Die jüngsten Inflationsdaten haben vielerorts Enttäuschung hervorgerufen, sind aber keineswegs überraschend. Die enorme Ausweitung der Geldmenge durch die lang andauernde expansive Geldpolitik der Notenbanken bereitete den Boden dafür, dass sich Störungen des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage preistreibend auswirken konnten.
Ein Beitrag von Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe
Der erste inflationäre Effekt setzte ein, als in der Corona-Krise eine dank großzügiger staatlicher Hilfen nur geringfügig gedrosselte Nachfrage auf ein pandemiebedingt deutlich begrenztes Angebot traf. Dann katapultierte die Verteuerung der Energie infolge des geopolitischen Konflikts zwischen Russland und dem Westen die Preise zusätzlich nach oben. Ergebnis war eine Inflationsrate, wie man sie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht erlebt hatte.
Lehren aus den 90er Jahren
Hilfreich ist ein Vergleich mit den neunziger Jahren: Auslöser steigender Inflation war damals der Nachfrageboom im Gefolge der deutschen Einheit. Die Inflationsrate stieg vom April 1991 innerhalb eines Jahres von moderaten 2,4 Prozent auf mehr als 6 Prozent.
Die Bundesbank reagierte damals sehr schnell mit signifikanten Zinserhöhungen und löste damit eine Rezession aus. Erschwert wurde die Inflationsbekämpfung der Bundesbank durch eine preistreibende Anhebung der Mehrwertsteuer zu Beginn des Jahres 1993.
Aber auch nach dem Auslaufen dieses Sondereffekts dauerte es noch ein volles Jahr, bis die Inflationsrate im Januar 1995 erstmals wieder unter die 2 Prozent-Marke fiel. Vom Höhepunkt der Inflation bis zum Wiederreichen des Inflationsziels vergingen also fast drei Jahre.
Inflation erweist sich als hartnäckig
Wie schwierig es ist, die Preisentwicklung wieder auf ein normales Maß zurückzuführen, zeigt ein Blick in die Details der Inflationsstatistik: Die Gesamtinflation in Deutschland sank von Oktober 2022 bis Februar 2023 zwar um mehr als zwei Prozentpunkte, zugleich stieg aber die Kerninflation, also der um Energie und Nahrungsmittel bereinigte Wert der Inflation, noch leicht an.
Der Beitrag, den allein Lebensmittel zur Inflationsrate leisten, stieg im gleichen Zeitraum leicht von 2,6 auf 2,9 Prozent. Nach Angaben des Ifo-Instituts will immer noch die Hälfte der Einzelhändler in den kommenden drei Monaten die Preise weiter anheben.
Das sind zwar 30 Prozentpunkte weniger als Mitte 2022, aber mehr als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit bis zum Beginn der aktuellen Inflationswelle. In der Industrie und im Dienstleistungssektor ist der Befund in leicht abgeschwächter Form der gleiche, lediglich im Bausektor wollen weniger Anbieter die Preise weiter anheben.
Risiko für weitgehende geldpolitische Straffung
Die staatlichen Maßnahmen zur Abfederung gestiegener Energiepreise mögen sozialpolitisch zu rechtfertigen sein, sie erschweren aber gerade in der Breite die Inflationsbekämpfung erheblich, weil damit das für den Konsum verfügbare Einkommen geschont und eine gesamtwirtschaftliche Nachfrage aufrechterhalten wird, die mit einer Normalisierung der Inflation nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist.
Steigende Löhne und Gehälter, die wenigstens teilweise die gestiegenen Lebenshaltungskosten ausgleichen, sind sicher gerechtfertigt, haben aber in Bezug auf die Inflationsentwicklung den gleichen Effekt. Der Rückgang der Inflation auf ein Niveau von etwa 2 Prozent ist deshalb ein Ziel, das realistischerweise erst längerfristig erreichbar ist und in der Zwischenzeit sowohl geld- als auch fiskalpolitische Disziplin erfordert.
Zinssenkungen der Notenbanken in absehbarer Zukunft sind deshalb Wunschdenken. Vielmehr sollten sich die Marktteilnehmer ernsthafter als bisher mit dem gegenteiligen Szenario beschäftigen: Die Notenbanken könnten ihren Zinsanhebungszyklus noch eine Zeit lang fortsetzen, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und dabei auch eine spürbar schlechtere Konjunktur in Kauf nehmen.
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