungen
Doch Versicherungen verfügen auch über klare Stärken. So geben diejenigen Befragten, die einen Versicherer als bevorzugten Anbieter für ein Financial Home ausgewählt haben, folgende Hauptgründe dafür an: Sicherheit (39 Prozent), „natural fit to provide“ (26 Prozent), die Technologie (25 Prozent) sowie das Vertrauen in die Marke und den guten Ruf (19 Prozent).
Stefan Wojahn erklärt:
„Daraus ergibt sich durchaus das Potenzial für größere Versicherer, einen Premium-Marktplatz mit weiteren Partnern aufzubauen, dem die Kunden vertrauen können. Für andere wird es entscheidend sein, sich auf die Bedarfe der zukünftigen Financial Home Platzhirsche – darunter sicher viele Banken – einzustellen: innovative Produkte, z. B. unter Nutzung von Bankdaten zur einfachen Tarifierung, und das Know- how, Financial Home Kunden optimal auf Versicherungsprodukte anzusprechen sind dabei zwei Beispiele.“
Traditionelle Versicherungen sind gefordert, digitale Angebote mit viel Flexibilität und attraktiven Preisen anzubieten, um nicht vom Wettbewerb verdrängt zu werden. Gleichzeitig müssen sie sich den Herausforderungen der neu entstehenden Financial Homes stellen.
Dietmar Kottmann, Partner und Verantwortlicher für das Versicherungsgeschäft in DACH bei Oliver Wyman, dazu:
„Da Banken von den Verbrauchern als bevorzugter Anbieter gesehen werden, wird es nur wenigen Versicherern gelingen, selbst umfassende digitale Plattformen zu entwickeln. Deswegen sollten sie sich als attraktiver Partner für Financial Homes anderer Anbieter aufstellen. Dabei können sie ihre Stärken wie etablierte Marken und hohes Verbrauchervertrauen als wichtige Assets mit einbringen.“
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