Die deutschen Lebensversicherer können von höheren Zinsen und der Auflösung der Zinszusatzreserve (ZZR) profitieren. Allerdings schmälern stille Lasten und abfließende Einmalbeiträge die finanzielle Position der Branche. Auch deshalb wirkt sich der Zinsaufschwung erst langsam in der Nettoverzinsung der Kapitalanlagen aus, die derzeit unter dem Marktzins liegt.
Dennoch können sich Kunden über erste Anstiege bei der Überschussbeteiligungen freuen. Bewegung in die Produktlandschaft wird die Anhebung des gesetzlichen Höchstrechnungszinses zum 01.01.2025 bringen. Dies teilte die Rating-Agentur Assekurata auf ihrer Online-Pressekonferenz „Marktausblick zur Lebensversicherung“ mit.
Lebensversicherer streben nach Zinserträgen
Unsichere Inflationsdaten bewegen die Europäische Zentralbank (EZB) aktuell zu einer zurückhaltenden Geldpolitik. Obwohl sie Anfang Juni den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte gesenkt hat, liegt er mit 4,25 Prozent noch immer auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Hiervon versuchen die Lebensversicherer in ihrer Kapitalanlage zu profitieren, wie eine aktuelle Assekurata-Befragung unter Asset Managern belegt. So plant ein Großteil der Unternehmen, seine Investitionsquote im Bereich der festverzinslichen Anlagen im Jahr 2024 auszuweiten.
„Hierdurch versuchen die Gesellschaften, ihre Bilanz zu stärken und den Zinsertrag in ihren Anlageportfolios zu erhöhen, nachdem dieser über viele Jahre Niedrigzins deutlich nach unten gegangen ist“, erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata. Daneben favorisieren einige Manager auch alternative Anlagen im Bereich Private Equity und Infrastruktur. Aktien- und Immobilieninvestments hingegen werden insgesamt verhaltener eingeschätzt.
Ertragsperspektive hat sich verbessert
Mit dem aktuellen Zinsniveau können die Anbieter in der Neuanlage wieder höhere Zinsen erzielen als für die Bedienung der Bestandsgarantien an die Versicherten notwendig ist. „Hierdurch hat sich die Ertragssituation deutlich entspannt“, sagt Lars Heermann. Zugleich haben die Lebensversicherer seit 2022 mit der Auflösung der Zinszusatzreserve begonnen, die in Niedrigzinszeiten zur Finanzierung der Altgarantien aufgebaut wurde und bis Ende 2021 einen Spitzenwert von 96 Mrd. Euro erreicht hatte. Zum Bilanzstichtag 2023 belief sich die ZZR branchenweit noch auf 88 Mrd. Euro, wie Assekurata ermittelt hat.
Für die kommenden Jahre rechnet die Rating-Agentur mit weiteren Auflösungen im mittleren einstelligen Milliardenbereich. Die Rückflüsse aus der ZZR stehen grundsätzlich den Kunden zu. Erste Effekte daraus zeigen sich bereits in der Form von höheren Überschussbeteiligungen, so dass die laufende Verzinsung für 2024 zumindest leicht gestiegen ist. Im Neugeschäft gewähren die Lebensversicherer für klassische private Rentenversicherungen nunmehr eine laufende Verzinsung von durchschnittlich 2,46 Prozent (Vorjahr: 2,26 Prozent).
Stille Lasten schränken Flexibilität ein
Dass die Überschussbeteiligungen nicht unmittelbarer auf den gestiegenen Marktzins und die rückfließenden ZZR-Mittel reagieren, liegt zum einen an dem langfristigen Geschäfts- und Anlagemodell der Lebensversicherer. Zum anderen hat der rapide Zinsanstieg zu umfangreichen stillen Lasten in den Kapitalanlagebüchern geführt. Nach Auswertungen der Assekurata-Analysten lagen sie Ende 2023 branchenweit bei rund 75 Mrd. Euro nach sogar 105 Mrd. Euro im Vorjahr.
„Bei den stillen Lasten handelt es sich um unrealisierte Verluste auf den Zinsanlagen“, erklärt Assekurata-Bereichsleiter Heermann. „Zwar müssen die Versicherer diese nach den handelsbilanziellen Regeln nicht realisieren oder abschreiben, dennoch stellen sie eine Bürde für die Bemühungen dar, den höheren Marktzins am Kapitalmarkt zu vereinnahmen.“ Die Anbieter bemühten sich daher durch den teilweisen Verkauf von Anleihen, die stillen Lasten in ihren Büchern zu reduzieren. Dies führt zu entsprechenden Verlusten, die wiederum die Nettoverzinsung schmälern, welche im Bilanzjahr 2023 mit 2,30 Prozent weiterhin unterhalb der Umlaufrenditen am Kapitalmarkt lag.
Einmalbeiträge führen zu geringerem Bestandswachstum
Laut Assekurata wird die Umschichtungsdynamik in der Kapitalanlage auch durch das geringe Neugeschäft gebremst. So war das Geschäftsjahr 2023 von einem Abrieb beim Prämienbestand der Branche von 4 Prozent auf 89 Mrd. Euro gekennzeichnet, was maßgeblich auf die weiter rückläufigen Einmalbeiträge zurückzuführen ist, die unter den erschwerten Wettbewerbsbedingungen gegenüber den Konditionen von Banken leiden. Für 2024 rechnet Assekurata mit einem weiteren Bestandsrückgang auf 87,5 Mio. Euro. „Langfristig dürfte das Branchenwachstum aber von der verbesserten Ertragslage, höheren Überschussbeteiligungen sowie steigenden Realeinkommen und einem zunehmendem Vorsorgebedarf in der Bevölkerung profitieren“, prognostiziert Lars Heermann.
Neuer Höchstrechnungszins ab 2025
Neue Argumente für den Abschluss einer Lebensversicherung liefert auch der gesetzliche Höchstrechnungszins, der ab Januar 2025 von 0,25 Prozent auf 1,00 Prozent ansteigt. „Dies ist die erste Erhöhung des Höchstrechnungszinses seit 30 Jahren und somit eine völlig ungewohnte Situation für die Lebensversicherer, die zwischenzeitlich immer nur auf Absenkungen reagieren mussten“, stellt Lars Heermann heraus. „Dadurch gewinnen Lebensversicherer mehr Spielraum bei der Kalkulation, da sich durch den erhöhten Rechnungszins die erforderliche Deckungsrückstellung für garantierte Leistungen verringert.“
Übergang muss gestaltet werden
In der Konsequenz führt dies dazu, dass Lebensversicherer bei gegebener Garantie die chancenreiche Allokation in den Produkten steigern oder höhere garantierte Leistungen in der Anspar- und Rentenphase einkalkulieren können. Dadurch steigt die Attraktivität und die Wahlmöglichkeit für die Kunden. Zudem dürften einige Anbieter auch Riester-Verträge wieder anbieten, die zum aktuellen Höchstrechnungszins kaum eine Rolle mehr spielen, da sie gesetzlich eine vollständige Bruttobeitragsgarantie erfordern.
Daneben vermindert der höhere Rechnungszins die Bruttoprämien für biometrische Produkte wie Berufs- oder Risikolebensversicherungen, wobei der tatsächliche Netto- bzw. Zahlbeitrag für die Kunden von der individuellen Überschussbeteiligung des Anbieters abhängt. Auch hier erwartet Assekurata demnach Bewegung in der Tarif- und Preispolitik der Lebensversicherer. „Tendenziell werden sich die Vertragskonditionen für die Kunden ab nächstem Jahr also verbessern“, resümiert Lars Heermann. „Dies stellt die Anbieter im laufenden Jahr vor die Herausforderung, den Übergang zu gestalten und überzeugende Argumente für den Vertragsabschluss 2024 zu finden, ohne dass sich Kunden gegenüber einem Abschluss 2025 benachteiligt fühlen.“
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