Durch die Finanzmarktturbulenzen der vergangenen Wochen ist das Risiko, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal 2023 eine Rezession durchläuft, leicht gestiegen. Es bleibt aber trotzdem auf niedrigem Niveau. Das signalisiert der Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator zeigt weiter „gelb-grün“. Das steht für ein moderates Wachstum in den drei Monaten von April bis Ende Juni.
Für diesen Zeitraum weist der Indikator, der Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, ein Rezessionsrisiko von 26,0 Prozent aus. Anfang März waren es 23,0 Prozent für die folgenden drei Monate. Die statistische Streuung, ein Maß für die Unsicherheit von Wirtschaftsakteuren, hat zwar ebenfalls zugenommen. Rezessionswahrscheinlichkeit und Streuung zusammengenommen unterschreiten aber wie im Vormonat die Schwelle, ab der der Indikator eine erhöhte konjunkturelle Unsicherheit markiert.
„Die verhaltene konjunkturelle Aufwärtsbewegung im zweiten Quartal ist intakt“, ordnet IMK-Konjunkturexperte Dr. Thomas Theobald die neuen Werte des Indikators ein. Die Wirtschaftsentwicklung bewege sich aber „im Spannungsfeld nachlassender Lieferengpässe und weniger starker Kaufkraftverluste einerseits und gedämpfter Kreditvergabe- und Investitionsaussichten andererseits“.
So geht der leichte Anstieg der Rezessionswahrscheinlichkeit vor allem auf zwei Faktoren zurück: Erstens auf einen zeitweilig erhöhten „Finanzmarkstress“ infolge der Krise einiger Banken in den USA und der Schweiz. Zweitens darauf, dass nach den Leitzinserhöhungen die Finanzierung für viele Unternehmen teurer geworden ist.
Dagegen habe die zuletzt wieder aufsteigende Tendenz bei den Auftragseingängen für das Verarbeitende Gewerbe eine stärkere Eintrübung des Indikators verhindert, analysiert Theobald: „In Verbindung mit dem weiter hohen Auftragsbestand dürfte die deutsche Industrie in den nächsten Monaten bei nachlassenden Lieferengpässen die Produktion spürbar ausweiten können.“
In seiner aktuellen Konjunkturprognose geht das IMK im Jahresdurchschnitt 2023 von einem stagnierenden Bruttoinlandsprodukt aus, weil für das gerade abgelaufene Winterhalbjahr eine technische Rezession wahrscheinlich ist.
Ob im Jahresverlauf gesamtwirtschaftlich doch etwas mehr als Stagnation möglich sei, hänge maßgeblich davon ab, wie stark die Industrie von den nachlassenden Lieferkettenproblemen profitieren kann. Für die mittelfristigen Aussichten sei dann zentral, ob die Europäische Zentralbank und andere Zentralbanken, allen voran die US-Notenbank Fed, durch weitere Zinserhöhungen die Wirtschaftsentwicklung bremsen und erneuten Abschreibungsdruck auf die Bankbilanzen erzeugen, erklärt Theobald.
In den IMK-Konjunkturindikator fließen zahlreiche Daten aus der Real- und der Finanzwirtschaft ein. Darüber hinaus berücksichtigt das Instrument Stimmungsindikatoren. Das IMK nutzt die Industrieproduktion als Referenzwert für eine Rezession, weil diese rascher auf einen Nachfrageeinbruch reagiert als das Bruttoinlandsprodukt. Der Konjunkturindikator wird monatlich aktualisiert.
Themen:
LESEN SIE AUCH
IMK-Konjunkturindikator wechselt auf „grün-gelb“
Die Wirtschaftsaussichten in Deutschland haben sich weiter aufgehellt. Dementsprechend ist die Rezessionswahrscheinlichkeit erneut gesunken - und zwar den vierten Monat in Folge. Zum ersten Mal seit Februar 2022 schaltet der Konjunkturindikator auf „moderates Wachstum“.
Rezessionswahrscheinlichkeit weiterhin im roten Bereich
Zwar ist für den Zeitraum von August bis Ende Oktober die Rezessionswahrscheinlichkeit um 7 Prozentpunkte auf 71,5 Prozent gesunken. Doch liegt dieser Wert weiter über der Grenze, ab der der nach dem Ampelsystem arbeitende IMK-Konjunkturindikator eine akute Rezessionsgefahr („rot“) markiert.
Rezessionswahrscheinlichkeit steigt auf knapp 80 Prozent
Dass das Rezessionsrisiko für die kommenden Monate kurzfristig so deutlich gestiegen ist, geht wesentlich auf die Eintrübung von Finanzmarktindikatoren zurück, was das IMK auch mit der Leitzinserhöhung durch die Europäische Zentralbank im Juni in Verbindung bringt.
IMK-Konjunkturindikator verlässt „roten Bereich“
Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in nächster Zeit in eine Rezession gerät, ist spürbar gesunken - und zwar zum dritten Mal in Folge. So geht das IMK derzeit von einem Rezessionsrisiko von 29 Prozent aus. Anfang Dezember waren es noch 52,5 Prozent.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Fiskalische Zeitenwende oder riskante Halse? Deutschlands Investitions- und Verteidigungskurs im Stresstest
Deutschland steht vor einem wirtschafts- und sicherheitspolitischen Kraftakt historischen Ausmaßes. Mit einem 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket und dem Ziel, die Verteidigungsausgaben auf 3,5 % des BIP zu steigern, wagt die Bundesregierung eine fiskalische Zeitenwende. Doch der Spagat zwischen Wachstumsimpulsen, geopolitischer Abschreckung und haushaltspolitischer Stabilität ist riskant – ökonomisch wie gesellschaftlich.
Stromsteuer-Senkung bleibt aus: Verbraucher außen vor
Die Bundesregierung verabschiedet sich von ihrem Versprechen, die Stromsteuer für alle Verbraucher auf das EU-Mindestmaß zu senken. Nur Industrie und Landwirtschaft sollen entlastet werden. Während Ministerin Reiche von „finanzieller Wirklichkeit“ spricht, wirft der Steuerzahlerbund der Regierung einen Wortbruch vor. Die Entscheidung trifft besonders Mittelstand und Haushalte – und beschädigt die politische Glaubwürdigkeit der Ampel.
Ertragsteuern im Rückwärtsgang – aber Lohn- und Umsatzsteuer stabilisieren die Einnahmelage
Wie das Bundesfinanzministerium im Monatsbericht Juni 2025 mitteilt, hat sich das Steueraufkommen im Mai weiter positiv entwickelt – mit einer wichtigen Ausnahme: Die Ertragsteuern geraten spürbar unter Druck. Während Lohn- und Umsatzsteuer verlässlich tragen, wirft der Rückgang bei den ertragsbezogenen Einnahmen Fragen nach der konjunkturellen Substanz auf.
Krisenzeiten hinterlassen Spuren: Finanzielle Engpässe vor allem bei älteren Verbrauchergruppen
Trotz wirtschaftlicher Erholung nach der Corona-Pandemie und dem Beginn des Ukraine-Kriegs bleibt die finanzielle Lage vieler Haushalte angespannt. Welche Verbraucher-Gruppen besonders betroffen sind.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.