Nach Jahren der Null-Zins-Politik hat die EZB eine Kehrtwende vollzogen. Das Ende der Niedrigzinsphase macht sich nicht nur bei Verbrauchern, Sparern und Anlegern bemerkbar. Auf lange Sicht könnten die Auswirkungen auch im Gesundheitssystem sichtbar werden. Schließlich zeichnet sich der Markt durch eine wachsende Anzahl großer multinationaler Akteure und das Entstehen neuer nationaler Konsolidierer mit einer verstärkten Beteiligung von Finanzinvestoren aus.
Ein Beitrag von Dr. Philipp Schlechtweg.
Insbesondere bei sogenannten Private-Equity-Praxen steht also die Frage im Raum, was mit den medizinischen Spekulationsobjekten passiert, wenn durch die Erhöhung des Leitzinses langfristig andere risikoarme Anlagemöglichkeiten mehr Rendite abwerfen. Ziehen Investoren ihr Geld aus der Praxis zurück? Wird der Standort verkauft oder ganz geschlossen? Hier ist die Politik gefragt, um für Transparenz zu sorgen und den Zustrom branchenfremder Investoren zu regulieren.
Damit die Kasse klingelt
Wie ein von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern in Auftrag gegebenes Gutachten1 zeigt, hat sich allein in Bayern die Anzahl der Arztpraxen in Investorenhand von Anfang 2018 bis Ende 2019 um 72 Prozent erhöht. Fast jedes zehnte Medizinische Versorgungszentrum zählt hier inzwischen zu den sogenannten Private-Equity-Praxen. Dabei zieht sich die Ausbreitung solcher investorengeführten Institutionen durch alle Fachbereiche. So breiten sich Spekulanten neben der Augen- und Zahnheilkunde etwa auch in der der Gynäkologie oder der Radiologie aus. Das Problem daran: Investments müssen vor allem wirtschaftlich sein und dynamisch wachsen – auch im medizinischen Bereich. Mit ihrer Eigenkapitalbeteiligung erhoffen sich Anleger schließlich hohe Renditen und die gewinnbringende Steigerung des Wiederverkaufswertes.
Durch diese absolute Profitorientierung geht allerdings die ärztliche Therapiefreiheit verloren: Mediziner entscheiden nicht mehr unabhängig, welche Behandlung am besten ist, sondern orientieren sich in ihren Empfehlungen daran, womit sich am meisten Geld verdienen lässt. In der Folge verschiebt sich das Leistungsspektrum vom Patientenwohl in Richtung Rendite und führt zusätzlich zu einer verstärkten Konzentration auf rentable Versorgungsbereiche und Regionen. Anstelle eines flächendeckenden und wohnortnahen Angebots droht insbesondere im ländlichen Raum Ausdünnung und damit die massive Gefährdung der Daseinsvorsorge. Für Patienten von investorengeführten Praxen geht diese oft schlechtere Versorgung mit dennoch höheren Kosten einher.
Laut KVB-Gutachten rechnen sogenannte PE-Praxen etwa 10 Prozent mehr Honorar ab als ihre inhabergeführten Pendants. Außerdem stehen hinter diesen medizinischen Versorgungszentren in der Regel internationale Unternehmen, die in Deutschland keine Steuern zahlen. Um noch mehr Profit zu erzielen, werden Patienten darüber hinaus häufiger unnötige Zusatzleistungen verkauft, die sie aus eigener Tasche zahlen müssen.
Undurchsichtige Strukturen erkennen?
Häufig konzentrieren sich investorengeführte Praxen auf Ballungsgebiete, da sie dort mehr Profit erzielen können. Das ist jedoch für Patienten, die in München, Erlangen-Nürnberg oder anderen Metropolregionen Deutschlands leben, kein eindeutiger Indikator. Aktuell gibt es weder eine Kennzeichnungspflicht noch ein öffentliches Register, das beispielsweise Private-Equity-Praxen inklusive Kapitalgeber, Beschäftigtenzahlen, Arztsitze, Versorgungsumfang, Immobilienbesitz, Renditen und Gewinnausschüttung listet, sodass nicht einmal Ärztekammern und Krankenkassen über Besitzverhältnisse Auskunft geben können.
Entsprechend schwierig gestaltet es sich, herauszufinden, wer etwa hinter bestimmten Medizinischen Versorgungszentren steht. Insbesondere Patienten bleibt häufig keine andere Möglichkeit, als direkt bei der Praxis anzufragen, ob sie inhaber- oder investorengeführt ist. Alternativ bieten entsprechende Verbände inhabergeführter Praxen eine erste Orientierung. So pflegt beispielsweise die Radiologie Initiative Bayern ein Verzeichnis ihrer unabhängigen Mitglieder.
Nachholbedarf in der Politik
Profit sollte nicht zulasten des Solidarsystems der gesetzlichen Krankenversicherung und der im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Versorgungssicherheit gehen. Riesige, durch Investmentfirmen finanzierte Medizinische Versorgungszentren wie in der Radiologie stehen jedoch insbesondere Letzterem entgegen. Hier ist die Politik gefragt, niedergelassene, freiberuflich tätige Ärzte als ‚Goldstandard‘ der ambulanten Versorgung zu schützen. Dazu müssen insbesondere in Bezug auf die Bildung von Medizinischen Versorgungszentren gesetzliche Vorgaben geändert werden, sodass die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte der Trägergesellschaft in den Händen von Vertragsärzten liegt und von ihnen geführt wird. Zudem sollte die Anzahl der Arztsitze in von Krankenhäusern gegründeten Medizinischen Versorgungszentren auf einen bestimmten Prozentsatz der Bedarfsplanung beschränkt und die Möglichkeit eines planungsbereichsübergreifenden Erwerbs von Arztstellen gestrichen werden.
Daneben gilt es insgesamt die Freiberuflichkeit zu stärken und so eine marktbeherrschende Stellung von investorengeführten Praxisketten zu verhindern. Ein Ausschreibungsverfahren für Niederlassungswillige, das Mediziner vorrangig berücksichtigt, die die Praxis als Vertragsärzte fortführen wollen, bildet einen ersten Schritt. Eine Obergrenze für die Zahl der in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätigen angestellten Ärzte stellt eine weitere Maßnahme dar, den Zustrom von branchenfremden Investoren zu regulieren. Zudem sollte Vertragsärzte nicht die Möglichkeit haben, auf ihre Zulassung verzichten können, um sich von einem Medizinischen Versorgungszentrum anstellen zu lassen. Und auch eine sogenannte „Konzeptbewerbung“ sollte aus dem Gesetz gestrichen werden, da sie die Grundsätze eines fairen Auswahlverfahrens verletzt. Außerdem muss die Politik mehr Transparenz – etwa durch ein entsprechendes Register und eine Kennzeichnungspflicht – schaffen. Weitere Informationen zum Thema lesen Sie auch unter hier,
1 Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns mit besonderem Augenmerk auf MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren: https://www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/UeberUns/Gesundheitspolitik/IGES-MVZ-Gutachten-April-2022-Kurzfassung.pdf
Themen:
LESEN SIE AUCH
Versicherer müssen sich durch unruhiges Fahrwasser manövrieren
Auf die Assekuranz wartet unruhiges Fahrwasser. Versicherer müssen sich für alle Herausforderungen und disruptive Technologien wappnen und die Chancen der Omnichannel-Kommunikation entlang der Customer Journey bestmöglich nutzen.
Sachwert-Investments bieten den größten nachhaltigen Hebel
Eine neue bevölkerungsrepräsentative Umfrage von YouGov und Pangaea Life zeigt die Einstellungen und Präferenzen zum Thema nachhaltige Geldanlage. Als Sektoren mit dem effektivsten Hebel nennen die meisten Befragten Energie, Technologie sowie Wohnungsbau. Sicherheit und Rüstung sehen nur Wenige als nachhaltig an.
Explodierende Sozialbeiträge bis 2035: DAK-Chef fordert für GKV zweistufigen „Stabilitätspakt“
Bis 2035 könnte der Gesamtbeitrag der Sozialversicherung auf 48,6 Prozent ansteigen. Der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit 73 Millionen Versicherten droht damit in den nächsten zehn Jahren ein Beitragssprung auf 19,3 Prozent. Eine Gesamtbelastung von 50 Prozent würde Versicherte und Arbeitgeber überfordern.
Soziale Pflegeversicherung: Versicherten droht massiver Beitragsanstieg
Der Beitragssatz in der Sozialen Pflegeversicherung wird auf absehbare Zeit kontinuierlich steigen müssen. Nehmen die Ausgaben und Einnahmen in der SPV wie in den letzten zwanzig Jahren zu, wird der Beitragssatz im Jahr 2040 mehr als doppelt so hoch sein wie heute.
Pricing für Versicherungen: Kunden binden statt Stornowellen riskieren
Steigender Kostendruck und Preiserhöhungen bleiben auch 2024 die großen Herausforderungen der Assekuranz. Statt sich auf Altbewährtes zu verlassen und Prämien nach dem Gießkannenprinzip zu erhöhen oder Rabatte zu gewähren, sollte eine faktenbasierte Pricing-Strategie den Fokus auf den Wert der Produkte lenken.
Generationenkapital: Keine Kapitaldeckung, unrealistische Renditeanforderung, intransparente Berechnung
Am 5. März 2024 wurde der Referentenentwurf zum Generationenkapital vorgestellt. Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. und das IVS – Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. gehen mit dem Konzept hart ins Gericht.
Fondskongress 2025 in Mannheim: Neue Trends und alte Herausforderungen
Der Fondskongress 2025 hat einmal mehr bewiesen, dass die Investmentbranche im stetigen Wandel ist. Zwei Tage lang trafen sich führende Experten, Finanzberater und Asset Manager im Congress Center Rosengarten in Mannheim, um über die Zukunft der Finanzwelt zu diskutieren.
Inflation frisst Sparzinsen auf – Festgeld-Realzins wieder negativ
Festgeld bringt Sparerinnen und Sparern im Durchschnitt nicht mehr genug Rendite, um die Inflation auszugleichen. Laut einer aktuellen Verivox-Auswertung liegt der Realzins erstmals seit einem Jahr wieder im negativen Bereich. Dennoch gibt es Möglichkeiten, sich gegen den schleichenden Wertverlust zu schützen.
Finanzplanung auf dem Tiefpunkt: Nur 26 Prozent der Deutschen planen ihre Finanzen aktiv
Die finanzielle Absicherung wird in Zeiten unsicherer Rentensysteme und wachsender Altersarmut immer wichtiger. Dennoch haben nur 26,3 Prozent der Menschen in Deutschland einen Finanzplan für 2025, wie eine aktuelle Umfrage der LV 1871 zeigt.
Die beliebtesten Geldanlagen 2024/2025
Immobilien, Tagesgeld, Gold und Fonds sind die Favoriten der Deutschen für das kommende Jahr. Sicherheit bleibt der wichtigste Faktor bei der Geldanlage.
Revolut startet kostenfreie ETF-Sparpläne in Deutschland
Das Fintech Revolut bietet seinen Kunden in Deutschland ab sofort die Möglichkeit, kostenfreie ETF-Sparpläne zu nutzen. Damit erweitert das Unternehmen sein Angebot im Bereich Kapitalmarktanlagen.
Wie Edelmetalle als Krisenversicherung für Selbstständige dienen können
Wie Edelmetalle Selbstständigen dabei helfen können, ihr Kapital zu sichern und in Krisenzeiten stabil zu bleiben, erklärt Heyla Kaya im Gastbeitrag.