Mit dem Renteneintritt der Babyboomer beginnt in Deutschland aktuell eine akute Phase der demografischen Alterung. Dies macht eine langfristig orientierte Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erforderlich. Eine solche Reform muss mehrere Maßnahmen kombinieren.
Nur so lassen sich vier Ziele erreichen: Erstens, die Finanzierung der GRV zu stabilisieren, zweitens, die Konsequenzen der demografischen Alterung zielgenau zu adressieren, drittens, die Lasten zwischen zukünftigen Rentenbeziehenden und Beitragszahlenden fairer zu verteilen und, viertens, soziale Härten zu vermeiden. Eine Bündelung verschiedener Reformoptionen erhöht zugleich die gesellschaftliche Akzeptanz, da die einzelnen Maßnahmen nicht so stark ausfallen müssten.
Unter dem derzeit geltenden Recht droht der GRV ein sinkendes Sicherungsniveau bei stark steigenden Beitragssätzen. Kernelemente der Reform sollten die Kopplung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung, kombiniert mit einer neuen Form der ergänzenden, kapitalgedeckten Altersvorsorge sein.
Die Dynamisierung des Renteneintrittsalters unter Berücksichtigung der ferneren Lebenserwartung beim Renteneintritt setzt an der absehbar steigenden Lebenserwartung als Ursache der Alterung an und hat günstige Effekte für den Beitragssatz, das Sicherungsniveau und die Bundeszuschüsse an die GRV.
Zusammen mit einer aktien-basierten Altersvorsorge, die transparenter, weiter verbreitet und renditestärker sein sollte als die bisherigen Riester-Renten, kann das Sicherungsniveau auf Dauer deutlich gesteigert und die Armutsgefährdung im Alter vermindert werden. Allerdings entfalten diese Reformoptionen ihre volle Wirkung erst langfristig.
In Deutschland wird der stärkste Alterungsschub in den nächsten 15 Jahren stattfinden. Daher müssen die langfristig wirkenden Reformen ergänzt werden durch Maßnahmen, die bereits in der kurzen Frist wirken.
Das Sicherungsniveau festzuschreiben, wie es die Bundesregierung aktuell plant, ist keine nachhaltige Lösung, sondern verstärkt den absehbaren Anstieg der Beitragssätze noch. Dies verschärft den Verteilungskonflikt zwischen Rentenbeziehenden und Beitragszahlenden. Die Lasten der alternden Gesellschaft müssen zwischen sowie innerhalb dieser beiden Gruppen fairer geteilt werden. Eine Kombination verschiedener Maßnahmen ist dabei unverzichtbar.
„Keine einzelne Reformoption reicht aus, um die Finanzierungsprobleme der GRV zu lösen. Durch eine Bündelung von verschiedenen Einzelmaßnahmen lassen sich ihre Stärken kombinieren und soziale Härten vermeiden“, erläutert Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. Sowohl eine Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors als auch die Einführung einer Inflationsanpassung von Bestandsrenten wirken sich bereits kurzfristig günstig auf die Finanzierung der GRV aus.
Allerdings erhöhen diese beiden Reformoptionen die Armutsgefährdung im Alter. Eine nach Einkommen gestaffelte („progressive“) Rentenbemessung kann das Altersarmutsrisiko für Geringverdienende senken. Bei einer progressiven Rentenbemessung erwerben Personen mit niedrigem Jahreseinkommen überproportional hohe Rentenansprüche und Personen mit hohem Jahreseinkommen entsprechend geringere Ansprüche.
Einbeziehung von Beamtinnen und Beamten sowie Selbständigen
Eine Ausweitung des Versichertenkreises der GRV auf zukünftige Beamtinnen und Beamte sowie Selbständige löst die Finanzierungsprobleme der GRV nicht. Zwar steigt dadurch die Anzahl der Beitragszahlenden, und die GRV wird kurzfristig entlastet.
Bei Renteneintritt der zusätzlichen Beitragszahlenden verschwindet der entlastende Effekt jedoch und die Finanzierungsprobleme werden langfristig verschärft, da die Rentenbezugsdauer von Beamtinnen und Beamten überdurchschnittlich lang ist. Außerdem geraten im Übergang die Haushalte von Ländern und Kommunen unter großen Druck.
Eine solche Reform kann jedoch kostenneutral umgesetzt werden, wenn eine getrennte Beitragskasse eingerichtet wird, die die zusätzlichen Beiträge zur Finanzierung der Alt-Pensionen verfügbar macht. Eine solche Reform erlaubt, Änderungen bei der gesetzlichen Rente immer wirkungsgleich auf verbeamtete Personen zu übertragen. Einsparpotenziale für die Beamtenversorgung ergeben sich bei der Höhe ihrer zusätzlichen betrieblichen Altersversorgung sowie durch eine restriktivere Verbeamtungspolitik in Deutschland.
Vorübergehende Entlastungen für die Rentenfinanzen können sich auch ergeben, wenn – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – Selbständige ohne obligatorische Altersvorsorge künftig einer Altersvorsorgepflicht unterliegen.
Offen ist aber, wie viele dieser Selbständigen sich für die als Standard vorgesehene Absicherung in der GRV und nicht für eine optional wählbare, private Altersvorsorge entscheiden. Für eine Einbeziehung von Selbstständigen spricht, dass damit Vorsorgelücken geschlossen, der Sozialstaat bei den Leistungen der Grundsicherung im Alter entlastet und Trittbrettfahrerverhalten vermieden werden könnte.
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