Die Wegzugsteuer trifft Unternehmer und Unternehmen gleichermaßen – von der GmbH bis zur Aktiengesellschaft. Sie wird fällig, wenn stille Reserven ins Ausland verlagert werden und betrifft nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch natürliche Personen. Warum diese Steuer oft unterschätzt wird, welche Fehler Unternehmen vermeiden sollten und wie andere Länder mit dem Thema umgehen, erklärt Steuerexperte Prof. Dr. Christoph Juhn im Exklusiv-Interview.
Wie definiert sich die Wegzugsteuer und welche Unternehmen oder Unternehmer betrifft sie konkret?
Bei der Wegzugsteuer handelt es sich um ein Instrument, das Steueransprüche des deutschen Staates sichert. Sie betrifft in erster Linie Unternehmer und Gesellschafter mit wesentlichen Anteilen an Kapitalgesellschaften. Auch Firmen selbst können hier vom Fiskus zur Kasse gebeten werden, etwa wenn Unternehmen ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung ins Ausland verlegen. Oft auch als Exit-Tax bezeichnet, soll diese Steuer gewährleisten, dass stille Reserven, die hierzulande gebildet wurden, auch in der Bundesrepublik besteuert werden, wenn Deutschland das Besteuerungsrecht verliert, weil die betroffene Person oder das Unternehmen das Land verlässt. Die Bemessungsgrundlage ist dabei die Differenz zwischen dem Marktwert der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs und den Anschaffungskosten.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Wegzugsteuer erhoben wird?
Damit der Staat von natürlichen Personen oder Unternehmen eine Wegzugsteuer einfordern kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Neben der bereits erwähnten Verlagerung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. im Falle eines Unternehmens des Standorts oder der Geschäftsleitung ins Ausland spielt vor allem die Dauer der vorherigen Steuerpflicht in der Bundesrepublik eine Rolle. Die Abgabe greift bei natürlichen Personen, die in den vergangenen zwölf Jahren mindestens sieben Jahre in Deutschland steuerpflichtig waren und eine wesentliche Beteiligung an Kapitalgesellschaften halten. Konkret heißt das, wer mit mindestens 1 Prozent an einer GmbH oder einer AG beteiligt ist, wird vom Staat zu Kasse gebeten, wenn er das Land dauerhaft verlässt. Für Kapitalgesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung ins Ausland verlegen, greifen spezielle Regelungen des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Welche konkreten steuerlichen Belastungen entstehen durch die Wegzugsteuer?
Um die konkrete steuerliche Belastung für ein Unternehmen zu beziffern, werden alle von der Verlagerung ins Ausland betroffenen Wirtschaftsgüter bewertet. Die Berechnungsgrundlage bildet dabei die Differenz zwischen dem Buchwert eines Vermögenswertes, der seine ursprünglichen Anschaffungskosten abzüglich Abschreibungen darstellt, und seinem Verkehrswert, der den aktuellen Marktwert widerspiegelt. Dieser auch als „stille Reserve“ bezeichnete Unterschied stellt den bis zum Wegzug noch nicht besteuerten Wertzuwachs dar, der bei der Verlagerung des Unternehmenssitzes vom Fiskus mit Abgaben belegt wird. Ein Beispiel: Hat der Maschinenpark eines Betriebs einen Buchwert von einer Million Euro und einen Verkehrswert von drei Millionen Euro, ergibt sich eine Differenz von zwei Millionen Euro, die als stille Reserven mit den jeweils geltenden Steuersätzen belegt werden. Neben materiellen Wirtschaftsgütern wie Maschinen müssen auch immaterielle Vermögenswerte berücksichtigt werden. Dazu zählen unter anderem Patente, Markenrechte und der Firmenwert (Goodwill), die über Jahre hinweg erhebliche Wertsteigerungen und damit stille Reserven verzeichnen können. Existiert ein Patent mit einem Buchwert von 0,5 Millionen Euro und weist einen Verkehrswert von 2 Millionen Euro auf, werden 1,5 Millionen Euro als stille Reserven besteuert.
Erfahrungsgemäß erfordert die genaue Bewertung aller Unternehmenswerte eine detaillierte Prüfung unter Einbeziehung der steuerlichen Regelungen. Entsprechend sollten Unternehmen frühzeitig mit der Planung beginnen und Experten hinzuziehen, um die steuerliche Belastung korrekt zu ermitteln und mögliche Risiken zu minimieren.
Gibt es Unterschiede zwischen natürlichen Personen und Kapitalgesellschaften?
Bei betroffenen natürlichen Personen funktioniert die Berechnung der Wegzugsteuer im Prinzip ähnlich. Zur Berechnung der Wegzugsteuer wird eine fiktive Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft unterstellt. Dabei fließt zwar kein Geld, trotzdem muss der Wertzuwachs der Beteilung versteuert werden. Es entsteht also Einkommen ohne tatsächlichen Geldfluss, das im Fachjargon auch als Dry Income bezeichnet wird. Ein konkretes Beispiel macht das deutlicher: Eine GmbH-Gesellschafterin, die sieben Prozent der Anteile hält, zieht ins Ausland. In den vergangen drei Jahren betrugen die Gewinne der GmbH im Durchschnitt 186.500 Euro. Nach dem sogenannten vereinfachten Ertragswertverfahren wird dieser Durchschnittswert mit dem Faktor 13,75 multipliziert. Wiederum 60 Prozent dieses Wertes belegt der Staat mit dem persönlichen Steuersatz des Gesellschafters. Angenommen, der liegt bei 30 Prozent, dann zahlt die Gesellschafterin 32.311,13°Euro Wegzugsteuer auf ihre GmbH-Anteile.
Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, die Wegzugsteuer zu vermeiden oder zu minimieren?
Es gibt verschiedene Strategien, um die Wegzugsteuer zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Wie bereits erwähnt, betrifft die Wegzugsteuer lediglich Kapitalgesellschaften. Entsprechend hilft bereits ein simpler Formwechsel etwa hin zu einer Personengesellschaft. Empfehlenswert ist dabei die Umwandlung in eine GmbH & Co. KG. Solche Umwandlungen haben bereits zahlreiche Unternehmen hinter sich, sie sind jedoch mit einigem Aufwand verbunden, da nicht zuletzt auch sichergestellt werden muss, dass die Personengesellschaft ihren Sitz unbedingt in Deutschland hat. Ansonsten entfällt zwar die Wegzugsteuer, dafür greift aber die sogenannte „Entstrickungsteuer“, die ebenfalls das Ziel verfolgt, stille Reserven im Unternehmen aufzudecken und mit Abgaben zu belegen. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit, eine Familienstiftung zu gründen, die Gesellschaftsanteile auf sie zu übertragen und die Stiftung somit selbst zur Gesellschafterin zu machen. Zwar handelt es sich bei einer Stiftung ebenfalls um eine Körperschaft, sie kennt jedoch keine Anteilseigner. So profitiert der Stifter als Begünstigter weiterhin vom erwirtschafteten Erfolg der GmbH, wenn auch indirekt. Die Stiftung selbst agiert aber unabhängig von den individuellen Lebensumständen ihres Stifters. In der Praxis kann eine Lösung ziemlich kompliziert aussehen, entsprechend sorgfältig gilt es einen Wegzug vorzubereiten.
Wie wirken sich die steuerrechtlichen Regelungen anderer Länder auf die Wegzugsteuer aus?
Das Prinzip der Wegzugsbesteuerung wird nicht exklusiv vom deutschen Staat angewandt. So kennt beispielsweise auch der Code général des impôts in Frankreich eine solche Abgabe. In seiner ursprünglichen Ausführung vor 2004 und vor dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland ähnelten die Regeln unseres Nachbarlands auch den unseren. Mit der gemeinschaftskonformen Anpassung des § 6 AStG 2006 wurde bei Wegzug innerhalb der EU bzw. des EWR eine zinslose Stundung der Abgabe bis zur tatsächlichen Veräußerung der Beteiligung oder einer Wohnsitzverlegung in ein Land außerhalb des europäischen Staatenverbunds eingeführt. Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz 2021 ist diese Stundung jedoch wieder entfallen und wurde durch die Möglichkeit zur Zahlung der Steuer in bis zu sieben Jahresraten als befristete Zahlungserleichterung ersetzt. Wobei es auch hier bereits wegweisende Urteile, wie die Rechtssache Wächtler, gibt, die der Verschärfung der Wegzugsteuer Grenzen setzen, da die Neuregelung u. a. in Konflikt mit der garantierten Niederlassungsfreiheit in der EU steht. Ob es hier zu einer weiteren Reform kommt, bleibt allerdings abzuwarten. Die Neueinführung des § 19 Abs. 3 InvStG schließt ab 2025 weitere Besteuerungslücken, die es Anlegern bisher ermöglichten, durch Einlage von Beteiligung in Fonds die Abgabe nach § 6 AStG zu umgehen. Wen es in Länder außerhalb der EU zieht, für den spielen grundsätzlich auch Doppelbesteuerungsabkommen eine Rolle. Sie schaffen aber nicht immer eine unmittelbare „Sperrwirkung“, die eine Wegzugsbesteuerung ausschließt, da das deutsche Recht den Wertzuwachs, der unter deutscher Steuerhoheit entstanden ist, bis zum Wegzugszeitpunkt besteuern möchte.
Was sind häufige Fehler, die Unternehmen beim Wegzug ins Ausland machen, und wie können diese vermieden werden?
Beim Wegzug eines Unternehmens ins Ausland gibt es eine Vielzahl potenzieller Fallstricke, die häufig auf unzureichende Planung, mangelnde Kenntnis der rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen oder fehlerhafte Umsetzung zurückzuführen sind. Für alle, die es in die Ferne zieht, empfiehlt sich also eine sorgfältige Vorbereitung – etwa um die bereits erwähnte Wegzugsbesteuerung zu minimieren. In der Praxis erleben wir immer wieder, dass nicht nur die finanzielle Belastung hier häufig unterschätzt wird. Oft fehlt auch ein Verständnis dafür, dass sich lokale Steuergesetze im Zielland komplett von den Regelungen unterscheiden können, die ein Unternehmen bisher gewohnt war. Wer beispielsweise die Gründung einer LLC (Limited Liability Company) in Dubai anstrebt, kann das aufgrund von weitestgehend standardisierten Prozessen in nur elf Schritten vollziehen, sollte sich aber trotzdem eingehend mit der ordnungsgemäßen Anmeldung der Betriebsstätte und der Anpassung an lokale Compliance-Vorschriften auseinandersetzen. Denn seit etwa einem Jahr gibt es auch im Steuerparadies Dubai eine Körperschaftsteuer von neun Prozent. Entsprechend müssen sich alle lizenzierten Neugründungen beim Finanzamt, der Federal Tax Authority, melden. Um hier nicht ins Straucheln zu kommen, hilft eine Checkliste, den Überblick zu behalten. Idealerweise arbeiten Unternehmen aber mit kompetenten Steuerberatern und Rechtsanwälten zusammen, die sich sowohl mit den Vorschriften vor Ort als auch mit den Regeln des Heimatlandes auskennen.
Wie bewerten Sie die aktuelle steuerliche Attraktivität Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern und welche Auswirkungen hat die Wegzugsteuer auf die Standortentscheidung von Unternehmen?
Im internationalen Vergleich gilt Deutschland als Hochsteuerland. Wie eine Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie zeigt, werden in kaum einem anderen Industrieland Unternehmen so stark vom Fiskus zur Kasse gebeten wie in der BRD. 2023 betrug die nominale Steuerbelastung durchschnittlich 29,9 Prozent. In der gesamten EU hingegen lag die durchschnittliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften mit 21,1 Prozent deutlich niedriger. In der Folge glauben viele Firmen nicht mehr an eine Zukunft in Deutschland, sodass 37 Prozent der Industriebetriebe erwägen, ihre Produktion einzuschränken oder sie ins Ausland zu verlagern. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Vor dem Hintergrund einer insgesamt negativen wirtschaftlichen Entwicklung sind dringend größere Steuerreformen nötig, um nicht weiter an Standortattraktivität zu verlieren, wobei Abgaben an den Fiskus sicher selten allein ausschlaggebend für die Standortwahl sind.
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