Mit zwei Maßnahmen sorgen EU-Kommission und die deutsche Aufsicht für eine deutliche Anpassung des Geschäftsmodells der deutschen Versicherer. Brüssel möchte zum einen das Vertriebsmodell umkrempeln und insbesondere die herkömmliche Provisionsberatung durch Makler verbieten. Zum anderen wird die deutsche Aufsicht zukünftig dafür Sorge tragen, dass die Altersvorsorgeprodukte der Versicherer einen echten Kundennutzen, etwa durch einen Inflationsausgleich, bieten.
„Aktuell sehe ich flächendeckend keine Angebote, die den Kundennutzen erfüllen.“ erklärte Axel Kleinlein, unabhängiger Versicherungsmathematiker auf dem 19. MCC-Strategiekongress. „Die deutschen Versicherer sind mittelfristig nicht auf die neuen Herausforderungen vorbereitet.“ resümiert er.
Aufgrund der „Retail Investment Strategy“ (RIS), die Finanzkommissarin Miread McGuiness im Frühjahr vorgestellt hat, droht de facto ein Provisionsverbot für Makler. Verschiedene deutsche Vermittlerverbände streiten sich derzeit in der Frage der Auslegung der Regeln der RIS um Argumente gegen die Neuregelungen zu finden. Auch die anscheinend auf Drängen der Versicherungsindustrie erfolgte Intervention des Bundesfinanzministers Christian Lindner konnte die Regeln nicht hinreichend entschärfen.
„Der Aktionismus einiger Vermittlerverbände und Teilen der Regierung wird nichts daran ändern, dass diese europaweite Regelung einen Umbruch für Makler und Vermittler in Deutschland erzwingt“ erklärt Kleinlein, der mehrere Jahre als Präsident von Better Finance europäische Verbraucherpolitik mitgestaltet hat. „Die Branche muss lernen, dass sich die europäische Politik nicht so leicht von der deutschen Versicherungs- und Vermittlerlobby treiben lässt, wie sie es aus Bonn und Berlin in den letzten Jahrzehnten gewöhnt ist.“
Mehr Kundennutzen
Auch das neue Bafin-Merkblatt zum Wohlverhalten der Versicherungsunternehmen fordert ein massives Umdenken. Demnach müssen die Altersvorsorgeangebote der Versicherer zukünftig entweder besonders sicher sein oder zumindest einen Inflationsausgleich erwarten lassen. In einem Beispiel eines großen Anbieters rechnete Kleinlein aber die derzeitige desolate Lage vor:
„Bei einer 30 Jahre laufenden Basisrente verbleiben, selbst bei einer angenommenen Verzinsung von fünf Prozent, nach Abzug der Kosten noch nicht einmal zwei Prozent als Sparrendite bei den Kunden“, erklärt Kleinlein. „Das ist kein Kundennutzen, das ist Abzocke.“ Bezieht man – wie im Merkblatt gefordert – auch die Verrentung mit ein, so stellt sich die Situation noch dramatischer dar. „Eine Kundin, die eine durchschnittliche Lebenserwartung hat, wird bei diesem Produkt selbst inklusive Überschüssen nur das eingezahlte Geld zurückbekommen. Bei einem Mann sieht das noch schlechter aus, da der durchschnittlich ein paar Jahre früher verstirbt“.
Auf dem 19. Strategiekongress der Assekuranz „Insurance Today and Tomorrow“ des MCC fasst Kleinlein die Lage zusammen: „Die deutschen Versicherer müssen zügig ihre Produktpalette überarbeiten um einen Kundennutzen erzielen zu können, gleichzeitig müssen sie den Vertrieb neu organisieren, um der RIS zu genügen. Dieser Doppelwumms verändert die Lage der deutschen Lebensversicherer dramatisch.“
Mit Hinblick auf die politische Konstellation erläutert er: „Während in der Vergangenheit die jeweilige Bundesregierung immer wieder der Branche mit neuen branchenfreundlichen Gesetzen zur Seite gesprungen ist, geht diese Strategie in Brüssel nicht mehr auf.“