Die Rolle von Ratings in der Vorsorgeberatung

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Das Thema Nachhaltigkeit hat die Versicherungsbranche vollumfänglich erfasst. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Modeerscheinung, sondern vielmehr um einen tiefgreifenden Wandel, der uns alle betrifft. Unternehmen, die keinen Wert auf Nachhaltigkeit legen und keine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen, laufen zunehmend Gefahr, den Wandel zu verpassen.

Innovationen ohne Verbindung mit Nachhaltigkeitsthemen werden immer mehr als rückwärtsgewandt wahrgenommen. Als Folge wächst das Angebot nachhaltiger Anlagen im Finanzdienstleistungsbereich in einem atemberaubenden Tempo, sodass einen Überblick zu behalten schier unmöglich scheint. Hinzu kommt, dass teilweise das Akronym ESG als Marketinglabel missverstanden wird und bestehende Lücken in der Regulatorik teils gezielt ausgenutzt werden.

Wertvolle Unterstützung können unabhängige Experten, die sowohl (Finanz-)Produkte als auch dahinterstehende Unternehmen bewerten, liefern. Herausfordernd für die Branche ist, dass es keine einheitlichen Standards für ESG-Ratings gibt. Somit können bei der Bewertung desselben Unternehmens/Produkts durch zwei verschiedene Ratingagenturen scheinbar konträre Ergebnisse zustande kommen. Beide Einschätzungen können durchaus valide sein, aber eben auf unterschiedlichen Bewertungsansätzen basieren. Es sollte daher nicht nur auf reine „Labels“ geachtet werden, sondern deren Zustandekommen und Ratingansätze hinterfragt werden.

Das IVFP kann in mehreren Bereichen aktiv unterstützen. Als Beispiel steht beim Fondspolicen-Nachhaltigkeits-Rating die Produktlandschaft der Versicherer im Fokus. Ziel ist es, diejenigen Tarife zu identifizieren, die eine qualitativ hochwertige, breit diversifizierbare, nachhaltige Fondsauswahl ermöglichen.

Im Jahr 2022 hat das IVFP ein neues Rating für die Unternehmenskompetenz in der Nachhaltigkeit aufgelegt. Im Zuge dessen hat expertenReport den Leiter der IVFP-Ratingabteilung, Georg Goedeckemeyer, zu dem Begriff „Rating“ befragt.

Herr Goedeckemeyer, was sind Ihre Erfahrungen zu der Aussage „Kein Rating gleicht dem anderen“?

Georg Goedeckemeyer, Leiter der Ratingabteilung, Institut für Vorsorge und Finanzplanung GmbH © Institut für Vorsorge und Finanzplanung GmbH

Georg Goedeckemeyer: In der Presse steht an mancher Stelle geschrieben, dass die Ratinggesellschaften völlig unterschiedliche Ergebnisse veröffentlichen. Oftmals werden dabei Differenzen in den Veröffentlichungen „gleicher“ Ratings unterschiedlicher Analysehäuser kritisiert. Das scheint verwunderlich. So haben Ratings doch die Aufgabe, anhand von bestimmten Kennzahlen und Kriterien eine Bewertung der vorliegenden Informationen vorzunehmen. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollen den Leser*innen Orientierung bieten. Warum unterscheiden sich also nun die Ergebnisse? Das liegt im Wesentlichen daran, dass jede Gesellschaft unterschiedliche Kriterien, Gewichtungen, Bewertungssystematiken und Anzahl von Probanden verwendet – und das ist auch gut so! Hierdurch werden für das gleiche Thema mehrere Bereiche beleuchtet.

Das IVFP beispielsweise bewertet bei seinen Produktratings immer die dahinterstehenden Unternehmen mit. Das macht unsere Ratings sehr umfangreich. Andere Häuser haben weniger Kriterien und berücksichtigen zum Beispiel die Unternehmensqualität bei der Produktbewertung nicht. Ist das besser oder schlechter? Es ist ein anderer Ansatz. Je nachdem wie das Rating definiert ist, ergeben sich aber durchaus qualitative Unterschiede. Die „schwierige“ Aufgabe ist eigentlich, die guten von den schlechten Ratings zu unterscheiden.

Können Sie eine Einschätzung geben, auf welche Unterscheidungsmerkmale und Indizien hier geachtet werden sollte?

Für ein qualitatives Rating sprechen aus meiner Sicht mehrere Punkte:

  • Das Rating(haus) besteht schon mehrere Jahre und kann dadurch Erfahrung und Vergleichswerte aufweisen
  • Die Systematik des Ratings ist transparent erläutert und öffentlich zugänglich
  • Das Ratinghaus kann fachliche Expertise nachweisen und agiert unabhängig am Markt
  • Es wurde beim Rating eine tiefgehende Analyse vorgenommen
  • Genügend Kriterien, um eine kompetente Vergleichbarkeit zu schaffen

Demnach ist einerseits die durchführende Gesellschaft, andererseits aber auch das jeweilige Rating zu betrachten.

Wann geben Ratings Orientierung?

Eigentlich immer. Insbesondere dann, wenn es für die Interessenten einfach zu schwierig ist, sich umfassend zu informieren. Im Prinzip ist es der gleiche Ansatz wie bei einem guten Finanzberater. Dieser ist Gold wert, auch wenn die Mehrheit der Verbraucher glaubt, alles selbst recherchieren zu können. Wer aber in der Beratung tätig ist, weiß, wie umfangreich die Unternehmens- und Produktwelten in der Finanzbranche sind. Der oder die qualifizierte Finanzberater*in kann sich wiederum an Ratings orientieren, die zu deren Beratung passen.

Beim neuen Nachhaltigkeitskompetenz-Rating werden beispielsweise die Nachhaltigkeitsstrategie, relevante Geschäftsprozesse, die Produkte und Services sowie einige wichtige Kennzahlen analysiert. Der Anspruch besteht darin, diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die es ernst mit dem Thema Nachhaltigkeit meinen. Das Rating hat einen ausgeprägten vorwärtsgewandten Charakter. Es geht darum, Gesellschaften im Transformationsprozess zu begleiten und nicht für etwaige Altlasten zu bestrafen. Es bietet somit für die Berater*innen eine Orientierung darüber, welche Anbieter nachhaltig für unsere Zukunft agieren.

Wie können Berater*innen Ratings richtig lesen und interpretieren?

Wichtig bei einem Rating ist es, die bereits angesprochene Ratingsystematik im Groben verstanden zu haben. Danach verstehen die Leser*innen, welche Inhalte im Rating vertreten sind und wie die Bewertung zustande gekommen ist. Im Nachhaltigkeitskompetenz-Rating wird zum Beispiel abgefragt, inwiefern Anbieter ihren Mitarbeitern Anreize geben, um diese zu mehr Nachhaltigkeit zu bewegen. Für uns stellt das eine Dimension dar, um die Kompetenz im Bereich Nachhaltigkeit einschätzen zu können. Ob dieses Kriterium für diejenigen wichtig ist, die sich an diesem Rating orientieren, obliegt dem eigenen Empfinden.

Gibt es Ratingkomponenten mit eingeschränkter Aussagekraft?

Es gibt nicht die eine richtige Ratingkomponente. Nur im Kontext des jeweiligen Ratings sind die einzelnen Komponenten wertvoll. Dabei sind mathematische Abhängigkeiten zu prüfen, um nicht eventuelle Doppelgewichtungen zu erzeugen. Eine einzelne Ratingkomponente sollte nicht ein entscheidendes Kriterium darstellen.

Im Bereich der Regulatorik steht das Jahr 2022 ganz im Zeichen der Delegierten Verordnungen zu MiFID II und zur IDD. Ab dem 02.08.2022 müssen bei (Versicherungs-)Anlageprodukten neben den Kenntnissen und Erfahrungen, den finanziellen Verhältnissen, den Anlagezielen sowie der Risikobereitschaft von Kund*innen auch deren Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigt werden. Was genau Nachhaltigkeitspräferenzen sind, ist ebenfalls definiert.

Diese im Sinne des Regulators abzufragen, dürfte jedoch nicht ganz einfach werden. Die Differenzierung der Nachhaltigkeitspräferenzen ist komplex und nicht (wie viele immer noch glauben) mit einer einfachen Eingruppierung der Kund*innen in verschiedene Nachhaltigkeitsgrade darstellbar. Vielmehr ist die Präferenz der Kund*innen hinsichtlich eines Mindestanteils an nachhaltigen und ökologisch nachhaltigen Investitionen zu erfragen.

Darüber hinaus gilt es, die individuelle Entscheidung zu berücksichtigen, ob die Investition potenziell nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren hat, wobei Art und Umfang durch die Kund*innen selbst zu definieren sind. Da diese Nachhaltigkeitsfaktoren in den noch nicht final in Kraft getretenen technischen Regulierungsstandards zur Transparenzverordnung definiert werden, ist eine saubere Beratung auf Basis aller in der Delegierten Verordnung vorgesehenen Nachhaltigkeitspräferenzen vom Start weg (noch) nicht möglich. Es ist dringend ratsam, in der Übergangszeit einen entsprechenden Hinweissatz in die Geeignetheitserklärung beziehungsweise das Beratungsprotokoll aufzunehmen. Auch die Problematik der Garantieerzeugung oder der Gestaltung der Rentenphase mithilfe eines (nicht nachhaltigen) Deckungsstocks lässt sich mit der notwendigen Transparenz gegenüber Kund*innen heilen.

Eine Unterstützung durch spezialisierte Softwarelösungen wie den AnlegerprofilFINDER des IVFP ist dabei empfehlenswert. Dieser befindet sich bereits bei zahlreichen Versicherern im Einsatz, um Berater*innen dabei zu unterstützen, für ihre Kund*innen das passende Produkt zu finden und die Geeignetheitserklärung zu erstellen. Gleichzeitig ist damit sichergestellt, dass die im vorherigen Absatz genannten wichtigen Hinweissätze in der Beratung vorgebracht und automatisch dokumentiert werden und man regulatorisch immer auf der „Höhe der Zeit“ ist.

Bild (2): © Institut für Vorsorge und Finanzplanung GmbH