Christine LagardeChristine LagardeVon European Parliament from EU - New ECB Chief Lagarde to address plenary for first time, CC BY 2.0

Christine Lagarde in KiewEuropas neue Ordnung: Regionalisierung statt Globalismus

Christine Lagardes jüngste Rede in Kiew ist ein wirtschaftspolitisches Positionspapier. Der zentrale Gedanke: Die geopolitische Fragmentierung zwingt Europa, sich neu zu organisieren. Regionalisierung wird zur Antwort auf die Verwerfungen der Globalisierung, wirtschaftliche Nähe ersetzt strategische Offenheit.

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Der Ort war bewusst gewählt. In Kiew, wo der europäische Ordnungsrahmen physisch herausgefordert wird, formuliert Lagarde ein wirtschaftspolitisches Paradigma, das ebenso klar wie folgenreich ist: Die Zukunft europäischer Prosperität liegt nicht mehr in der Einbettung in globale Märkte, sondern in der Stärkung kontrollierter, regionaler Verflechtungen. Was Jahrzehnte lang als selbstverständlich galt – Offenheit, weltweiter Wettbewerb, funktionale Abhängigkeit – steht zur Disposition.

Regionalökonomie als geopolitisches Konzept

Die Europäische Zentralbank hat sich in der Vergangenheit zurückhaltend zu strukturellen Fragen des Welthandels geäußert. Dass Lagarde nun explizit den Binnenhandel als strategische Schutzmauer gegen externe Schocks benennt, markiert eine bemerkenswerte Neujustierung. Der Binnenmarkt, bislang Fundament für globales Handeln, wird nun als Bollwerk verstanden – gegen Volatilität, gegen Abhängigkeit, gegen geopolitischen Kontrollverlust.

Diese Neuausrichtung ist nicht ideologisch begründet, sondern folgt einem systemischen Kalkül: Die Risiken globaler Integration – fragile Lieferketten, politische Unwägbarkeiten, exportabhängige Wachstumsmuster – wiegen schwerer als ihre Chancen. Regionalisierung erscheint aus dieser Perspektive nicht als Rückzug, sondern als Voraussetzung stabiler ökonomischer Steuerung.

Integration unter Bedingungen – kein Automatismus mehr

Was Lagarde implizit formuliert, ist ein Paradigmenwechsel: Integration wird nicht mehr als Ziel an sich verstanden, sondern als Instrument zur Sicherung von Resilienz. Sie ist kein Automatismus mehr, sondern an Reformfähigkeit, institutionelle Qualität und politische Kohärenz gebunden. Das gilt für die Ukraine – aber ebenso für den erweiterten europäischen Wirtschaftsraum insgesamt.

Damit verschiebt sich auch die Logik wirtschaftspolitischer Strategien: Weg von der möglichst reibungslosen Einbindung in globale Märkte, hin zu selektiver Kooperation mit „vertrauenswürdigen Partnern“. Der Begriff des „trusted partner“ wird so zum Schlüssel wirtschaftlicher Neuverortung. Europa soll resilienter werden, nicht durch technologische Autarkie, sondern durch politische Selektivität in der Handelsstruktur.

Der neue Protektionismus ist leise – aber strategisch

Lagardes Rede markiert nicht den Bruch mit der Globalisierung, sondern ihren funktionalen Rückbau. Die global vernetzte Marktökonomie bleibt formell erhalten – aber operativ ersetzt durch eine Politik der kontrollierten Nähe. Es ist kein aggressiver Protektionismus, sondern ein strategischer Umbau im Inneren der europäischen Ordnung.

Für die wirtschaftspolitische Analyse ergibt sich daraus ein klarer Befund: Die Integration Europas wird künftig entlang sicherheitspolitischer Linien verlaufen – nicht als offenes Projekt, sondern als strukturierte Allianz. Die ökonomischen Spielräume bleiben offen – aber nur innerhalb definierter Grenzen.

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