Laut einem Bericht der Tagesschau hat Covid-19 im zweiten Quartal 2020 zu einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 10,1 Prozent geführt. Es handelt sich dabei um den höchsten Quartalsrückgang des BIP in Deutschland seit dem Beginn vierteljährlichen Erhebung im Jahr 1970.
Zu den am stärksten betroffenen Branchen gehört laut der Unternehmensberatung Kearney die Luftfahrt, der das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) anhand eines neuen Berechnungsmodells vor Covid-19 noch bis 2040 ein dauerhaftes Wachstum prognostiziert hatte.
Partner Sven Rutkowsky, Luftfahrtexperte und Kearney Partner:
„Kaum eine Branche wurde so hart von COVID-19 getroffen wie die Luftfahrtindustrie. Und kaum eine Branche wird sich länger mit den Auswirkungen auseinandersetzen müssen.“
Erkennen kann man die Ausmaße der Krise aber auch durch einen simplen Blick auf die Passagierzahlen, die vor allen durch Reisestornierungen rapide eingebrochen sind. Das Passagieraufkommen an Deutschlands größten Flughafen in Frankfurt am Main ist statt der üblichen 1,4 Millionen Menschen pro Woche durch Covid-19 zeitweise auf weniger als 50.000 Menschen eingebrochen. Einen ähnlichen Rückgang gibt es ebenfalls am Flughafen Hannover, wo Passagier beim Parken mit Parkos statt von Verkehrschaos nun von freien Stellplätzen empfangen werden.
Umsatzrückgang um 40 Prozent
Ähnlich wie das DLR prognostizierte auch die International Air Transport Association (IATA) der Luftfahrt ein Umsatzwachstum von vier Prozent für das Jahr 2020. Diese Prognose passten die Analysten bereits im März auf einen Umsatzrückgang von fast 40 Prozent an. Dabei gehen die Branchenexperten davon aus, dass Covid-19 bis Anfang 2021 eingedämmt wird und internationalen Reisen wieder ohne Restriktionen und Quarantäne möglich sind. Eine zweite Welle könnte hingegen zu einem noch größeren und langfristigeren Umsatzverlust führen.
Carsten Gerhardt, Luftfahrtexperte und Kearney Partner:
„Diesen Rückgang halten wir für realistisch. Für 2021/22 erwarten wir einen Nachholbedarf für Privatreisen, während Kürzungen bei Geschäftsreisen zu einer neuen Normalität von -10 Prozent bis -20 Prozent im Vergleich zur Vorkrise führen werden. Insgesamt gehen wir davon aus, dass erst 2024 oder 2025 wieder das Vorkrisenniveau erreicht wird.“
Videokonferenzen und Urlaub im Heimatland
Eine als Teil der Studie von Kearney durchgeführte Befragung unter Führungskräften aus Deutschland, Großbritannien, den USA und Hongkong zeigt, dass geänderte Regelungen zu beruflichen Flugreisen auch nach der Covid-19-Pandemie bestehen bleiben. Videokonferenzen und andere Lösungen, die sich in der Krise als praktikabel herausgestellt haben, werden Flugreisen aus Kosten- und Umweltgründen somit zu großen Teilen langfristig ersetzen.
Philipp Bensel, Co-Autor der Studie:
„Wir erwarten einen deutlichen Rückgang der Geschäftsnachfrage im Vergleich zum Vorkrisenniveau, der durch die strengere Reiserichtlinie der Unternehmen ausgelöst wird, um die Kosten zu senken und ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.“
Anders sieht es laut den Branchenexperten hingegen im privaten Umfeld aus. Obwohl erste Reiseanbieter bereits einen speziellen Covid-19-Versicherungsschutz anbieten, sind auch private Flugreisen kurzfristig stark eingebrochen. Mittel- und langfristig erwarten die Experten aber, dass das vorherige Niveau wieder erreicht wird.
Konsolidierung und staatliche Kredite verhindern Insolvenzen
Global geht das BIP laut der Kreditversicherungsgruppe Euler Hermes voraussichtlich um 3,3 Prozent zurück. Dies ist die größte Rezession seit dem 2. Weltkrieg. Analysen des Konzerns erwarten aus diesem Grund einen Anstieg der Insolvenzen von 20 Prozent, die auch die Luftfahrtbranche betreffen werden.
Ludovic Subran, Chefvolkswirt von Allianz und Euler Hermes:
„2020 versprach ursprünglich eigentlich ein eher ruhiges Jahr zu werden. Zwar mit einigen geopolitischen Unsicherheiten, einem weiterhin schwelenden Handelskonflikt – aber auch mit einem zarten Wachstum bei Welthandel und Weltwirtschaft. Ein Jahr des ‚Durchmogelns‘. Eigentlich. Doch dann kam Corona. Ein schwarzer Schwan wie aus dem Lehrbuch – und plötzlich war alles anders: Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste, von Exportkrise, über ein Beben an den Finanzmärkten, Ölpreisschock bis hin zu einem praktisch weltweiten Konsumschock. 2020 bricht die Weltwirtschaft nach unseren aktuellen Prognosen voraussichtlich doppelt so stark ein wie in der Finanzkrise. Die Verluste sind so hoch wie die Wirtschaftskraft (BIP) von Deutschland und Japan zusammen. Das hinterlässt Spuren wie bei einem Meteoriteneinschlag, die nicht von heute auf morgen wieder verschwinden.“
Regierungen haben angesichts der drohenden Pleitewelle unter Fluggesellschaften deshalb laut der Kearney Studie lediglich drei Optionen:
- Kredite und Zuschüsse zu guten Konditionen anbieten
- Fluggesellschaften teilweise oder vollständig zu verstaatlichen
- Unternehmen ohne Hilfe insolvent gehen zu lassen
Die Studienautoren identifizierten außerdem sechs Faktoren, anhand deren eine der drei möglichen Entscheidungen gewählt werden kann:
- Aktueller Anteil des Staatseigentums
- Finanzkraft des Staates
- Größe und Relevanz der Fluggesellschaft
- Rentabilität der Fluggesellschaft vor Covid-19
- Anzahl der Fluggesellschaften im Heimatland
- Anteil der Fluggesellschaften am BIP des Heimatlandes
Philipp Bensel, Co-Autor der Studie:
„Wir erwarten in Europa eine "3 + 2-Konsolidierung". Das bedeutet, dass die drei großen Hub- und Spoke-Fluggesellschaften (Lufthansa, IAG, Air France-KLM) und die beiden Punkt-zu-Punkt-Fluggesellschaften (Ryanair und Easyjet) Marktanteile gewinnen werden, während andere Fluggesellschaften zusammenbrechen. Einige Regierungen werden stark in ihre staatlichen Transportunternehmen investieren. Die Zukunft mehrerer mittelgroßer Fluggesellschaften ist hingegen derzeit mehr als ungewiss. Wir gehen davon aus, dass einige Staaten ihre Heimatgesellschaft loslassen müssen, auch wenn diese eine Tradition von oft mehr als 50 Jahren haben.
Fluggesellschaften, die Covid-19 überstehen, haben durch die Konsolidierungsphase somit große Chancen gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Auch die oft kritisierten extrem niedrigen Sitzplatzpreise, die weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll sind, werden durch das neue Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage sehr wahrscheinlich nach der Covid-19-Pandemie nicht mehr in diesem Umfang angeboten werden. Dies könnte die Rentabilität der verbleibenden Fluggesellschaften signifikant steigern und sie zu Krisengewinnern machen.
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