Diagnose Herzinfarkt: Ein BU-Leistungsfall?

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Manchmal geht es sehr schnell: Starke Schmerzen in der Brust, Atemnot, Übelkeit und Panikattacken sind typische Symptome eines Herzinfarkts. In dieser Situation geht es um Minuten. Die schnelle Einleitung einer medizinischen Behandlung sichert in vielen Fällen eine Schadenbegrenzung und in der Folge ein Leben ohne oder mit nur geringen Einschränkungen.

Eine Analyse von Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer AssekuranZoom GbR

Alexander Schrehardt, Gesellschafter-Geschäftsführer, AssekuranZoom GbR

Die Risikofaktoren für einen Herzinfarkt sind schnell gefunden: Bluthochdruck, Rauchen und ein regelmäßiger Konsum von Alkohol, ein höheres Lebensalter, aber auch eine fettreiche Ernährung, Bewegungsmangel sowie Übergewicht schieben den Zeiger auf der Risikoskala in den roten Bereich. Bei 270.000 Patienten wird jedes Jahr die Diagnose Herzinfarkt gestellt.

Auch wenn eine schnelle Erstbehandlung und die anschließende Rehamaßnahme dem Patienten nach einem Herzinfarkt ein Leben ohne nennenswerte Einschränkungen und eine hohe Lebensqualität ermöglichen können, stellt sich in Verbindung damit durchaus die Frage, ob ein Herzinfarkt für die Vertragsinhaber einer Berufsunfähigkeits- oder einer Grundfähigkeitenversicherung einen leistungspflichtigen Versicherungsfall und den Anspruch auf die Auszahlung der versicherten Rentenleistung begründet.

Mit Blick auf die Definition einer bedingungsgemäßen und damit leistungsbegründenden Berufsunfähigkeit und einen Prognosezeitraum von regelmäßig sechs Monaten eine durchaus berechtigte Frage. Natürlich kann ein eventueller Versicherungsfall auch retrospektiv nach Ablauf eines Zeitraums von sechs Monaten beurteilt werden. Doch die meisten Kunden drängen auf eine schnelle Leistungsentscheidung und bringen den Vermittler damit in ein Dilemma.

So ist einerseits ein Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit umfangreich und auch zeitaufwendig in der Bearbeitung. Andererseits ist zu einem frühen Zeitpunkt vollkommen unklar, ob die geforderte Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit um mindestens 50 Prozent und eine damit korrespondierende Einkommensminderung im Fall einer schnellen Genesung überhaupt für einen Zeitraum von sechs Monaten nachgewiesen werden kann.

Verkürzte Leistungsprüfung bei Eintritt einer schweren Krankheit?

Führende Lebensversicherer räumen im Fall einer schweren Krankheit, zum Beispiel eines Herzinfarkts, eines Schlaganfalls oder auch einer Krebserkrankung der versicherten Person, eine verkürzte Leistungsprüfung, die nur auf die medizinischen Leistungsvoraussetzungen abstellt, ein.

Die Prüfung einer Einschränkung der beruflichen Leistungseinschränkung und einer Einkommensminderung entfällt in diesen Fällen. Sofern die medizinischen Leistungsvoraussetzungen erfüllt werden, leisten die Versicherer mit einer Rentenzahlung in Höhe der versicherten BU-Rente für – abhängig vom jeweiligen Anbieter – einen Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten sowie für ausgewählte Krankheiten, zum Beispiel bei Nachweis einer hochgradigen Sehbehinderung der versicherten Person, sogar für 24 Monate.

Bei der Prüfung der Versicherungsbedingungen sollten Vermittler immer prüfen, ob ein Leistungsanerkenntnis infolge einer schweren Krankheit eine fortlaufende Leistungszahlung auch im Fall einer Verbesserung des Gesundheitszustandes der versicherten Person garantiert. Auch der Anspruch auf eine nochmalige verkürzte Leistungsprüfung bei Auftreten derselben Krankheit ist kritisch zu hinterfragen.

Leistungsvoraussetzungen im Fokus

Die Aussage, dass ein Herzinfarkt einen leistungspflichtigen Versicherungsfall begründet, kann den Vermittler im (vermeintlichen) Versicherungsfall sehr schnell in peinliche Erklärungsnöte führen. Deshalb müssen die Voraussetzungen, die ein Versicherer für die Begründung eines leistungspflichtigen Versicherungsfalls aufgibt, sehr genau unter die Lupe genommen werden.

Bei einem Herzinfarkt kommt es infolge einer unzureichenden Blutversorgung zum Absterben von Arealen des Herzmuskels, was zu einer dauerhaften Einschränkung der Herzfunktion führen kann. Wenn ein Patient mit charakteristischen Herzinfarktsymptomen in eine Klinik eingeliefert wird, bestimmen die behandelnden Ärzte die Konzentration der herzspezifischen Enzyme (zum Beispiel Troponine), die bei einem teilweisen Absterben des Herzmuskels freigesetzt werden, im Blut des Patienten. 

Mithilfe eines Elektrokardiogramms (EKG) kann der behandelnde Arzt die Reizleitung am Herzen seines Patienten messen und wichtige Informationen über die Lokalisation und das Ausmaß eines Herzinfarkts erhalten. Auch mit bildgebenden Verfahren können weitere Befunde erhoben werden. Bei einem akuten Infarktgeschehen sind die herzspezifischen Enzyme erhöht und im EKG zeigen sich typische Veränderungen, zum Beispiel sogenannte Streckenhebungen. Erleidet der Patient einen schweren Herzinfarkt, kann es ferner zu einer Einschränkung der Herzfunktion in Form einer reduzierten Pumpleistung des Herzens kommen.

Mit einer Ultraschalluntersuchung kann der behandelnde Arzt die sogenannte Ejektionsfraktion, das heißt den Anteil des Blutes, der bei einer Kontraktion des Herzens aus der linken Herzkammer (linker Ventrikel) in den arteriellen Blutkreislauf ausgeworfen wird, bestimmen. Bei einem gesunden Menschen beträgt die „Ejektionsfraktion“ in Abhängigkeit vom Lebensalter 60 Prozent bis 70 Prozent.

Im Rahmen der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen muss hinterfragt werden, welche medizinischen Befunde dem Versicherer für einen begründeten Leistungsanspruch nachgewiesen werden müssen. In der vergleichenden Betrachtung der Versicherungsbedingungen verschiedener Anbieter werden teilweise grundlegende Unterschiede bei den Leistungsvoraussetzungen schnell ersichtlich, was anhand der nachfolgenden AVB-Auszüge verdeutlicht werden soll.

Auszug aus den AVB der X Lebensversicherung

Versichert ist eine Person, wenn bei ihr ein Herzinfarkt aufgetreten ist. Dabei stirbt ein Teil des Herzmuskels infolge unzureichender Blutzufuhr zum Herzmuskel ab (Myokardinfarkt). Ein Facharzt für Kardiologie muss einen Myokardinfarkt durch folgende Faktoren nachweisen:

  • Die herzspezifischen Enzyme (zum Beispiel Troponine) sind charakteristisch angestiegen,
  • im Elektrokardiogramm (EKG) oder bei anderen positiven Befunden in der diagnostischen Bildgebung wird eine neue, charakteristische Veränderung festgestellt und
  • über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten wurde eine Schwäche der Herzleistung festgestellt. Diese führt zu einer reduzierten Auswurfleistung der linken Herzkammer von weniger als 35 Prozent.

Zielsetzung der verkürzten Leistungsprüfung ist die schnelle Regulierung eines durch schwere Krankheit der versicherten Person begründeten Versicherungsfalls. Einige Gesellschaften haben hierfür auch schon die Bezeichnung „Sofortleistung“ hinterlegt. Der von Versicherer X geforderte Nachweis einer über mindestens sechs Monate auf einen Wert von < 35 Prozent reduzierten Ejektionsfraktion lässt allerdings die Zielsetzung einer schnellen Regulierung und Auszahlung der Versicherungsleistung mehr als fraglich erscheinen.

Auszug aus den AVB der Y Lebensversicherung

Ein Herzinfarkt im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Veränderungen im Elektrokardiogramm (EKG): Es werden neu aufgetretene Veränderungen im Elektrokardiogramm (EKG) festgestellt, die einem Herzinfarkt entsprechen.
  • Veränderungen von Blutwerten: Es werden Veränderungen von bestimmten Blutwerten diagnostiziert, das heißt ein Anstieg der herzspezifischen Enzyme (Troponin oder Kreatinkinase-MB) über die geltenden Grenzwerte hinaus, die auf eine Schädigung der Herzmuskelzellen hindeuten.
  • Funktionseinschränkung des Herzens: Die Funktionseinschränkung des Herzens ist eine Verringerung der Auswurfleistung (Ejektionsfraktion) des Herzens aufgrund des Herzinfarkts.

Auch die AVB von Versicherer Y lassen Fragen offen. So wird für einen leistungspflichtigen Versicherungsfall neben anderen Voraussetzungen auch eine reduzierte Ejektionsfraktion gefordert. Allerdings benennt der Versicherer in seinen AVB weder einen Grenzwert für die Ejektionsfraktion noch einen Zeitrahmen, sodass diese Fragen zu einem aus Kundensicht höchst ungünstigen Zeitpunkt abschließend geklärt werden müssen – und zwar im Versicherungsfall.

Auszug aus den AVB der Z Lebensversicherung

Ein Herzinfarkt ist unter folgenden Bedingungen versichert:

  • Der Herzinfarkt schränkt die Herzleistung anhaltend ein und
  • die Herzleistung ist so stark eingeschränkt, dass ein Facharzt eine Reduktion der Ejektionsfraktion auf weniger als 35 Prozent feststellt. Diese Reduktion hält mindestens 14 Tage an. Sie liegt trotz medikamentöser Behandlung vor.

Erfreulich transparent sind die in den AVB von Versicherer Z für einen leistungspflichtigen Versicherungsfall benannten Leistungsvoraussetzungen. So fordert der Versicherer weder Laborwerte noch den Nachweis pathologischer Veränderungen mit einem EKG ein, sondern kapriziert sich vielmehr auf den verpflichtenden Nachweis einer auf < 35 Prozent reduzierten Ejektionsfraktion über einen Zeitraum von 14 Tagen.

Weitere Leistungsauslöser: Krebs und Schlaganfall

In den Versicherungsbedingungen führender Anbieter werden nicht nur der Herzinfarkt, sondern auch andere häufig auftretende Erkrankungen benannt. So erleiden beispielsweise circa 220.000 Patienten jedes Jahr einen Schlaganfall und jährlich erhalten 510.000 Patienten die Diagnose Krebs. Aber auch eine Einschränkung der Lungen- oder Nierenfunktion, eine hochgradige Sehbehinderung oder ein (teilweiser) Verlust des Hörvermögens werden in den AVB als Krankheitsereignisse gelistet, die eine verkürzte Leistungsprüfung rechtfertigen.

Auch zu diesen anderen Erkrankungen, und hier sind vorrangig der Schlaganfall und Krebserkrankungen zu nennen, werden in den Versicherungsbedingungen verschiedener Anbieter teilweise sehr unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen benannt, die vor allem Versicherungsmakler prüfen und bewerten müssen. Dabei sollte vor allem auf die Transparenz, die Vollständigkeit der Leistungsvoraussetzungen sowie auf die Dauer des vom Versicherer geforderten Beurteilungszeitraums geachtet werden.

Betrachtet man beispielsweise den Leistungsauslöser Krebs, so stellen einige Gesellschaften ihre Leistungspflicht im Rahmen der verkürzten Leistungsprüfung auf die Klassifizierung von Tumoren ab, während andere Versicherer für eine Beurteilung ihrer Leistungspflicht die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen im Fall einer Krebserkrankung prüfen. Auch beim Schlaganfall steckt der Teufel im Detail. So begründet nach den AVB der drei vorgenannten Gesellschaften beispielsweise eine halbseitige Lähmung der versicherten Person nach einem Schlaganfall einen leistungspflichtigen Versicherungsfall.

Während Versicherer X allerdings den Nachweis dieser motorischen Einschränkungen für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten einfordert, anerkennt Versicherer Y seine Leistungspflicht bereits nach Ablauf von drei Monaten und die AVB von Versicherer Z sehen sogar nur einen Beurteilungszeitraum von 14 Tagen vor.

Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass mit qualifizierten, mehrwöchigen Rehamaßnahmen und einem gezielten Aufbautraining in vielen Fällen eine signifikante Verbesserung der defizitären motorischen Fähigkeiten erreicht wird, so werden versicherte Personen nach den AVB der Versicherer X und Y unter Umständen leer ausgehen. Abschließend ist anzumerken, dass die Tarife der drei genannten Gesellschaften von den führenden Ratingagenturen mit Bestnoten ausgezeichnet wurden.

Wie gesagt: Der Teufel steckt im Detail.

Bild (2): © AssekuranZoom GbR