Die Lage der Lebensversicherer hatte im vergangenen Jahrzehnt stark unter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) gelitten. Anfang 2020 hellte sich das Stimmungsbild kurzzeitig auf, bevor Corona abermals für Ernüchterung sorgte. Doch schon 2021 schauten die Lebensversicherer wieder optimistischer auf ihre Geschäftssituation, auch wenn die Pandemie seinerzeit längst nicht überwunden und der Zinsaufschwung an den Kapitalmärkten noch ein zartes Pflänzchen war.
Ein Beitrag von Lars Heermann, Bereichsleiter Assekurata Rating-Agentur GmbH
Dieses Bild konnten wir in unseren Trendanalysen erkennen, bei denen wir regelmäßig zu Jahresbeginn die teilnehmenden Lebensversicherer an unserer Marktstudie zu Überschussbeteiligungen und Garantien nach ihrer Geschäftslage und den weiteren Geschäftserwartungen fragen.
Im Januar 2023 war es nun wieder so weit: 29 Gesellschaften haben uns in der jüngsten Marktstudie ihre Einschätzung gegeben, so dass sich nun ein aktuelles Bild unter neuen Rahmenbedingungen herauskristallisiert.
Die Stimmungslage der Anbieter steht dabei stark im Zeichen der Ereignisse des Jahres 2022 – einem Jahr, das in vielerlei Hinsicht in Erinnerung bleibt. Russlands Angriff auf die Ukraine sowie die damit verbundenen humanitären und ökonomischen Auswirkungen waren und sind sicherlich besonders prägend.
Nicht nur, aber auch deswegen stieg die Inflationsrate auf ihren höchsten Wert seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, was schließlich die EZB dazu bewogen hat, erstmals seit elf Jahren den Leitzins in mehreren Schritten zu erhöhen. Dies wiederum strahlte unmittelbar auf die Zinsentwicklungen an den Kapitalmärkten aus, so dass die Renditen von Bundesanleihen zu Beginn 2023 schon wieder deutlich über die Zwei-Prozent-Marke geklettert sind.
Der abrupte Zinsanstieg bietet den Lebensversicherern zumindest auf lange Sicht bessere Ertragsperspektiven. Dem steht jedoch aktuell ein schwieriges Wachstumsumfeld entgegen. Getrieben durch einen Abfluss von Einmalbeiträgen ging der Prämienbestand der Branche 2022 um satte sieben Prozent zurück, wie der Gesamtverband der Versicherer (GDV) im Januar auf seiner Jahresmedienkonferenz verlautbaren ließ.
Verschlechterte Geschäftseinschätzung
Generell belasten die gesamtwirtschaftlichen Unsicherheiten die verfügbaren Einkommen und die Sparfähigkeit von privaten Haushalten. Daher ist es kaum verwunderlich, dass sich die Einschätzung zur Geschäftssituation bei den Lebensversicherern in unserer Umfrage gegenüber der Erhebung vor einem Jahr verschlechtert hat.
Die Geschäftslage liegt mit -0,07 Indexpunkten nun leicht im negativen Bereich, nach +0,42 vor einem Jahr. Der Indexwert ergibt sich aus den gemittelten Einzelantworten der Versicherer auf einer Skala von sehr negativ (-2), negativ (-1), neutral (0), positiv (+1) bis sehr positiv (+2).
Obwohl die Zinswende die Lebensversicherer bilanziell entlastet, scheint die Sorge vor einem weiteren Wirtschaftseinbruch und den damit verbundenen Risiken durch Storno, Konsum- und Anlagezurückhaltung die Aussichten zu trüben.
Immerhin: Mit Blick auf das Gesamtjahr 2023 sind die Geschäftserwartungen nicht mehr negativ, sondern zumindest neutral (0,00). Hinzu kommt, dass längst nicht alle Produktfelder gleichermaßen vom Konjunkturtief betroffen sind. So sind bei den Einschätzungen für die verschiedenen Produktsegmente deutliche Abweichungen nach oben und unten festzustellen.
Als wesentlichen Neugeschäftstreiber identifizieren die Lebensversicherer weiterhin die Fondspolicen. Verträge ohne Garantien stehen dabei in der Wachstumsgunst der Unternehmen noch über den Garantievarianten. Positiv, wenngleich geringer als in den Vorjahren, ist auch die Einschätzung zu Biometrieprodukten, hier vor allem zu Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeitsversicherungen, mit Einschränkung auch zu Risikolebensversicherungen.
Letztere dürften unter den rückläufigen Kaufaktivitäten auf den Immobilienmärkten leiden, werden sie doch häufig zur Hypothekenabsicherung abgeschlossen.
Auffällig ist die Einschätzung zur betrieblichen Altersvorsorge, deren aktuelle Geschäftslage mit +0,71 noch positiv eingestuft wird, in der Erwartung für 2023 aber massiv zurückgeht und in den negativen Bereich fällt. Hier werfen etwaige Rezessionseffekte auf die wirtschaftliche Situation von Unternehmen offenbar ihre Schatten voraus.
Die Neue Klassik und die Indexpolicen fallen trotz der zum Teil erhöhten Überschussdeklarationen bei Lage und Erwartung negativ aus, wobei vor allem die Erwartungen an die Neue Klassik zurückgegangen sind. Im unteren Bereich liegen ferner die Pflegerenten- und Dread-Disease-Versicherungen.
Auch die (alte) Klassik wird weiterhin stark negativ eingestuft. Zwar hat sich deren Lageeinschätzung gegenüber den Vorjahren etwas verbessert. Hieraus eine „Renaissance“ der Klassik abzuleiten, wäre aber sicherlich fehlinterpretiert.
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