Zum späteren Wegfall einer zunächst eingetreten Berufsunfähigkeit

Der Bundesgerichtshof hatte sich jüngst mit der rechtlichen Frage zu beschäftigen gehabt, wann eine Berufsunfähigkeit denn wegfallen würde, wenn der Versicherer jedoch noch nicht einmal die Ansprüche des Versicherten aus dem Versicherungsvertrag anerkannt hat (Urteil vom 13. März 2019 – IV ZR 124/18).

(PDF)
Trauriger-ITler-205207646-AS-BojanTrauriger-ITler-205207646-AS-BojanBojan – stock.adobe.com

Der Sachverhalt vor dem BGH

Der klagende Versicherungsnehmer hatte bei der beklagten Versicherung eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ). Der Kläger konnte von April 2012 bis April 2013 aufgrund einer mittelgradigen depressiven Episode seiner Tätigkeit als IT-Systemadministrator nicht mehr nachgehen. Zum 21. September 2015 hat er jedoch sodann eine neue Tätigkeit als SAP-Anwendungsbetreuer aufgenommen.

Björn Thorben M. Jöhnke, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Erst im gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz brachte die beklagte Versicherung mittels Schriftsatzes des Prozessbevollmächtigen der Versicherung im Februar 2017 eine Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers in das Verfahren ein. Das Landgericht Verden hatte dem Kläger die begehrte Berufsunfähigkeitsrente sowie die Feststellung der Beitragsfreistellungspflicht und eines Anspruchs auf Überschussbeteiligung für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis zum 30. April 2013 zugesprochen, die Klage jedoch im Übrigen abgewiesen (LG Verden vom 15. November 2017 – 8 O 335/14).

Nach der Berufung des Klägers und Anschlussberufung der Beklagten hatte das Oberlandesgericht Celle für den Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis zum 30. September 2015 stattgegeben und festgestellt, dass sich der Rechtsstreit erledigt hat, soweit der Kläger die genannten Leistungen über September 2015 hinaus bis einschließlich März 2017 geltend gemacht hat (OLG Celle vom 9. April 2018 – 8 U 250/17).

Mit der Revision zum BGH erstrebte die beklagte Versicherung die Abweisung der Klage, nahm jedoch auf den Hinweisbeschluss des BGH die eigelegte Revision zurück.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass auch wenn der Versicherer in dem Leistungsverfahren kein Anerkenntnis abgegeben hat, er den späteren Wegfall einer zunächst eingetretenen Berufsunfähigkeit dennoch nur durch eine den inhaltlichen Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens genügende Änderungsmitteilung geltend machen kann. Dieses ergibt sich auch aus den Versicherungsbedingungen (hier: § 10 Abs. 1 Satz 1 B-BUZ).

Das Berufungsgericht sei damit zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger über das Ende seiner Berufsunfähigkeit am 30. April 2013 hinaus bis zum 30. September 2015 Versicherungsleistungen beanspruchen kann. Ihm stehen diese Ansprüche auch ohne das sonst erledigende Ereignis der Aufnahme einer neuen Tätigkeit bis zum 31. März 2017 zu.

Dass der Versicherer in einem Leistungsverfahren ein nach Sachlage gebotenes Anerkenntnis nicht abgibt, kann ihn wiederum nicht von seinen eigenen Pflichten aus dem Vertragswerk (genauer: Versicherungsbedingungen) entbinden. Denn genau diesen Sachverhalt hat der Versicherer in seinen Versicherungsbedingungen geregelt: die Nachprüfung.

Auch wenn der Versicherungsnehmer mangels Anerkenntnis des Versicherers seine Ansprüche im gerichtlichen Wege geltend macht und den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit so dann erbringt, muss der Versicherer ein entsprechendes Nachprüfungsverfahren durchführen, um sich seiner Leistungen entledigen zu können (vergleiche § 9 Abs. 1 Satz 2 B-BUZ).

Dieses war vorliegend gerade nicht geschehen, sondern erst mittels Schriftsatzes der Versicherung im Februar 2017, was dem Versicherer auch im Prozess möglich war.

Kann die Entscheidung des BGH überzeugen?

Die Entscheidung des BGH überzeugt im Ergebnis, auch wenn diese bei Versicherungen auf Unverständnis stoßen dürfte. Dennoch müssen förmliche Nachprüfungsverfahren durchgeführt werden, selbst bei einer Fiktion der Berufsunfähigkeit.

Doch ein maßgeblicher Aspekt ist zwingend zu beachten, nämlich, wann der Versicherte seine Leistungen geltend macht: Im vorliegenden Leistungsverfahren hatte der Kläger seinen Leistungsantrag zu einem Zeitpunkt gestellt, als die vom Berufungsgericht festgestellte Berufungsunfähigkeit noch andauerte (OLG Celle a.a.O.). In einem solchen Sachverhalt ist zwingend ein förmliches Nachprüfungsverfahren zu führen.

Macht der Versicherte eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit gegenüber dem Versicherer jedoch erst zu einem Zeitpunkt geltend, in welchem die Berufsunfähigkeit bereits wieder entfallen ist, so wird nicht die Einhaltung eines förmlichen Nachprüfungsverfahrens gefordert (vergleiche Oberlandesgericht Karlsruhe vom 24. Oktober 2006 – 12 U 109/06). Diesen wesentlichen Unterschied hat der BGH ebenfalls herausgearbeitet.

Auswirkungen für die Praxis und Hinweise für Versicherungsvermittler

Die Entscheidung des BGH hat durchaus Relevanz für die Praxis. Zunächst stärkt diese Entscheidung zu Recht wieder einmal die Rechte der Verbraucher. Sie weist Versicherer in ihre „Schranken“, nämlich in Bezug auf die Versicherungsbedingungen. Für den Fall, dass Versicherungsvermittler Versicherte in BU-Leistungsverfahren begleiten, sollte der Vermittler dem Versicherten zwingend anraten, juristischen Rat einzuholen, damit der Einzelfall und damit auch die Entscheidung des Versicherers entsprechend überprüft werden kann.

Für die Praxis ist damit festzustellen, dass es im Bereich der Berufsunfähigkeit sinnvoll ist, jede Leistungsablehnung eines Berufsunfähigkeitsversicherers juristisch überprüfen zu lassen und frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten vereitelt werden könnten.

(PDF)

LESEN SIE AUCH

Bein-Gips-Kruecken-308085929-AS-ReimarBein-Gips-Kruecken-308085929-AS-ReimarReimar – stock.adobe.comBein-Gips-Kruecken-308085929-AS-ReimarReimar – stock.adobe.com

BU: Kenntnis des Versicherungsnehmers als Voraussetzung für eine Obliegenheitsverletzung

Der Bundesgerichtshof hatte sich im Rahmen einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) mit der Rechtsfrage zu befassen gehabt, ob eine positive Kenntnis eines Versicherungsnehmers zum objektiven Tatbestand der Anzeigeobliegenheit gehöre, welcher der Versicherer möglicherweise zu beweisen habe (BGH v. 25.09.2019 – IV ZR 247/18).
Businessman in time management conceptBusinessman in time management conceptElnur – stock.adobe.comBusinessman in time management conceptElnur – stock.adobe.com
Assekuranz

BU: BGH stellt klar, wann der Versicherungsfall eintritt

Immer wieder muss zu Streitigkeiten mit Berufsunfähigkeitsversicherungen der Bundesgerichtshof Klarheit zum vereinbarten Versicherungsschutz schaffen. So auch in einer ganz aktuellen Entscheidung, die von Wirth–Rechtsanwälte erstritten wurde.
Richterhammer-142712896-AS-Aerial-MikeRichterhammer-142712896-AS-Aerial-MikeAerial Mike – stock.adobe.com (2) © Wirth-Rechtsanwälte in Partnerschaft mbBRichterhammer-142712896-AS-Aerial-MikeAerial Mike – stock.adobe.com (2) © Wirth-Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB
Assekuranz

Die wichtigsten Urteile zur Berufsunfähigkeitsversicherung der letzten Jahre

Gerichte veröffentlichen jährlich zahlreiche Urteile zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Diese Urteile sind nicht nur für Rechtsanwälte wichtig. Auch Versicherungsvermittler können von diesen Urteilen einiges lernen und so ihre Beratung rechtssicherer gestalten. In diesem Beitrag sollen daher die wichtigsten Urteile der letzten Jahre zusammengefasst werden.
2020-02-21-Hadwerker-faellt-runter-AS--R.-Gino-Santa-Maria2020-02-21-Hadwerker-faellt-runter-AS--R.-Gino-Santa-MariaR. Gino Santa Maria– stock.adobe.com (2) © Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte Partnerschaftgesellschaft2020-02-21-Hadwerker-faellt-runter-AS--R.-Gino-Santa-MariaR. Gino Santa Maria– stock.adobe.com (2) © Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte Partnerschaftgesellschaft

„AU-Klauseln“ in der Berufsunfähigkeitsversicherung

Was ist besonders an einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit AU-Klausel? Die Antwort findet sich, wie so oft, im Detail. Die sogenannte „AU-Klausel“ ist eine besondere und ergänzende Regelung in einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag. 
Detail Fliesenleger bei der ArbeiDetail Fliesenleger bei der ArbeiLunghammer – stock.adobe.comDetail Fliesenleger bei der ArbeiLunghammer – stock.adobe.com

Versicherungsschutz bei fehlerhaftem Handeln des Versicherungsmaklers

Der Bundesgerichtshof hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob ein Versicherungsmakler pflichtwidrig gehandelt hat, indem er es unterlassen hat, ein bestimmtes Risiko abzudecken. Zu klären war in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Versicherungsnehmer dennoch für dieses Risiko Versicherungsschutz erhalten konnte.
05082020_Aktenordner_Mann_67454703_FO_Einstock05082020_Aktenordner_Mann_67454703_FO_EinstockEinstock / fotolia.com05082020_Aktenordner_Mann_67454703_FO_EinstockEinstock / fotolia.com

Berufsunfähigkeitsversicherung: Anforderungen an die Darlegung des Berufsbildes

Das Oberlandesgericht Dresden hat mit Urteil vom 09. Oktober 2018 (Az: 4 U 448/18) wiederholt festgestellt, dass bei der Geltendmachung von Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung keine übersteigerten Anforderungen an die Darlegung des Berufsbildes in gesunden Tagen gestellt werden dürfen. Vielmehr genügt eine nachvollziehbare Beschreibung in Stichworten.

Mehr zum Thema

Close up confused man having problem with phone, receive bad newsClose up confused man having problem with phone, receive bad newsfizkes – stock.adobe.comClose up confused man having problem with phone, receive bad newsfizkes – stock.adobe.com

Rückholanrufe ohne Kundeneinwilligung sind wettbewerbswidrig

Das Landgericht Hannover entschied, dass Anrufe und Mails an ehemalige Kunden, mit dem Ziel, diese zurückzugewinnen, wettbewerbswidrig sind, wenn keine ausdrückliche Einwilligung vorliegt. Auch ein wettbewerbswidriges Verhalten des den Kunden neu betreuenden Maklers ändert daran nichts.

german lawyer with a robe and a bookgerman lawyer with a robe and a bookcameris – stock.adobe.comgerman lawyer with a robe and a bookcameris – stock.adobe.com

Keine Haftung des Versicherungsmaklers für fehlende Risikolebensversicherung

Das Oberlandesgericht Dresden stärkt die Rechte von Versicherungsmakler(innen) und hat entschieden, dass diese ohne besondere Umstände nicht verpflichtet sind, Kunden zum Abschluss einer Risikolebensversicherung zu raten. Der Fall betraf eine Klägerin, die ihren Versicherungsmakler verklagte, weil ihr verstorbener Ehemann keine ausreichende Absicherung im Todesfall hatte. Sie forderte einen Schadensersatz von 500.000 Euro.

Business problemBusiness problemstokkete – stock.adobe.comBusiness problemstokkete – stock.adobe.com

Großinsolvenzen steigen um mehr als ein Drittel, Schäden sind nahezu verdoppelt

Die Insolvenzen in Deutschland steigen an und der Trend dürfte sich durch die Rezession im Jahresverlauf fortsetzen. Bis Ende 2024 rechnet Allianz Trade für die Bundesrepublik mit einer Zunahme der Pleiten um 21 Prozent. Damit dürften die Fallzahlen Ende des Jahres etwa 15 Prozent über dem Niveau von 2019 und damit vor der Pandemie liegen. Erst in 2025 wird ein Abflachen der Zahlen erwartet.

Einbrecher-127452165-AS-Christian-DelbertEinbrecher-127452165-AS-Christian-DelbertChristian Delbert – stock.adobe.comEinbrecher-127452165-AS-Christian-DelbertChristian Delbert – stock.adobe.com

BGH stärkt Rechte der Versicherungsnehmer bei Einbruchdiebstählen

Der Bundesgerichtshof stärkt mit einem Urteil die Rechte der Versicherungsnehmer bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus der Hausratversicherung aufgrund von Einbruchdiebstählen.

Pharmaceutical sales representative presenting new product to doctors in holding tablet. Presenting new pharmaceutical product, drugs, medication.Pharmaceutical sales representative presenting new product to doctors in holding tablet. Presenting new pharmaceutical product, drugs, medication.Halfpoint – stock.adobe.comPharmaceutical sales representative presenting new product to doctors in holding tablet. Presenting new pharmaceutical product, drugs, medication.Halfpoint – stock.adobe.com

Die Zukunft ist digital: moderne Arztpraxen absichern

Die Fakten für einen modernen Praxisbetrieb und das unternehmerische Risiko unterscheiden sich nicht sehr von anderen hochtechnisierten (Dienstleistungs)unternehmen, die auch sensible Kundendaten verarbeiten und verwalten. Versicherungsmaklerbüros sollten diesen Status quo in ihrer Kundenberatung berücksichtigen.

Wolfgang-Riecke-2024-SHB-VersicherungWolfgang-Riecke-2024-SHB-VersicherungSHB Allgemeine Versicherung VVaGWolfgang-Riecke-2024-SHB-VersicherungSHB Allgemeine Versicherung VVaG

Elementar wichtig: Prävention in der Wohngebäudeversicherung

Die SHB-Versicherung hatte schon beim Relaunch ihrer Wohngebäudeversicherung ankündigt, Schadenprävention noch stärker zu unterstützen. Vorstand Wolfgang Rieke erklärt dazu, dass der Versicherer aus Königswinter dafür mit dem Heidelberger Start-up Enzo kooperiert.