Mehr Einnahmen, weniger Wachstum – das Paradox der Steuerschätzung 2025

990,7 Milliarden Euro. Das ist der neue Steuerwert für 2025. Elf Milliarden mehr als noch im Mai geschätzt. Der Arbeitskreis Steuerschätzungen meldet Zuwachs – der Bundesfinanzminister spricht von Wirkung. „Unser Investitionspaket ist ein starker Impuls“, heißt es. Klingt nach Aufbruch. Sieht nach Wachstum aus. Ist aber vor allem: nominales Rauschen auf fiskalischem Boden.

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Fiskalische Akrobatik auf engstem RaumFiskalische Akrobatik auf engstem RaumDALL E prompt by experten

Denn die Realität dahinter ist deutlich kleiner: Das reale Bruttoinlandsprodukt wächst laut Herbstprojektion um 0,2Prozent. Ein Zuwachs auf Nullniveau. Der nominale Anstieg liegt bei drei Prozent – getragen von Preisen, Löhnen, Renten. Nicht von zusätzlicher Leistung, sondern von verteilter Kaufkraft. Die Einnahmen steigen, weil alles teurer wird. Das ist kein Aufschwung. Das ist Statistik.

Löhne rauf, Kassen voll – aber wessen?

Besonders deutlich zeigt sich das bei der Lohnsteuer. Die Bruttolöhne steigen um 3,7Prozent. Klingt nach gutem Jahr. Doch ein erheblicher Teil davon wird versteuert – Stichwort kalte Progression. Auch die Rentenerhöhung Anfang des Jahres wirkt wie ein Konjunkturprogramm für das Finanzamt. Mehr Einkommen, mehr Abgaben. Das System funktioniert. Es produziert Einnahmen – ohne dass sich die Grundlage dafür ändert.

Der Staat als eigener Konjunkturmotor

Hinzu kommt der staatliche Anteil am Wachstum. Das sogenannte Investitionspaket kurbelt Bau, Planung, Transfer an. Es bringt Nachfrage – und mit ihr Umsatzsteuer. Doch was wie ökonomischer Impuls wirkt, ist ein Kreislauf. Der Staat finanziert Investitionen – und verdient über Steuern einen Teil zurück. Eine fiskalische Rückkopplung. Die Maschine läuft – aber sie fährt nicht voran. Sie produziert Steuern, nicht Wachstum.

Die Einlage: Der Boom als Absicht

Natürlich ist das kein Zufall. Der Staat versucht, mit fiskalischen Mitteln eine Wachstumserzählung zu erzeugen. Subventionen, Steueranreize, Investitionsoffensiven – alles mit dem Ziel, eine wirtschaftliche Eigendynamik zu entfachen. Der Steueranstieg ist ein erwünschter Nebeneffekt. Doch die Dynamik bleibt extern: Sie wird nicht getragen vom Markt, sondern getragen vom Staat. Das macht die Entwicklung weniger stabil, weniger verlässlich – und vor allem: teuer.

Hinzu kommt eine neue Dimension: die sicherheitspolitische Schieflage. Die schrittweise Umstellung auf einen militärisch akzentuierten Kurs – Sondervermögen, Rüstungsinvestitionen, Verteidigungshaushalte – verschiebt Prioritäten und Finanzströme. Diese strategische Neugewichtung mag geopolitisch begründbar sein, sie wirkt aber ökonomisch wie ein zusätzlicher Verzerrungsfaktor. Statt produktiver Dynamik entsteht verteidigungsgetriebene Nachfrage – kurzfristig wirksam, langfristig blind für Wertschöpfung.

Länder profitieren – der Bund trägt

In der Verteilung der Mehreinnahmen zeigt sich ein altes Muster. Länder und Kommunen sehen Zuwächse: 7,8 Milliarden Euro mehr für die Länder, 1,8 Milliarden für die Gemeinden – allein im Jahr 2025. Der Bund hingegen bleibt haushalterisch auf dem Investitionspaket sitzen. Ab 2028 rechnet er mit sinkenden Einnahmen. Fiskalisch subventioniert er den eigenen Wachstumseffekt – ohne daran selbst strukturell zu gewinnen.

Kommunen: volle Kassen, leere Hände

Auch auf kommunaler Ebene bleibt das Bild widersprüchlich. Die Einnahmen steigen, die Klagen bleiben. Von Investitionsstau, Personalmangel, Überlastung ist weiterhin die Rede. Der Grund: Mehr Mittel bedeuten nicht mehr Handlungsspielraum. Pflichtaufgaben, steigende Kosten, Fachkräftemangel – all das frisst die Mehreinnahmen auf, bevor sie Wirkung entfalten können.

Zudem scheitern viele Vorhaben nicht am Geld, sondern am Verfahren. Vergaben dauern, Genehmigungen stocken, Planungskapazitäten fehlen. Die Förderlandschaft ist reich, aber fragmentiert. Die Kommune bekommt Mittel, aber keine Zeit. Am Ende bleiben Ansprüche – und eine stille Ineffizienz.

EU-Abführungen: leise Mitnahme

Ein weiterer Posten: die EU-Abführung. Sie sinkt 2025 leicht, steigt aber ab 2026 wieder – zuletzt auf 2,1 Milliarden Euro jährlich. Es ist ein Nebensatz in der Pressemitteilung, aber fiskalisch kein Detail. Die Mehreinnahmen bleiben nominal, die Transfers real.

Was bleibt: Steuerkraft durch Staatskraft

Was diese Steuerschätzung zeigt, ist kein wirtschaftliches Wachstum – sondern fiskalische Rückkopplung. Der Staat investiert, subventioniert, kompensiert – und schöpft genau das wieder ab. Ein Umlaufsystem mit Rendite in Milliardenhöhe. Kein Betrug, aber auch kein Beleg für ökonomische Stärke.

Die Einnahmen steigen, weil die Preise steigen. Weil Löhne steigen. Weil der Staat mehr verteilt. Die Maschine läuft – aber sie fährt nicht voran. Sie produziert Steuern, nicht Wachstum.

Und der Bundesfinanzminister? Mahnt zur Konsolidierung – mit einer Stimme, die gleichzeitig investiert. Man nennt das Doppelfunktion. Oder: fiskalische Akrobatik auf engstem Raum.

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