Das Extremwetterereignis "Bernd" sorgte im Juli 2021 für hohe Schäden – und großes menschliches Leid, insbesondere im Westen Deutschlands. Doch: Es hätte nicht so weit kommen müssen. Auch ein Extremwetterereignis diesen Ausmaßes kann grundsätzlich rechtzeitig erkannt und den potenziellen Folgen besser begegnet werden.
Was im letzten Sommer zu den tragischen Ereignissen geführt hat und wie die Städte und Gemeinden in Zukunft mit den Folgen der Flut leben können, hat die Zurich Versicherung nun in ihrer bisher umfassendsten PERC-Ereignisanalyse (Post-Event-Review-Capability) vorgestellt.
Klar ist: Wer die Katastrophe allein auf ein unvorhersehbares Extremwetterereignis infolge des Klimawandels reduziert, gegen dessen Folgen man machtlos ist, verkennt die komplexe Realität. Die Studie zeigt, dass ein unzureichendes Hochwasserverständnis, eine problematische Wiederaufbaustruktur sowie ungenügende Maßnahmen zur Risikoreduktion im Vorfeld einen entscheidenden Teil an der Katastrophe tragen.
Der PERC-Bericht wurde von Experten des Zurich Flood Resilience Programs, der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA), ISET-International (ISET) und der London School of Economics (LSE) erstellt.
Grundlage des Ereignisberichtes waren tausende von E-Mails sowie Vor-Ort-Gespräche mit Betroffenen und Einsatzkräften. Aufgrund dessen gibt der Bericht auch Empfehlungen an die politische Verantwortlichen auf der Ebene von Kommunen, Land und Bund, wie man in Zukunft Themen wie Frühwarnungen, Katastrophenschutzstruktur sowie Hochwasserprävention und das Gefahrenbewusstsein in der Bevölkerung besser gestalten und somit für mehr Sicherheit sorgen kann.
Ungenaue Vorhersagen und Modellierungen
Während das Extremwetterereignis in seiner Intensität gut vorhergesagt wurde, gab es in Bezug auf das zu erwartende Hochwasser nur für die größeren Flüsse wie Rhein und Mosel treffende Aussagen. Die Situation an den kleineren Flüssen konnte auch nicht annähernd exakt vorhergesagt werden.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Zu einer ungenügenden Zusammenarbeit zwischen meteorologischen und hydrologischen Vorhersagediensten sowie lokalem Katastrophenschutz kommt auch eine zu geringe Anzahl an Pegelstationen, die zu einer Hochwasserprognose beitragen. Zudem ist die Genauigkeit von Hochwassermodellen bei weitem nicht ausreichend.
Erfahrungen in Bebauungsplänen einfließen lassen
Hochwasserkarten und die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten dürfen sich nicht nur auf ‚Durchschnittsereignisse‘ beziehen, sondern sollten auch ein maximal mögliches Hochwasser-Szenario enthalten, mahnt Horst Nussbaumer, Chief Claims und Operating Officer der Zurich Gruppe Deutschland. Mit realistischen Annahmen könne die einschneidendste Hochwasserreaktion, zum Beispiel aufgrund von gesättigten Böden oder Verklausungen, skizziert werden. Dies helfe wiederum bei der Risikoeinschätzung zukünftiger Hochwasserereignisse. Kommunen sollten die Erkenntnisse in Zukunft auch stärker bei der Erstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen berücksichtigen, so Nussbaumer.
Frühwarnsysteme technisch und inhaltlich unzureichend
Die aktuellen Frühwarnsysteme wie MoWaS inklusive der Dienste wie KATWARN oder die NINA-Warn-App haben entweder keine, zu wenige oder widersprüchliche Informationen geliefert. Die warnenden Sender sowie die Empfänger waren nicht immer ausreichend geschult, um die Möglichkeiten des Systems optimal zu nutzen.
Push- statt Pull-Nachrichten würden eine stringente Kommunikationskette von den Behörden über die lokalen Einsatzkräfte bis hin zur Bevölkerung sicherstellen. Dazu muss außerdem die Lücke zwischen technischen Meldungen durch Behörden hin zu leicht verständlichen Texten für alle Generationen geschlossen werden. Beim Zusammenbruch des mobilen Internets empfiehlt sich auch der sogenannte „Cell Broadcast“, eine in vielen Ländern bereits etablierte Technologie.
„Bernd“ war keineswegs die historisch größte Katastrophe
Die Flutkatastrophe sei von vielen der Betroffenen als ,beispiellos‘ und ,unvorhersehbar‘ beschrieben worden, erklärt Michael Szönyi, Leiter des Flood Resilience Program bei Zurich. Dies sei angesichts der Umstände zwar verständlich, aber auch nachweislich falsch. Aufzeichnungen belegen, dass es im Ahrtal bereits 1804 eine Überschwemmung ähnlicher Größenordnung gegeben habe, so der Experte. Auch 1910 habe es ein Hochwasser gegeben, das vorliegende Pegelaufzeichnungen deutlich überschritt.
Szönyi konstantiert, dass Extremwetterereignisse zu schnell in Vergessenheit geraten. Das habe möglicherweise dazu geführt, dass beispielsweise weitreichende Hochwasserschutzpläne aus den 1920er Jahren nie umgesetzt worden seien. Auch als 2016 das Ahrtal erneut überflutet wurde, sei von einem Jahrhundertereignis gesprochen worden, was es in Anbetracht der Historie bei weitem nicht gewesen sei.
Heute, bereits knapp ein Jahr nach „Bernd“ bewegt sich die Nachfrage nach Elementarschutzversicherungen bereits auf Vor-Katastrophen-Niveau. Michael Szönyi betont:
Die Fähigkeit, mit Naturgefahren umzugehen, hat bei der Bevölkerung insgesamt nachgelassen.
Das Wissen, dass ein Hochwasser passieren kann und welche Ausmaße es annehmen könnte, müsse daher stärker und dauerhaft bei den Menschen verankert werden, fordert Szönyi. Hier helfen Hochwasser-Gedenktage und visuell auffällige historische Hochwassermarkierungen. Auch Schulungen über die Gefährlichkeit solcher Ereignisse und Übungen zur Evakuierung müssen geplant werden, beispielsweise in Schulen. Der Umgang mit Alarmen, insbesondere auch Fehlalarmen, muss eingeübt werden.
Zudem sollen Hochwasserereignisse nicht als „völlig unerwartet“ oder „noch nie dagewesen“ charakterisiert werden. Michael Szönyi warnt, dass die verbale Dramatisierung als singuläres Katastrophenereignis zu einer intuitiv falschen Einschätzung der Ereigniswahrscheinlichkeit führe. Gleichzeitig fokussiere die öffentliche Diskussion oft allein auf den Klimawandel als ursächlich für die Folgen dieser Extremwetterereignisse. Auch das verenge die Betrachtung unzulässig auf nur einen von zahlreichen Aspekten, die am Ende zu diesen Katastrophen führen. Die Prävention gerät aus dem Fokus.
Über das Extremwetterereignis „Bernd“
Das Extremwetterereignis „Bernd“ führte zu geschätzten Gesamtschäden von 40 bis 50 Mrd. Euro und mehr als 230 Todesopfern innerhalb einer Woche. Betroffen waren nicht nur die Regionen an Ahr, Erft und ihren Nebenflüssen, sondern auch Belgien, Luxemburg und die Niederlande.
Über PERC und das Flood Resilience Program:
Die Post Event Review Capability (PERC) ist ein Bestandteil der „Zurich Flood Resilience Alliance“ und widmet sich der Erforschung großer Hochwasserereignisse, wobei unabhängige Reviews durchgeführt werden. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht das Erkennen und Sammeln von bewährten Vorgehensweisen („Best Practices“) für die Verbesserung der Hochwasserwiderstandsfähigkeit, des Hochwasser-Risikomanagements und der Katastrophenintervention.
Eine ebenso zentrale Aufgabe ist die Identifizierung konkreter Möglichkeiten für weitere Verbesserungen in diesen Themenbereichen. Seit 2013 hat PERC verschiedene Hochwasser- und Waldbrandereignisse analysiert und ist mit zwei Preisen ausgezeichnet worden. Im kontinuierlichen Dialog mit verschiedenen Experten und Behörden wird das gesammelte Wissen konsolidiert und der interessierten Öffentlichkeit frei zugänglich zur Verfügung gestellt.
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