Digitaler Kulturwandel in der Versicherungsbranche

Digitaler Kulturwandel in der Versicherungsbranche
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René Schoenauer, Director Product Marketing EMEA bei Guidewire Software, ist der Meinung, dass nicht nur die Technologie, sondern vor allem der Mitarbeiter im Fokus des digitalen Kulturwandels stehen muss. Ein Kommentar.

Digitaler Kulturwandel = Technologie. Diese Gleichung hat einen entscheidenden Rechenfehler. Natürlich sind veränderte und zukunftsfähige Technologien das Werkzeug, um den digitalen Wandel in der Versicherungsbranche zu vollziehen, aber die ausschlaggebende Komponente für den künftigen Erfolg, und das sollte im Zentrum jeder Überlegung stehen, ist der Mitarbeiter.

Dabei geht es im Kontext des digitalen Kulturwandels in der Versicherungsbranche vor allem um die veränderten Ansprüche an den und des Mitarbeiters, um angepasste Kundenbedürfnisse und um die dem digitalen Wandel unterliegenden Anforderungsprofile in den jeweiligen Funktionsgruppen.

Das Epizentrum: Digitale Kompetenz für Mitarbeiter

Die Digitalisierung verschiebt vor allem den Anspruch an die Berufsbilder der Versicherungsindustrie, das zeigt auch eine Accenture-Studie für den Versicherungsbereich.

Der Beruf des Underwriters wird sich beispielsweise dahingehend verändern, dass dieser verstärkt mit Datenwissenschaftlern und -analysten zusammenarbeiten muss. Diese Zusammenarbeit und ein geschärftes Datenverständnis durch die Nutzung neuer Tools und Analysemethoden wird Underwriter befähigen, komplexe und prädiktive Risikobewertungen durchzuführen.

Daneben werden die Stellenbeschreibungen in der Schadensachbearbeitung künftig stark durch den Omnikanal-Ansatz geprägt sein. Der Schadensachbearbeiter rückt in den Mittelpunkt der Kundenerfahrung, weil er durch Echtzeitanalysen zum Problemlöser wird. Durch personalisierte Lösungen ist der Schadensachbearbeiter dann in der Lage, die Kundenloyalität zu fördern, den Net Promoter Score zu steigern und langfristige wirtschaftliche Zugewinne zu sichern.

Auch die Produktentwicklung kann sich der digitalen Kulturevolution nicht verschließen. Produktentwickler werden sich künftig, in Zusammenarbeit mit Customer-Experience-Spezialisten, um das Innovieren ganzer Geschäftsmodelle kümmern und Produkte und Services auf den Markt bringen, die vor allem den angepassten Kundenbedürfnissen entsprechen.

Omnikanal-Ansprüche des Kunden

Der digitale Kulturwandel in der Versicherungsbranche wird vor allem dadurch notwendig, weil sich Kundenansprüche durch den technologischen Zeitgeist verändert haben. Gerade bei den eher „simpleren“ Versicherungen ist der Ruf nach digitalen Lösungen laut geworden – während bei komplexeren Versicherungen der persönliche Kontakt zwischen Versicherungsvermittler und Kunde weiterhin entscheidend bleibt.

Durch diese „Zweiteilung“ ergibt sich in Bezug auf den Kundenanspruch ein zukunftsweisender, hybrider Lösungsansatz: Die Kombination des digitalen und analogen Bereichs muss durch den Versicherungsvermittler in einer Omnikanal-Strategie abgewickelt werden können.

Idealerweise weiß der Vermittler vor dem persönlichen Gespräch bereits, was der Kunde online ausgefüllt hat. Eine Systemverknüpfung und damit verminderte Silobrüche, in Kombination mit den richtigen Technologien (CRM, Datenanalyse) werden hierfür den geeigneten Nährboden bieten. Grundvoraussetzung bleibt aber auch hier die Stärkung der digitalen Kompetenz des Mitarbeiters.

Technologie definiert Policierung und Arbeitsweisen

Nicht nur die veränderten Kundenansprüche bestimmen den digitalen Kulturwandel – sondern auch die optimierten technischen Möglichkeiten der Industrie. Im Privatversicherungsgeschäft ist durch die erhöhte Datensicherheit und -menge eine bessere Risikoprävention oder gar eine „Echtzeit-Policen-Anpassung“ möglich: So kann sich mithilfe von Sensortechnologie im Haus beispielsweise die Police der Einbruchsschutzversicherung anpassen, je nachdem ob der Kunde zuhause ist oder nicht.

Auch im B2B-Versicherungsbereich ist dies denkbar und möglich. Policen im Bereich Cargo, bei Containerschiffen etwa, die die Sensortechnologie für ihre Kühltechnologie nutzen, können hier ebenso in Echtzeit aktualisiert werden.

Der Einsatz dieser Technologien wirkt sich im Umkehrschluss dann wieder auf die Arbeitsweise und -prozesse in den Versicherungsunternehmen aus.

Die Nutzlosigkeit der Technologie ohne den Menschen

Wie die eben genannten Beispiele zeigen, ist der technologische Fortschritt in der Versicherungsbranche enorm. Risiken können zunehmend minimiert und immer konkreter und detaillierter bewertet werden. Datenanalysen funktionieren oft in Echtzeit – Anpassungen ebenfalls.

Doch einen Haken bringt die schnelle digitale Transformation mit sich: Kann der Mitarbeiter und die Organisationsstruktur bei den Versicherungsunternehmen nicht mithalten, dann stockt der Prozess und eine optimale Nutzung der neuen Möglichkeiten ist nur eingeschränkt oder gar nicht möglich.

Zudem, und das ist entscheidend, muss auch weiterhin auf die Ausbildung wesentlicher Social Skills des Personals geachtet werden. Denn wer ein inkorrektes Problemlösungsverhalten oder fehlerhafte Kommunikation an den Tag legt, kommt erst gar nicht dazu, sich den wirklichen Herausforderungen des digitalen Kulturwandels zu stellen.

Wer also seine Mitarbeiter nicht ins Zentrum des digitalen Kulturwandels stellt, der wird bereits bei der Implementierungsphase neuer Technologien in Seenot geraten.