Naturkatastrophen-Bilanz: Klimawandel und La Niña treiben Schäden

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Mit einem Gesamtschaden von etwa 270 Mrd. US-Dollar und versicherten Schäden von etwa 120 Mrd. US-Dollar reiht sich 2022 ein in die schadenintensiven vorangegangenen Jahre. Der Gesamtschaden entspricht dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre, die versicherten Schäden liegen deutlich darüber. Die erneut hohen Schäden treffen die Versicherer in einer Zeit, in der sie mit der hohen Inflation umgehen müssen, während ihre Kapitalbasis durch die steigenden Zinsen schrumpft.

Bei der Betrachtung der Naturkatastrophen-Bilanz seien zwei Faktoren wichtig. Erstens: Im dritten Jahr in Folge herrschten La-Niña-Bedingungen [1]. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit für Hurrikane in Nordamerika, für Hochwasser in Australien, Hitze und Trockenheit in China oder stärkere Monsun-Niederschläge in Teilen Südasiens. Gleichzeitig verstärkr der Klimawandel in der Tendenz Wetterextreme, so dass sich Effekte mitunter ergänzen, erläutert Ernst Rauch, Chef-Klimatologe von Munich Re.

Der Klimawandel fordere zunehmend Tribut, ergänzt Thomas Blunck Mitglied des Vorstands der MunichRe. Die Naturkatastrophenbilanz 2022 sei dominiert von Ereignissen, die nach dem Stand der Forschung stärker oder häufiger werden. Manche auch beides zugleich. Zudem sei erschreckend, was sich immer wieder zeige: Naturkatastrophen treffen Menschen in ärmeren Ländern besonders stark. Der Vorstand betont: Prävention und finanzielle Absicherung, etwa durch Versicherungen, müssen daher höhere Priorität bekommen. 

Was waren die teuersten Naturkatastrophen 2022?

Mehr als ein Drittel der Gesamtschäden und rund die Hälfte der weltweiten versicherten Schäden gehen auf das Konto von Hurrikan Ian. Der riesige tropische Wirbelsturm war im September mit Windgeschwindigkeiten von fast 250 km/h auf die Westküste Floridas getroffen.

Nur vier Stürme waren bisher beim Auftreffen auf US-Festland stärker, einige weitere waren ähnlich stark wie Ian. Er verursachte nach vorläufigen Schätzungen einen Gesamtschaden von rund 100 Mrd. US-Dollar, davon waren etwa 60 Mrd. US-Dollar (ohne NFIP [2]) versichert. Gemessen an den inflationsbereinigten versicherten Schäden war Ian der zweitteuerste Hurrikan der Geschichte nach Katrina im Jahr 2005. 

Solch starke Stürme wie Ian passen zu den erwarteten Folgen des Klimawandels: Die Forschung geht mehrheitlich davon aus, dass durch die Erderwärmung zwar nicht die Zahl der tropischen Wirbelstürme insgesamt steigt, wohl aber der Anteil der besonders starken mit besonders heftigen Niederschlägen. 

Zweitteuerste und gleichzeitig größte humanitäre Katastrophe des Jahres waren heftige Überschwemmungen als Folge sehr schwerer Monsun-Regenfälle in Pakistan. Im August waren die Niederschläge dort fünf bis sieben Mal so stark wie sonst üblich. Eine beschleunigte Gletscherschmelze als Folge der hohen Temperaturen verstärkte das Hochwasser erheblich.

Mindestens 1.700 Menschen starben. Die direkten Schäden werden auf mindestens 15 Mrd. US-Dollar geschätzt – gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes eine enorme Summe. Versichert war fast nichts, zahllose Menschen verloren ihr Hab und Gut. Forscher schätzen, dass die Intensität dieses Ereignisses durch den Klimawandel bereits um die Hälfte im Vergleich zu einer Welt ohne Erderwärmung zugenommen hat und künftig weiter steigen wird.

Für Versicherer waren Überschwemmungen im Südosten von Australien als Einzelereignis die zweitteuerste Naturkatastrophe 2022. Extreme Niederschläge im Februar und März führten in den Bundesstaaten Queensland und New South Wales zu zahlreichen Sturzfluten und starken Flusshochwassern. Zahllose Menschen mussten mit Booten und Hubschraubern aus ihren Häusern gerettet werden. Die Überschwemmungen erreichten auch die Metropolen Brisbane und Sydney.

Vom Gesamtschaden von etwa 6,6 Mrd. US-Dollar waren knapp 4 Mrd. US-Dollar versichert. Im Oktober führten erneute Starkniederschläge zu einem weiteren katastrophalen Hochwasser im Südosten des Landes. Die Schäden waren allerdings nicht so hoch wie zu Jahresbeginn. Insgesamt verursachten Überschwemmungen in Australien im vergangenen Jahr Schäden von 8,1 Mrd. US-Dollar, davon waren 4,7 Mrd. US-Dollar versichert.

Beim Hochwasserrisiko in Australien spielen natürliche Zyklen eine wichtige Rolle, da Starkniederschläge in La-Niña-Jahren deutlich wahrscheinlicher sind. Die Forschung geht inzwischen aber davon aus, dass zudem der Klimawandel die Intensität der Niederschläge beeinflusst. Ähnliches gilt für Waldbrände und Hitzewellen, die eher in El-Niño-Jahren auftreten, dem Gegenstück zu La Niña. 

Dürre, Hitze, Hagel – Extremsommer in weiten Teilen Europas

Extreme Hitze und Dürre gefolgt von starken Gewittern mit schwerem Hagel prägten den Sommer in vielen Ländern Europas. In Großbritannien stiegen die Temperaturen erstmals überhaupt über 40°C. In Deutschland und Italien führten Flüsse so wenig Wasser, dass die kommerzielle Schifffahrt stark beschränkt werden musste. Die indirekten wirtschaftlichen Folgen solcher Ereignisse lassen sich nur schwer beziffern. 

Die Hitze und Trockenheit begünstigten Waldbrände – die dabei verbrannte Fläche in der Europäischen Union war mit rund 800.000 Hektar (8.000 km2zweieinhalb Mal so groß wie im Schnitt der vorherigen 15 Jahre. Dennoch sind Waldbrände in Europa bei weitem nicht so zerstörerisch wie etwa in den USA. 

Auch bei Hitzewellen mit Dürren sieht die so genannte „Rapid Attribution“-Forschung eine Einwirkung des Klimawandels. Am Ende von Hitzewellen können deshalb zudem extremere Unwetter die Folge sein.

In Frankreich und im angrenzenden Spanien führten schwere Hagelstürme zu Milliardenschäden. Teilweise waren die Hagelsteine so groß wie Tennisbälle. Im Nordosten Spaniens wurden bei einem sehr schweren Hagelschlag viele Menschen verletzt, ein Kind starb. Allein die Hagelschläge in Frankreich im Jahr 2022 verursachten sehr hohe Schäden von 7,2 Mrd. US$ (6,8 Mrd. Euro), obwohl Hagelunwetter regional begrenzt sind. Die Versicherungswirtschaft trug 5,6 Mrd. US-Dollar (5,3 Mrd. Euro) davon. 

Zur Schadenbilanz 2022 in Europa gehören auch Stürme: Im Frühjahr hatten nach mehreren ruhigen Jahren Winterstürme wieder zu erheblichen Schäden geführt. Eine ganze Serie davon mit Windgeschwindigkeiten in Orkanstärke (über 118 km/h) verursachte im Februar in Nord- und Nordwest-Europa Schäden von 5 Mrd. Euro, davon waren 3,9 Mrd. Euro versichert.

Winterstürme in Europa erreichen bei weitem nicht die Gewalt von starken Hurrikanen. Da aber oft große Teile des Kontinents von einem einzigen Ereignis betroffen sein können, entsteht eine sehr große Zahl kleinerer Schäden, die sich leicht zu einer hohen Milliardensumme addieren können.

Region Asien/Pazifik stark von Naturkatastrophen betroffen

In der Region Asien/Pazifik stiegen die Schäden aus Naturkatastrophen auf rund 70 Mrd. US-Dollar. Der versicherte Anteil nahm auf etwa 10 Mrd. US-Dollar zu.

Hohe versicherte Schäden entfielen wie in der Vergangenheit auf industrialisierte Länder: Nach den Hochwassern in Australien war ein Erdbeben in Japan unweit der Stelle des Tohoku-Erdbebens von 2011 die Katastrophe mit den höchsten versicherten Schäden. Das Beben der Magnitude 7,4 verursachte Gesamtschäden von 8,8 Mrd. US-Dollar, davon waren 2,8 Mrd. US-Dollar versichert.

Vor fast zwölf Jahren hatte ein noch wesentlich stärkeres Beben einen verheerenden Tsunami und letztlich die Atomkatastrophe von Fukushima verursacht. Das neue Beben war auch gemessen an den Gesamtschäden die zweitteuerste Naturkatastrophe in Asien/Pazifik nach dem Hochwasser in Pakistan. 

In vielen Schwellenländern Asiens sind Katastrophenschäden vielfach so gut wie gar nicht versichert. Zu den extremen finanziellen Folgen von Naturkatastrophen in ärmeren Ländern wie in Pakistan sagte Ernst Rauch weiter:

Bessere Prävention und Frühwarnsysteme müssen zu einem besseren Schutz der Menschen beitragen.

Zudem müsse der auf dem Weltklimagipfel COP27 in Ägypten vereinbarte „Loss and Damage“-Fonds sowie das ebenfalls vorgestellte “Global Shield” schnell als handlungsfähige Instrumente umgesetzt werden. Auch können verbindlich geregelte Entschädigungsleistungen dazu beitragen, mehr Menschen gegen die unmittelbaren finanziellen Folgen von Katastrophen abzusichern, betont Rauch.

In China führten eine lang anhaltende Hitzewelle und Dürre mit Temperaturen bis über 44°C in vielen Teilen des Landes zu Wasserknappheit und Ernteausfällen. Der Pegel des Jangtse, des längsten und wirtschaftlich wichtigsten Flusses des Landes, fiel ebenso wie der anderer Flüsse und Stauseen drastisch.

Die Schifffahrt wurde teilweise eingestellt, die Stromausbeute aus den wichtigen Wasserkraftwerken sank. Mehrere große Industrieunternehmen stoppten zeitweise ihre Produktion. Nach groben Schätzungen könnten die Schäden unter anderem durch Ernteausfälle in einer mittleren einstelligen Milliardenhöhe liegen. Versichert war fast nichts. 

Afrika und Südamerika

In Afrika waren zwei extreme Hochwasser-Ereignisse die folgenschwersten Naturkatastrophen des Jahres. In Nigeria wurden nach ungewöhnlich starken Regenfällen in der Regenzeit weite Teile des Landes überschwemmt, zum Teil wochenlang. Weit mehr als 100.000 Gebäude und die Ernte auf mehr als 5.000 Quadratkilometern (500.000 Hektar) Farmland wurden zerstört, mehr als 600 Menschen starben.

Im Osten Südafrikas verursachte ein starkes Sturmtief mit extremen Niederschlägen Sturzfluten und Überschwemmungen. Stellenweise regnete es 450 mm (Liter pro Quadratmeter) innerhalb von zwei Tagen. Betroffen waren vor allem die Provinzen Eastern Cape und KwaZulu-Natal um die Hafenstadt Durban mit mehreren Millionen Einwohnern. In beiden Ländern verursachten die Überschwemmungen Schäden in der Größenordnung von 4 Mrd. US-Dollar. In Südafrika überschritten die versicherten Schäden die Milliardenschwelle.

Eine folgenschwere Dürre ereignete sich in Südamerika. Im Süden Brasiliens entstand laut einem staatlichen landwirtschaftlichen Forschungsinstitut durch Ernteausfälle ein Schaden in Milliardenhöhe.

Anmerkungen:

[1] „La Niña“ ist eine Ausprägung einer zyklischen Klimaschaukel im Pazifik („El Niño/Southern Oscillation“, kurz ENSO), die sich auf das Wetter in weit entfernten Regionen der Welt auswirkt. Bei La-Niña-Bedingungen wird das Entstehen von Hurrikanen üblicherweise begünstigt, bei El-Niño-Bedingungen gedämpft.

[2] National Flood Insurance Programme für private Hausbesitzer