Die großen Digitalunternehmen bieten zunehmend medizinische Produkte und Dienstleistungen an. Ihre Innovationskraft birgt viel Potenzial für die digitale Transformation des Gesundheitswesens. Doch Ihr Engagement birgt auch Risiken für den Umgang mit Daten und das solidarisch organisierte deutsche Gesundheitssystem. Politik und Gesellschaft sind gefordert, die nötigen Leitplanken zu schaffen.
Von Amazon, Apple und Microsoft bis zu Samsung und Tencent: Die globalen Technologiekonzerne dringen immer stärker in den Gesundheitsbereich vor. Das zeigt eine Bestandsaufnahme des Forschungsteams unter Leitung der Ethikerin Christiane Woopen, das im Auftrag der Bertelsmann Stiftung das Angebot an medizinischen Produkten und Dienstleistungen von 16 der weltgrößten Digitalunternehmen untersucht hat. 13 davon waren Ende 2021 in der Rangliste der 100 wertvollsten Konzerne nach Börsenwert vertreten. Ihre Aktivitäten und Geschäftsfelder weisen eine enorme Bandbreite auf.
Neben Anwendungen für den individuellen Gebrauch, zum Beispiel Fitnessuhren oder Apps für Sport und Ernährung, spielen Angebote für Institutionen und Fachkräfte in der Gesundheitsbranche eine immer wichtigere Rolle. Dazu gehören etwa Softwarelösungen für die Diagnostik oder Plattformen für die teaminterne Vernetzung. Weit verbreitet sind Cloud-Lösungen zur Speicherung, Verwaltung, Auswertung und zum Teilen von Daten. Einige Unternehmen treten sogar selbst als Erbringer von Gesundheitsleistungen auf. Sie betreiben Online-Apotheken, produzieren und vertreiben Arzneimittel, bieten vereinzelt Krankenversicherungen an oder eröffnen telemedizinische Kliniken.
Allen betrachteten Konzernen ist gemein, dass sie in Forschung und Entwicklung mit Gesundheitsbezug investieren. Sie produzieren und vertreiben Arzneimittel, bieten vereinzelt Krankenversicherungen an oder eröffnen telemedizinische Kliniken. Thomas Kostera, Gesundheitsexperte bei der Bertelsmann Stiftung erklärt:
Im öffentlichen Bewusstsein ist es noch gar nicht so präsent, wie stark die Tech-Giganten inzwischen im Gesundheitsbereich aktiv sind. Dabei wäre es wichtig, sich mit ihrem wachsenden Einfluss auseinanderzusetzen.
Dank ihrer Innovationskraft stellen sie einerseits eine große Chance für die digitale Transformation von Gesundheitssystemen dar. Andererseits berge die marktbeherrschende Stellung der Digitalkonzerne erhebliche Herausforderungen für das Gemeinwohl etwa in Bezug auf die Nutzung von Daten oder den gleichberechtigten Zugang zu medizinischen Leistungen, so Kostera.
Potenziale nutzen, ethische Standards wahren
Christiane Woopen, Professorin für Lebensethik an der Universität Bonn, betont, dass Tech-Giganten durch ihre Produkte, Services und Know-how dazu beitragen können, die Prävention von Erkrankungen zu fördern, die digitale Gesundheitsversorgung sektorenübergreifend und patientenzentriert weiterzuentwickeln und den Aufbau eines lernenden Gesundheitssystems zu unterstützen. Sie erklärt:
Dieses Potenzial sollte genutzt werden. Gleichzeitig sollten ethische Standards gewahrt werden, die es durch eine risikoadäquate Regulierung teils noch abzusichern gilt.
Nach Einschätzung der Fachleute müssten sich Politik und Gesellschaft darauf verständigen, wie sich Digitalkonzerne am besten in die bestehenden Gesundheitsstrukturen einbinden lassen. Denn aus der Bestandsaufnahme geht hervor, dass mittlerweile jedes der betrachteten Unternehmen über Partnerschaften, Investitionen oder Akquisitionen mit dem Gesundheitssektor verbunden ist.
Da es sich bei Gesundheit um einen Wachstumsmarkt handelt, gehen die Fachleute davon aus, dass die Tech-Konzerne ihre Aktivitäten kontinuierlich ausweiten werden. In der Folge könnte das zum Aufbau von Parallelstrukturen zum bestehenden Gesundheitssystem führen. So sehen die Experten den Umgang mit den Tech-Giganten als eine Gratwanderung für die Gesundheitspolitik. Ohne ihre Beteiligung drohe ein kaum einhaltbarer Rückstand bei der digitalen Transformation.
Der Umgang mit Daten hat eine Schlüsselrolle
Die Fachleute empfehlen daher, dass die deutsche und europäische Gesundheitspolitik zunächst einen klaren regulativen Rahmen schaffen. Dieser müsste definieren, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Regeln Kooperationen mit Tech-Unternehmen möglich sind – und wie sich deren Innovationen nutzenbringend integrieren lassen.
Flankiert werden sollte das durch eine gesellschaftliche Debatte, an welchen Werten und ethischen Leitplanken sich die digitale Transformation des Gesundheitswesens zu orientieren hat. Eine Schlüsselrolle in diesem Kontext kommt dem Umgang mit Daten zu. Hier ist es von zentraler Bedeutung, eine monopolartige Nutzung durch einzelne Akteure zu verhindern. Das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz sollte für alle Datenhalter, einschließlich der Tech-Konzerne, klare Vorschriften für die Sammlung und Weitergabe von Daten enthalten. Gleiches gilt für den geplanten Europäischen Gesundheitsdatenraum.
Zudem muss der Missbrauch von gesundheitsbezogenen Daten und daraus entstehenden Risikoprofilen, etwa bei der Arbeitsplatzsuche oder beim Abschluss von Lebensversicherungen, gesetzlich verhindert werden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sowohl Verantwortliche im Gesundheitssystem als auch in Ministerien und Behörden ihre Digitalkompetenz ausbauen, um ein besseres Verständnis neuer Technologien wie KI, Robotik und Virtual/Augmented Reality zu entwickeln.
Zusatzinformationen
Die Analyse „Tech-Giganten im Gesundheitswesen“ wurde unter Leitung der Ethikerin Prof. Dr. Christiane Woopen erst beim Forschungszentrum Ceres (Universität zu Köln) und nach ihrem Wechsel an die Universität Bonn am Center for Life Ethics der Universität Bonn durchgeführt. Unter Tech-Giganten werden in diesem Kontext weltweit agierende Unternehmen verstanden, die über einzigartige hohe Finanz-, Personal- und technische Ressourcen sowie Kompetenzen in Bezug auf Digitaltechnologien verfügen. Die untersuchten Konzerne stammen aus Europa, Asien und den USA. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Wurzeln nicht in der Gesundheitsbranche haben.
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