Kommentar von Charles Diebel, Mediolanum International Funds: Nach der drastischen und zügigen geldpolitischen Straffung durch die Zentralbanken der Industrieländer stürzten Anleihemärkte ab und die Kurse bewegen sich seitdem seitwärts.
Wie geht es weiter mit der Geldpolitik? Droht den Industrieländern eine Rezession? Und welche Strategien sind für Anleiheanleger jetzt am besten?
Zinsschritte wirken nur verzögert
Sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) als auch die Federal Reserve und die Bank of England signalisierten in den vergangenen Wochen, dass sich die Zinsanhebungen dem Höhepunkt annähern, und das stimmt auch mit unserer eigenen Einschätzung überein. Es ist angemessen, dass die Notenbanken zunächst eine Pause einlegen und abwarten, wie sich die Wirtschaftsdaten entwickeln. Denn von nun an hängt alles davon ab, ob ihre Maßnahmen Wirkung zeigen.
Das Problem: Die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung treten weder sofort noch überall gleichschnell auf, mit der Folge, dass die Wirtschaftsdaten für verschiedene Sektoren aktuell auseinanderklaffen. So haben die gestiegenen Finanzierungskosten vor allem dem verarbeitenden Gewerbe einen starken Dämpfer verpasst – das zeigt der Einkaufsmanagerindex (PMI), der beispielsweise für Deutschland im Juli auf 38,8 gefallen ist und alle Erwartungen enttäuschte.
Die Beschäftigtenrate und der Dienstleistungssektor halten sich dagegen wacker und veranlassen so manchen Experten zum Optimismus. Das liegt daran, dass die privaten Haushalte die gestiegenen Zinsen noch nicht so stark spüren. Denn zum einen hat sich die Empfindlichkeit gegenüber Zinsen geändert. Ein anschauliches Beispiel sind die Hypothekenzinsen in Großbritannien: Während diese vor zwanzig Jahren an die Leitzinsen geknüpft waren und steigende Zinsen Hausbesitzern umgehend aufs Portemonnaie schlugen, sind heute mehr als 80 Prozent der Hypotheken für 2 bis 5 Jahre fest verzinst. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Verbraucher noch gar keine höheren Zinsen zahlen muss, auch wenn die Bank of England die Leitzinsen angehoben hat. Erschwerend kommt hinzu, dass Verbraucher während der Corona-Pandemie Kapital angespart haben – dieses geben sie immer noch aus und stützen damit die Wirtschaft.
Keine sanfte Landung: Die Rezession wird kommen
Anleger sollten sich nicht von den positiven Wirtschaftsdaten täuschen lassen. Die volle Wucht der geldpolitischen Straffung werden wir noch zu spüren bekommen – die Wirkung kommt verspätet, aber sie wird kommen. Daher vertreten wir auch nicht die Meinung, dass eine Rezession abgewendet wurde und wir stattdessen eine „sanfte Landung“ erleben – eine solche hat es in der Geschichte bisher noch nicht gegeben, denn so genau können Notenbanker die Geldpolitik nicht kalibrieren, vor allem bei einer derart drastischen und schnellen Straffung wie aktuell.
Die wahrscheinlicheren Szenarien: Entweder die Konjunktur ist robuster als erwartet und die Straffung ging nicht weit genug – dann müssen die Zentralbanken nachziehen. Eine solche Situation erlebten wir in den 1970ern in den USA, wo die Fed zu früh mit den Zinsanhebungen aufhörte, die Inflation sich wieder aufheizte und weitere, noch drastischere, Schritte erforderlich machte. Oder aber – und von diesem Szenario gehen wir aus – die Zentralbanken übertreiben und lösen, wie in den 1990ern oder im Jahr 2008, irgendeine Art von Marktereignis aus und müssen schlussendlich die Zinsen wieder senken oder sogar quantitative Lockerungsmaßnahmen ergreifen. Eben weil die Zinserhöhungen ihre Wirkung nur mit starker Verzögerung zeigen, rechnen wir damit, dass die Notenbanken übertrieben haben – und es zu einer ausgewachsenen Rezession kommt. Diese erwarten wir allerdings nicht vor 2024.
Man muss jetzt in Anleihen investiert sein
Nach dem Ausverkauf Anfang dieses Jahres bewegt sich der Anleihemarkt bereits seit einer Weile seitwärts und es gibt immer noch viele günstige Einstiegsmöglichkeiten. Es wird allerdings eine Weile dauern, bis der Markt von der Erwartung weiterer Zinsschritte zur Erwartung von Stabilität und schließlich zur Erwartung von Zinssenkungen übergeht. Dafür müssen sich zudem die Wirtschaftsdaten erst deutlich verschlechtern. Angesichts dessen sollten sich festverzinsliche Anlagen gut halten. In unseren Fonds sind wir im Moment neutral gegenüber Unternehmensanleihen positioniert und haben die Duration nur leicht erhöht – vorerst. Wichtig ist jetzt, den Carry einzusammeln.
Sehen wir jedoch schwächere Wirtschaftsdaten – und damit rechnen wir für die kommenden Monate – dann gehen wir bei der Duration aufs Ganze. Falls die Verlangsamung erheblich ist, überdenken wir zudem unsere Investments in Unternehmensanleihen, denn dann dürften sich die Spreads deutlich ausweiten. Wenn die Anleihemärkte einmal beginnen sich zu erholen, dürfen sich Anleger mit Engagements in Anleihen über Kapitalzuwächse freuen – dieses Szenario dürften wir dieses Jahr aber nicht mehr erleben. Für kommendes Jahr sind wir dagegen zuversichtlich.
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