Damit Pflege nicht krank macht

Wer Familienangehörige zu Hause pflegt, steht vor einer enormen Belastung. Viele unterschätzen, dass neben den körperlichen und organisatorischen auch große seelische Herausforderungen auf sie zukommen. Zudem geht mit der Pflege häufig ein Rollentausch einher: Waren die Eltern bisher für ihre Kinder ein stetiger Rückhalt, ist es nun umgekehrt. Auch die Beziehung von Paaren kann sich durch die Pflege des Partners grundsätzlich ändern. Birger Mählmann, Pflegeexperte der IDEAL Versicherung, zeigt Möglichkeiten auf, wie sich Angehörige vor seelischer Überforderung schützen können.

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Seniioren-Paar-Rollstuhl-93845851-FO-bilderstoeckchenSeniioren-Paar-Rollstuhl-93845851-FO-bilderstoeckchenbilderstoeckchen / fotolia.com

Die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt stetig. In 2017 waren es rund 3,4 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 2035 sind laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) voraussichtlich 4 Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen. Die meisten der Pflegebedürftigen – gut drei Viertel – werden einer Bestandsaufnahme des Statistischen Bundesamtes zufolge zu Hause versorgt. Damit stellen sich die pflegenden Familienmitglieder einer enormen Herausforderung, welche in vielen Fällen zu einer Überforderung führt. Birger Mählmann. weiß:

„Anders als einer professionellen Pflegekraft ist es den Angehörigen in der Regel kaum möglich, eine schützende, emotionale Distanz zu wahren."

Zudem ist die Pflege im eigenen häuslichen Umfeld nicht mit festen Arbeits- und Erholungszeiten verbunden. In vielen Fällen sind die familiären Pfleger mehr als zwölf Stunden pro Tag im Einsatz. Hinzu kommt, dass der Pflegende oft schon selbst im fortgeschrittenen Alter ist oder aber, dass er über die Pflege hinaus noch seinen eigenen Beruf meistern muss.

Überforderung mündet bei jedem fünften in Depressionen

Schnell bleibt das eigene Wohlbefinden der Pflegenden auf der Strecke. Die Folge: eine enorme Erschöpfung – nicht nur in körperlicher, sondern vor allem auch in seelischer Hinsicht. Etwa die Hälfte aller pflegenden Angehörigen leidet an psychischen Problemen. „Häufig handelt es sich um Angst- und Schlafstörungen. Bei jedem fünften pflegenden Angehörigen treten sogar Depressionen auf“, weiß der Pflegeexperte. Er beobachtet immer wieder, dass viele Angehörige ihre Erschöpfung vor allem auf die Überforderung durch praktische und organisatorische Aufgaben sowie die körperliche Belastung schieben. „Dabei sind seelische Belastungen keineswegs harmloser als körperliche“, warnt Mählmann: „Zumal auch Rückenschmerzen & Co. häufig das Resultat einer emotionalen Überforderung sind.“

Umso wichtiger ist es, erste Anzeichen ernst zu nehmen. Diese können Müdigkeit, allgemeines Unwohlsein, innere Unruhe, depressive Stimmungen, Schuldgefühle, Aggressionen, Angst und Schlafstörungen sein. Wertvolle Unterstützung bei der persönlichen Selbsteinschätzung bietet unter anderem das vom Bundesministerium für Familie, Senioren und Frauen und Jugend geförderte Hilfe-Portal www.pflegen-und-leben.de, welches neben Fachinformationen auch eine psychologische Online-Beratung bietet.

Entlastung in den Alltag einbauen

Damit es nicht erst so weit kommt, rät Mählmann, sich regelmäßig Zeit für sich selbst zu nehmen und Entlastungsangebote wahrzunehmen, etwa durch eine Verhinderungspflege und der Unterbringung des Pflegebedürftigen in einer Tages- oder Nachtpflege. Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 haben jährlich bis zu sechs Wochen Anspruch auf die Leistungen der Verhinderungspflege. Außerdem wichtig: Den Kontakt mit anderen Menschen aufrecht halten. Mit der Pflege eines Angehörigen begeben sich viele in eine soziale Isolation. „Einige Stunden unbeschwert mit Freunden zu verbringen, weckt die Lebensgeister und geben der Seele Energie zurück“, so der Experte von der IDEAL. Auch Gesprächskreise mit anderen Pflegenden können eine wertvolle Hilfe sein und die Möglichkeit bieten, sich seine Ängste und Zweifel von der Seele zu reden. Entsprechende Angebote finden Interessierte zum Beispiel in der Datenbank von NAKOS - Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen.

Während eines Kuraufenthaltes neue Kraft tanken

Was viele nicht wissen: Pflegende Angehörige haben Anspruch auf eine von der Krankenkasse finanzierte Kur. Dabei müssen seit dem 1. Januar 2019 nicht mehr wie früher erst sämtliche ambulante Maßnahmen ausgeschöpft sein, bevor diese genehmigt wird. Während der dreiwöchigen Kur stehen Stressbewältigung, Sport und Entspannung auf dem Programm sowie der Blick auf die häusliche Pflegesituation, für die gemeinsam nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht wird.

Auch für den Pflegebedürftigen wird während des Kuraufenthaltes gesorgt – etwa durch die finanziell bezuschusste Aufnahme in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung. Einige Reha-Einrichtungen bieten zudem die Möglichkeit, den zu Pflegenden mit aufzunehmen. Ganz wichtig: „Niemand sollte ein schlechtes Gewissen haben, wenn er solche Angebote in Anspruch nimmt“, betont Birger Mählmann: „Im Gegenteil: Die eigene Gesundheit ist wichtigste Voraussetzung für die Pflege eines Angehörigen.“

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