Sexismus oder Rassismus, Klimawandel, Coronapolitik oder Impfen. Eines haben diese großen Debatten unserer Zeit gemeinsam: den Whataboutism. Immer wieder wenden Menschen diese Argumentationstechnik an. Gemäß Oxford Living Dictionary wird dabei eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage beantwortet. Also: What about…? – Was ist mit…? Den sogenannten Whataboutism erleben wir gefühlt intensiver als früher.
Ein Gastbeitrag von Stefan Häseli, Kommunikationstrainer, Keynote-Speaker, Moderator und Autor
Wer mit der Technik des Whataboutism agiert, hat oftmals das Ziel, vom eigentlichen Kern des Diskurses abzulenken. Zum Beispiel: Leute machen sich stark gegen die Benachteiligung der Frau. Von der Seite des Whataboutismers kommt dann ein Kommentar à la: „Naja, aber es gibt auch Männer, die von Frauen diskriminiert werden!“ Bei Kindern kennen wir so etwas ja auch: „Du hast genascht!“ – „Nein, hab‘ ich nicht, aber der andere hat doch auch!“ Ob beim Kind oder beim Metoo-aber-auch-Männer-sind-Opfer-Typ: Diese Personen fühlen sich im Innersten ertappt. Einerseits müssen sie den Argumenten des Gegenüber irgendwie recht geben, da sie oft als ziemlich klar und eindeutig daherkommen. Das können Fakten, Statistiken oder eben genaue Beobachtungen sein. Andererseits kommt es für sie überhaupt nicht in Frage, dem anderen recht zu geben – auf gar keinen Fall. Also was tun in dieser kommunikativen Zwickmühle? Schnell den Kontext verändern und schon hat man die Aussage irgendwie zurechtgebogen.
Schmalspur-Argumentation at its best
Obwohl diese Art der Gegenargumentation so durchsichtig wie auch dünn daherkommt, ist es als Gesprächspartner*in oft schwierig, dagegen wieder eine Replik zu setzen. Erst recht, wenn die oder der Whataboutism-Anwender*in sein Notprogramm fährt: Wenn auch die schwächste Argumentation nichts mehr bringt, hat sich in den letzten Jahren das Gesprächskillerwort „Fake-News“ nach dem Motto „Ist eh alles manipuliert“ ganz gut etabliert. Dieser Tatbestand ist auch die größte Problematik: Fakten werden nicht mit Gegenfakten belegt, sondern mit Glaubenssätzen. Das kann nicht funktionieren. Man selbst legt eine Statistik einer demokratisch legitimierten Regierung vor – und wenn das Gegenüber zutiefst der Überzeugung ist, dass „alle Regierungen eh lügen“, kommt man im Dialog nicht weiter.
Wer Whataboutismer gegenüber hat, kennt das: Es wird schnell mühsam und man beginnt sich zu nerven. Im Eltern-Kind-Dialog kommt dann logischer- und meist auch sinnvollerweise das Schwert der Hierarchie zur Anwendung. „Ich hab‘ nicht genascht, aber der andere hat ja auch“ muss nicht gegenargumentiert werden. Mit einem „Ich hab‘ dich erwischt, du machst das nicht mehr – basta“ ist die Schlaufe unterbrochen. Die gute Stimmung vielleicht auch? Das gehört zu modernen wie traditionellen Erziehungsmaßnahmen eben dazu…
Patt-Situation oder berühmt berüchtigter Keil
In politischen und gesellschaftlichen Diskussionen enden solche Dialoge dann meist im Patt. Oder eine Seite gibt auf. Oder man verlässt einander genervt. Doch was tun im Familien- und Freundeskreis genau wie im beruflichen Kontext, unter Kollegen oder Parteifreunden, im Verein oder am Stammtisch? Welche Möglichkeit gibt es, um den Keil nicht weiter hineinzutreiben – erst recht, wenn sich einmal wieder alles um so etwas wie Corona-Maßnahmen oder Impfpflicht dreht? Was funktioniert jetzt noch, um Beziehungen wegen solchen Themen nicht scheitern zu lassen?
Die Lösungen sind so einfach wie wirksam: Entweder, man spricht den Whataboutism an – oder man klammert das entsprechende Thema von vornherein aus: „Ich stelle fest, dass wir hier uns nicht annähern. Lass und doch dieses Thema auf der Seite sein und reden wir über… – wäre das ein Vorschlag?“ Das kann funktionieren, tut es auch oft – muss aber nicht. Denn auch zum Themaausklammern gehört die Bereitschaft beider Seiten – wie es eigentlich immer ist, wenn in der Kommunikation ein Dialog stattfinden soll.
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