Mindestlohn steigt ab 2026 auf 13,90 Euro: Soziale Wohltat oder wirtschaftliches Risiko?
Mit der jüngst beschlossenen Anhebung auf 13,90 Euro zum 1. Januar 2026 und 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 rückt eine alte Frage neu in den Fokus: Ist der gesetzliche Mindestlohn noch ein Schutzinstrument – oder zunehmend ein ordnungspolitischer Eingriff mit Nebenwirkungen?
Deutschland hat seit 2015 einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Er soll eine Lohnuntergrenze definieren, die vor Ausbeutung schützt und faire Wettbewerbsbedingungen sichert. Doch mit jeder Erhöhung wächst auch die ökonomische Sprengkraft des Instruments – und mit ihr die strukturellen Zielkonflikte zwischen sozialem Ausgleich, volkswirtschaftlicher Effizienz und institutioneller Ordnung.
Ein kurzer Rückblick – vom arbeitsmarktpolitischen Kompromiss zur dynamischen Stellschraube
Der gesetzliche Mindestlohn wurde Anfang 2015 mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro eingeführt. Die anfängliche politische Zurückhaltung wich bald einem aktivistischen Zugriff: Ab 2017 erfolgten regelmäßige Anpassungen durch die paritätisch besetzte Mindestlohnkommission, deren Entscheidungen sich an der allgemeinen Tariflohnentwicklung orientieren sollten. Mit dem politisch initiierten Sprung auf 12 Euro im Oktober 2022 – per Gesetz, nicht durch Kommissionsbeschluss – wurde das Instrument endgültig zum Hebel für sozialpolitische Gestaltung.
Die aktuelle Entwicklung im Überblick:
- 01.01.2024: 12,41 Euro
- 01.01.2025: 12,82 Euro
- 01.01.2026: 13,90 Euro
- 01.01.2027: 14,60 Euro
Ein Plus von fast 14 Prozent in zwei Jahren – und über 21 Prozent seit 2024.
Soziale Wirkung: Mehr Geld für viele – aber wie lange tragfähig?
Für Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor, insbesondere in Pflege, Gastronomie, Einzelhandel oder Logistik, bedeuten die Anhebungen spürbare Einkommenszuwächse. Ministerin Bärbel Bas bezeichnete die Maßnahme als
„wichtigen Schritt für mehr Gerechtigkeit und Anerkennung derer, die unser Land Tag für Tag am Laufen halten“.
Der Mindestlohn erfüllt hier unzweifelhaft eine soziale Schutzfunktion.
Doch ökonomisch betrachtet wirkt diese Maßnahme auch wie ein Markteingriff mit potenziellen Nebenwirkungen:
In vielen betroffenen Branchen stagniert die Produktivität. Ein starker Anstieg der Lohnkosten ohne entsprechende Effizienzgewinne erhöht den Preisdruck – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.
Die Lohn-Preis-Spirale ist nicht hypothetisch. Mindestlohnerhöhungen schlagen auf viele konsumnahe Dienstleistungen durch – ein Faktor, der die ohnehin fragile Inflationslage weiter destabilisieren kann.
Wenn der Mindestlohn zu nahe an tarifliche Einstiegsgehälter heranrückt, entsteht ein Gerechtigkeitsparadoxon: Qualifizierte Arbeit verliert an relativer Attraktivität, das Leistungsprinzip wird unterlaufen.
Schattenwirtschaft als systemisches Leck
Besonders augenfällig wird der Zielkonflikt im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen. Tätigkeiten wie Reinigung, Gartenpflege oder Alltagsunterstützung sind nicht automatisierbar, nicht skalierbar – und schwer kontrollierbar. Schon heute findet ein Großteil dieser Arbeit informell statt. Mit einem Mindestlohn von 14,60 Euro droht der legale Markt in diesem Bereich vollständig zu erodieren. Der Preis für politisch gewollte Gerechtigkeit könnte hier die faktische Entrechtung vieler Beschäftigter in der Schattenwirtschaft sein.
Notwendige Debatte über Maß, Ziel und Mittel
Der gesetzliche Mindestlohn war und ist ein bedeutendes sozialpolitisches Instrument. Doch mit jeder Erhöhung wächst die Gefahr, dass er seine ursprüngliche Funktion verliert – und zum verkappten Lenkungselement in der Wirtschafts- und Verteilungspolitik wird. Die Debatte darüber, was „angemessen“ ist, darf sich nicht nur auf den Lebensstandard konzentrieren, sondern muss auch ökonomische Tragfähigkeit, ordnungspolitische Prinzipien und institutionelle Folgewirkungen berücksichtigen.
Denn sozialer Fortschritt ist dann stabil, wenn er auch ökonomisch solide ist.
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