Insolvenzen 2021: Licht und Schatten

© Birgit Reitz-Hofmann – stock.adobe.com

Gute Nachrichten für die deutschen Unternehmen: Insolvenzen bleiben trotz eines leichten Anstiegs um rund 6 Prozent auch 2021 voraussichtlich auf künstlich niedrigem Niveau. Die Fallzahlen dürften im laufenden Jahr sogar geringer ausfallen als vor der Pandemie im Jahr 2019. Der Grund dafür sind die umfangreichen Maßnahmenpakete, um die Folgen der Covid-19-Pandemie für die Unternehmen teilweise abzufedern.

Mit der Verlängerung und Ausweitung dieser Maßnahmen Ende 2020 erwartet Euler Hermes auch für 2021 keinen sprunghaften Anstieg. Ausgehend von den aktuellen Rahmenbedingungen prognostiziert der weltweit führende Kreditversicherer in seiner aktuellen Analyse zwar einen Zuwachs der Insolvenzen in Deutschland im Jahr 2021 um 6 Prozent, allerdings erst ab dem zweiten Halbjahr und von sehr niedrigem Niveau kommend.

Erst im Laufe von 2022 dürften die Pleiten um rund 15 Prozent zunehmen. Die Fallzahlen 2022 dürften dann jedoch nur etwa 4 Prozent höher liegen als 2019, vor der Pandemie. Das entspricht in etwa dem Niveau von 2017. Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich gut da.

 

 

Entkoppelt: Insolvenzentwicklung hängt nicht vom Markt, sondern von Hilfsmaßnahmen ab

Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sagt:

„Es ist paradox: Trotz einer der größten Wirtschaftskrisen sind Insolvenzen in Deutschland im vergangenen Jahr mit rund -15 Prozent deutlich auf einen neuen Niedrigstand seit 1993 gesunken. Das zeigt, wie stark die Insolvenzentwicklung von der tatsächlichen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem aktuellen Zustand der Unternehmen entkoppelt ist.“

Die Insolvenzentwicklung ist derzeit nicht von Marktmechanismen, sondern von der weiteren Entwicklung und dem Fortbestand von Unterstützungsmaßnahmen abhängig.

Van het Hof sagt:

„Das wird nicht ewig so weitergehen. Aber auch mit der sukzessiven Rückkehr in eine neue Normalität ist ein umgehender oder sprunghafter Anstieg ist dadurch erst einmal nicht in Sicht. Für deutsche Unternehmen ist dies zunächst eine gute Nachricht in diesen herausfordernden Zeiten.“

Trotz des erneuten und verlängerten Lockdowns, der viele Branchen empfindlich trifft, sind mit zunehmendem Impffortschritt die gesamtwirtschaftlichen Aussichten für 2021 relativ gut und am Horizont winkt ab voraussichtlich dem zweiten Halbjahr ein „Nachhol-Boom“ sowie eine deutliche wirtschaftliche Erholung.

Spagat: Finanzen genau im Blick behalten und strategische Weichen stellen

Van het Hof sagt:

„Gerade jetzt ist es wichtig, dass die Unternehmen einerseits ihre Finanzen ganz genau im Blick behalten und andererseits heute schon strategische Weichen für die Zukunft stellen. Das ist manchmal ein Spagat, denn nicht bei allem ist aktuell genügend Spielraum für Investitionen. Dennoch birgt jede Krise Chancen. Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass einige Unternehmen diese genutzt und kreative Konzepte entwickelt haben und damit sehr erfolgreich sind.“

Vorsicht: Steigende Großinsolvenzen – wenn es kracht, dann richtig

Die Entwicklung ist allerdings sehr uneinheitlich. Firmen sollten deshalb weiterhin wachsam bleiben und ganz genau auf ihre Abnehmer schauen:

Van het Hof sagt:

„Unternehmen sollten weiterhin auf ein sorgfältiges Risikomanagement achten und sich weder allein durch die jüngste Insolvenzentwicklung in falscher Sicherheit wiegen noch von großen und bekannten Namen täuschen lassen.

Trotz insgesamt rückläufiger Fallzahlen sind in Deutschland die erwarteten Forderungsverluste, also die Schäden, die den Unternehmen voraussichtlich durch die Insolvenzen entstehen, deutlich gestiegen: von 26,3 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf über 42 Milliarden Euro im Jahr 2020. Zudem haben sich 2020 große Insolvenzen in Deutschland gegen den allgemeinen Trend fast verdoppelt, mit entsprechenden Schneeballeffekten auf die Lieferketten.“

58 große Unternehmen (mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro) rutschten 2020 in die Pleite gegenüber 32 im Vorjahr (+81 Prozent) – trotz der bis zum Herbst letzten Jahres komplett ausgesetzten Insolvenzantragspflicht.

Die großen Insolvenzen häufen sich in vielen Branchen, in denen die Gesamtzahl der Fälle deutlich rückläufig war wie beispielsweise im Einzelhandel. Das zeigt vor allem, dass große Unternehmen eine Insolvenz häufiger als Sanierungsinstrument nutzen, während kleine und mittelständische Unternehmen 2020 durch die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht geschützt wurden.

Risiko Insolvenzantragspflicht: Nur wenige Unternehmen fallen unter die weitere Aussetzung

Seit 1. Oktober 2020 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder für den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit. Lediglich für den Insolvenzgrund der Überschuldung – unter den nur ein geringer Prozentsatz der Insolvenzen fällt – blieb die Antragspflicht weiterhin ausgesetzt.

Die kürzlich beschlossene Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende April 2021 betrifft ebenfalls nur einen relativ kleinen Kreis an Unternehmen: Nur diejenigen Firmen mit Insolvenzreife, die bereits staatliche Hilfsgelder beantragt haben, die jedoch noch nicht ausgezahlt wurden, fallen drunter.

Der Antrag allein reicht allerdings nicht aus, sondern es müssen noch eine Reihe weiterer Kriterien erfüllt werden: Das Unternehmen darf erst durch die Covid-19-Pandemie in Schwierigkeiten geraten sein, der Antrag auf Hilfsgelder muss Aussicht auf Erfolg haben und vor allem müssen die beantragten Hilfsgelder ausreichen, um die Insolvenzreife zu beseitigen.

„Dünnes Eis“: Haftungsrisiken für Unternehmen, Blindflug bei Lieferanten

Van het Hof sagt:

„Viele Unternehmen sind sich nicht bewusst, dass die Insolvenzantragspflicht nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen weiterhin ausgesetzt bleibt. Das ist ein großes Risiko. Wir gehen davon aus, dass einige, insbesondere kleine Unternehmen, eigentlich bereits Insolvenz anmelden müssten. Der erneute und verlängerte Lockdown hat oft zu größeren finanziellen Belastungen geführt als die beantragten Hilfsgelder abfedern können.

Sie bewegen sich damit zum Teil auf sehr dünnem Eis und könnten so unwissentlich in Haftungsprobleme schlittern. Insofern sollten Unternehmen genau prüfen, ob sie die entsprechenden Voraussetzungen für die Aussetzung erfüllen. Für die Lieferanten ist dies ebenfalls problematisch und die Unsicherheit dadurch umso größer. Sie sind teilweise im Blindflug unterwegs, weil sie gar nicht wissen, ob Abnehmer tatsächlich noch zahlungsfähig sind.“

Neues Sanierungsinstrument StaRUG – nicht auf Gehälter und Pensionszusagen anwendbar

In Deutschland haben Unternehmen mit Sanierungsbedarf seit Januar 2021 durch das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) jedoch eine zusätzliche Möglichkeit zur außerinsolvenzlichen Sanierung, ähnlich wie beim „Chapter 11 Verfahren“ in den USA. Sie können durch das neue Gesetz – bei Zustimmung der Mehrheit der Gläubiger (75 Prozent) zum Sanierungsplan – ihre Schulden reduzieren.

Allerdings gibt es auch hier Einschränkungen: Das Sanierungsverfahren kann nur von Unternehmen genutzt werden, die nicht bereits aktuell zahlungsunfähig sind, bei denen dies jedoch vermutlich in den kommenden 12-24 Monaten eintreten dürfte (drohende Zahlungsunfähigkeit). Zudem kann es nicht für Forderungen der Arbeitnehmer (z.B. Gehälter) oder Pensionskassen angewendet werden (z.B. Pensionszusagen). Auch eine einseitige Beendigung von Dauerschuldverhältnissen (z.B. Mietverträgen) ist im Zuge des Verfahrens nicht möglich.

 

Bilder: (1) © Birgit Reitz-Hofmann – stock.adobe.com (2) © Euler Hermes