Pflegende Angehörige fordern: Finanzierung der Pflegeversicherung nicht auf unsere Kosten
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Mit dem Bericht der Bundesregierung "Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung" geht die Diskussion um die nachhaltige Finanzierung des Pflegesystems in eine neue Runde. In einer Stellungnahme äußert der Bundesverband wir pflegen e.V. erhebliche Bedenken über die Tauglichkeit, der in dem Bericht dargelegten Überlegungen als Grundlage für eine nachhaltige, zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung.
"Den Modellrechnungen liegen Annahmen zugrunde, die die bereits heute bestehenden Probleme des mangelnden Angebots an professionellen Pflegeleistungen ignorieren und damit die unzumutbare Belastung pflegender Angehöriger in die Zukunft fortschreiben. Eine Reform der Pflegeversicherung auf Basis solcher Rechnungen unterschätzt damit den künftigen Bedarf erheblich. Dies betrifft vor allem die häusliche Pflege, womit bei den Modellüberlegungen faktisch eine steigende Belastung der pflegenden Angehörigen für die Zukunft unterstellt wird. Hierdurch steigt das Risiko einer schlechteren Versorgung der pflegebedürftigen Menschen und das Gesundheits- und Armutsrisiko der pflegenden Angehörigen. Auch kommen höhere gesamtwirtschaftliche Kosten durch fehlende Arbeitskräfte und steigende Gesundheitskosten auf die Gesellschaft zu", erklärt Prof. Dr. Notburga Ott, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes pflegender Angehöriger.
wir pflegen e.V. fordert als Voraussetzung und Grundlage für ein nachhaltiges Finanzierungskonzept:
- eine umfassende Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Probleme der pflegerischen Unterversorgung, die das fehlende Angebot an Entlastungs- und Unterstützungsangeboten zur Deckung des Pflegebedarfs realistisch abbildet
- eine bereichsübergreifende gesamtwirtschaftliche Betrachtung, die vor allem auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Gesundheitskosten und die Sozialausgaben für Grundsicherung in den Blick nimmt
- die Entwicklung eines tragfähigen Konzepts zur Gewährleistung einer bedarfsdeckenden Pflege, das auf realistischen Planungen über das künftige Angebot an Pflegefachkräften basiert und eine Überforderung der pflegenden An- und Zugehörigen vermeidet
- fordert daher eine faire solidarische, staatlich organisierte Vollversicherung
- begrüßt die Überlegung, alle Einkommen und nicht nur die Lohneinkommen für zukünftige Beitragszahlungen zugrunde zu legen
- unterstützt die Überlegungen einer Zusammenführung von privater und gesetzlicher zu einer einheitlichen Pflegeversicherung
Vollversicherung für Pflegebedürftige und ihre pflegenden An- und Zugehörigen
Zu den im Bericht vorgestellten Modellen für die zukünftige Pflegebersicherung erklärt Notburga Ott: "Eine Teilkostenversicherung verlängert lediglich die aktuellen Probleme. Das "Restrisiko", das individuell zu tragen ist, ist heute ungleich verteilt und wird es dann auch in Zukunft sein. Pflegebedürftige, die nicht über die Mittel verfügen, die Kosten für nicht abgesicherte Leistungen aufzubringen, haben ein hohes Armutsrisiko. Pflegebedürftige, die keine Pflegeleistungen mangels Angebot oder finanzieller Mittel erhalten, sind auf informelle Leistungen ihrer An- und Zugehörigen angewiesen. Diese verzichten auf Freizeit, soziale Teilhabe und Einkommen, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit einschränken oder aufgeben müssen. Diese Gerechtigkeitslücke kann nur durch eine Pflegevollversicherung geschlossen werden, die den Pflegebedürftigen die notwendige Versorgung sichert und den pflegenden Angehörigen ihren Einsatz angemessen entschädigen kann."
wir pflegen e.V.
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