Verbindlichkeit der Feststellungen im Sachverständigenverfahren

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Das OLG Naumburg entschied über die Verbindlichkeit der Feststellungen von Sachverständigen. Es wurde geklärt, unter welchen Umständen ein Sachverständigengutachten für die Schadensermittlung gemäß § 84 Abs. 1 VVG nicht verbindlich ist.

Ein Beitrag von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Schutz und Informationstechnologierecht, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Björn Thorben M. Jöhnke, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Der Kläger unterhielt bei der beklagten Versicherung eine Kaskoversicherung für ein Wohnmobil. Dieses wurde durch eine Brand beschädigt. Infolge des Schadens gerieten die Parteien in Streit über die Höhe der Entschädigungsleistung. Es wurde ein Sachverständiger bestellt, dieser ermittelte eine Erstattungssumme von 7.600 Euro. Die Versicherung leistete diesen Betrag. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Feststellung des Sachverständigen offensichtlich unrichtig sind und deshalb unverbindlich. Er beauftragte selbst einen Gutachter der einen Schaden von 48.432,01 Euro testierte.

Rechtliche Bewertung: Verbindlichkeit des ersten Sachverständigengutachtens

Dreh und Angelpunkt der rechtlichen Bewertung ist der § 84 Abs. 1 VVG. Demnach ist eine getroffene Feststellung nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. Durch das erste Sachverständigengutachten wurde ein Schaden von 7.600 Euro festgestellt; diese Feststellung weicht vom Schadenswert des zweiten Gutachtens in Höhe von 48.432,01 Euro ab. Es wurde geprüft, ob ein Auseinanderfallen von Schadenswerten für eine offenbare Unrichtigkeit des Erstgutachtens spricht. Nach der Feststellung des OLG Naumburg (Urt. v. 16.01.2019 – 4 U 35/16) lässt sich aus dieser Abweichung eine offenbare Unrichtigkeit der Sachlage herleiten.

Die Abweichung muss sich auf das Gesamtgutachten und nicht auf die Bewertung von einzelnen Schadensposten beziehen. Unverbindlich ist eine Sachverständigenfeststellung nur dann, wenn sich die Fehlerhaftigkeit einem unbefangenen Beobachter aufdrängt. Eine sich aufdrängende Unrichtigkeit liegt demnach nur vor, wenn die getroffenen Feststellungen sachlich nicht nachvollziehbar sind, die Feststellungen des Gutachter mithin unplausibel sind.

Mit Blick auf den Sinn eines Sachverständigenverfahrens, nach dem durch eine verbindliche Feststellung ein Streit der Parteien vermieden werden soll, ist die Bewertung einer Unrichtigkeit zurückhaltend vorzunehmen. Ein Sachverständigengutachten ist nur dann unrichtig, wenn die Ermittlung des Schadens nicht detailliert begründet und deshalb sachlich nicht nachvollziehbar ist. Das Erstgutachten wies keine solchen sachlichen Mängel auf. Somit begründen die unterschiedlichen Schadensberechnungen keine offenbar von der wirklichen Sachlage abweichende Unrichtigkeit im Sinne des § 84 Abs. 1 VVG. Die erste Feststellung ist verbindlich.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Im Versicherungsprozess gelten Feststellungen von Sachverständigen als verbindlich, wenn sie den beruflichen Geboten der Sorgfältigkeit entsprechen. Abweichende Schadensberechnungen von weiteren Gutachtern stellen die Richtigkeit im Sinne des § 84 VVG nicht in Frage. Im Versicherungsfall sollte frühzeitig ein Fachanwalt für Versicherungsrecht mit der Klärung betraut werden.

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