China etabliert sich als Marktmacht im Finanzsystem

© Poring Studio – stock.adobe.com

Ein SAFE Working Paper untersucht, ob und wie sich die Rolle der USA im globalen Finanzsystem verändert – ein neuer Ansatz, um zu verstehen, wie China und andere Länder jetzt direkt um die globale Vorherrschaft konkurrieren.

Die prominente Rolle der USA als alleinige und bestimmende Kraft im weltweiten Finanzsystem ändert sich. Der Handelskonflikt mit China in der Amtszeit des früheren US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2018 sowie der Ausbruch der Coronapandemie haben die Konzentration auf die USA an den weltweiten Finanzmärkten schrumpfen lassen. Zugleich etabliert sich China als zweite zentrale Marktmacht, die den Takt an den globalen Finanzplätzen vorgibt. Der Ukraine-Krieg und die andauernde Energiekrise fördern eher eine bipolare oder multipolare Welt.

Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam in einem Working Paper des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE anhand von minutengenauen Börsenhandelsdaten. Die Analyse zeige, dass die USA in den vergangenen Jahren ihren weltweiten Vorsprung eingebüßt haben, erklärt Loriana Pelizzon, Leiterin der Forschungsabteilung „Financial Markets“ bei SAFE, und eine der Autorinnen. Sie ergänzt, dass seit 2015 andere Länder eine führende Rolle übernehmen, die Wahrscheinlichkeit neuer zentraler Positionen im Netzwerk steige und China zunehmend als neue zentrale Autorität auftrete.

Gemeinsam mit Monica Billio von der Universität Venedig, Andrew W. Lo vom Massachusetts Institute of Technology, Mila Getmansky Sherman von der University of Massachusetts Amherst und Abalfazl Zareei von der Universität Stockholm hat Pelizzon minutengenaue Handelsdaten der weltgrößten Börse New York Stock Exchange (NYSE) aus den Jahren 2012 bis 2020 zu zwölf länderspezifischen börsengehandelten Fonds ausgewertet.

Mit Hilfe von Hochfrequenzdaten könne man sich ein Bild vom gesamten Netzwerk machen, das das globale Finanzsystem zu einem bestimmten Zeitpunkt definiere. So können die Reaktion des Systems auf ‚Innovationen‘ wie Handelskriege, die Coronapandemie und andere Ausbrüche visualisiert und ein tiefere Einblick in die globale Dynamik gewonnen werden, fügt Monica Billio hinzu, die auch bei SAFE forscht.

Europas Finanzmärkten fehlt das Gegengewicht

Die Ergebnisse zeigen, dass China mit der Einführung von US-Strafzöllen auf chinesische Importe im Frühjahr 2018 eine zumindest ebenbürtige Position im Verhältnis zu den USA als Wirtschaftsmacht eingenommen hat. Diese Entwicklung verstärkte sich zusätzlich durch den Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020. Mit beiden politischen und epidemiologischen Phänomenen haben auch einige europäische Finanzmärkte an Bedeutung im weltweiten Vergleich gewonnen.

Zusätzlich zu den USA und China umfasst die Stichprobe die Hochfrequenzdaten von börsengehandelten Fonds (ETFs) aus Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich. Pelizzon und Billio stellen fest:

Als Finanzplatz ist Europa jedoch so fragmentiert, dass es kein Gegengewicht zu den USA und China darstellt.

Die Wissenschaftler*innen betonen, dass die zentrale Stellung Chinas ein junges, möglicherweise nur vorübergehendes Phänomen ist, sich aber im Zuge der aktuellen Energiekrise sicherlich weiterentwickelt. Demnach wird sich zeigen müssen, ob sich das globale Finanzsystem bipolar oder multipolar ausgestaltet und welche Rolle die USA in der globalen Finanzdynamik spielen werden. Sie erklären:

Es ist jedoch beunruhigend, dass eines der ersten Anzeichen für ein neues bipolares Finanzsystem mit den angespannten Beziehungen zwischen den USA und China zusammenfiel.

Besonders zu einer Zeit, in der die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Nationen zur Bekämpfung der Pandemie besonders wichtig gewesen sei. Die derzeitige Situation verstärke die Besorgnis und nach Ansicht der Forschenden die Notwendigkeit einer eingehenderen Analyse, um festzustellen, ob die ‚Thukydides-Falle‘ verhindert werden könne, also die Tendenz zu Konflikten, wenn eine aufstrebende Macht einen bestehenden internationalen Hegemon zu verdrängen drohe.

Auf dem Weg von einer unipolaren Welt zu einer bipolaren oder multipolaren Welt wäre es wichtig, eine weitere Eskalation der Spannungen zu verhindern, rät die Forschergruppe. Wir als Einzelpersonen und Länder müssen uns an eine sich verändernde Realität globaler Neuordnungen in der Post-COVID-Welt anpassen.

Das SAFE Working Paper No. 304 zum Download gibt es hier als PDF zum downloaden.