Sie gehören im Moment zu den bekanntesten Aufsteigern auf dem digitalen Versicherungsmarkt: Lemonade, Clark, WeFox, Ottonova, Kasko und FRI:DAY. Und alle haben eine Gemeinsamkeit: Vor einigen Jahren kannte sie noch niemand.
Ein Beitrag von Jan Hugenroth, Gründer und Geschäftsführer von Next Matter
Der rasante Aufstieg der InsurTechs ist im Finanzsektor längst kein Geheimnis mehr und Prognosen rechnen damit, dass sie bis 2026 eine globale Marktbewertung von 236 Milliarden USD erreichen.
Was macht InsurTechs aus?
InsurTech steht für Insurance Technology und umfasst die Palette neuer disruptiver Produkte und Technologien in der Versicherungsbranche, der es sehr lange Zeit an Innovationen gefehlt hat. Deshalb bietet InsurTechs auch so ein hohes Potenzial, die Branche für Kund*innen und Anbieter*innen gleichermaßen positiv zu verändern.
Um das zu erreichen, hat die Kundenzufriedenheit oberste Priorität. Sie leitet sich direkt von der Kundenerwartung ab. Und die ist hoch: Versicherungsdienstleistungen sollen nicht nur bequem, sondern auch schnellstmöglich erbracht werden.
Anbieter*innen, die wesentliche Prozesse schon durchgängig digitalisiert haben (Angebote, Schäden, Risikoprüfungen), profitieren von einer höheren betrieblichen Effizienz, einem nahtlosen Kundenerlebnis und geringeren Kosten. Der Weg hin zur Digitalisierung hat aber seine ganz eigenen Hürden.
Die operativen Herausforderungen für InsurTechs
Wachsende InsurTechs sind, wie FinTechs auch, mit operativen Risiken konfrontiert: rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen, große institutionelle Wettbewerber, eine hart umkämpfte Partnerschaftslandschaft und steigende Erwartungen der Kund*innen, um nur ein paar zu nennen.
Operative Teams und andere Schlüsselbereiche sind deshalb von zentraler Bedeutung für den Erfolg. Denn sie müssen Unternehmen durch einen rapide wachsenden und sich schnell entwickelnden Markt navigieren. Damit das gelingt, kommt es auf die Effizienz ihrer Prozesse, Arbeitsabläufe und die eingesetzten Technologien an.
Hier sind daher die Top-Technologietrends, die InsurTechs nutzen sollten:
1. Geschäftsprozess- und Workflow-Automatisierung
Mit den regelbasierten Tools zur Geschäftsprozess- und Workflow-Automatisierung können InsurTech-Teams mehrere Dimensionen des „globalen“ Versicherungsprozesses optimieren, wie interne Prozesse zur Risikobewertung, Compliance, Kundenservice und Schadensbearbeitung. Die Automatisierung des Prozessmanagements und die Straffung der Arbeitsabläufe können Genauigkeit und Effizienz sowohl für kundenorientierte als auch für interne Abläufe erheblich verbessern.
Eine große betriebliche Herausforderung für InsurTechs ist die Notwendigkeit, Prozesse zu standardisieren und gleichzeitig die Betriebsabläufe für das Wachstum zu skalieren. Während dokumentierte „Standard“-Prozesse oft eine Anforderung für Compliance- und regulatorische Zwecke sind, bieten die internen Betriebsabläufe InsurTech-Teams viel Raum zur Optimierung.
Natürlich muss man diese Kategorie von Automatisierungssoftware klar von Business Process Management (BPM-Software), robotischer Prozessautomatisierung (RPA) oder Prozessmodellierungs-Software unterscheiden. Tools zur Automatisierung von Geschäftsprozessen bieten vielmehr die Möglichkeit für Teams, ihre Prozesse zu dokumentieren und gleichzeitig ein System zu schaffen, das Team-Workflows vereinfacht und unnötige manuelle und kostspielige Schritte durch Automatisierung beseitigt.
Prozessautomatisierung verstärkt auch die durchgängige Rationalisierung von Prozessen, einschließlich der Zusammenarbeit der beteiligten Teams. Das Ziel ist es, eine erhöhte betriebliche Effizienz, eine gesteigerte Qualität und eine revisionssichere Dokumentation innerhalb desselben Tools zu erreichen.
Die Vorteile zeigen in viele Richtungen. Nicht nur interne Prozesse können optimiert werden, sondern Insur-Techs können die Prozess- und Workflow-Automatisierung auch nutzen, um ihre Kundenerfahrungen zu verbessern – zum Beispiel, indem sie die Bearbeitungszeiten für Schadensfälle beschleunigen oder das Kundenerlebnis grundlegend vereinfachen.
2. No-Code-/Low-Code-Tools
Wenn es um die Software-Tools geht, die von InsurTechs eingesetzt werden, sind No-Code-/Low-Code-Tools absolut im Kommen. Das hat zwei wichtige Gründe.
Erstens brauchen No-Code-/Low-Code-Tools-Anwender*innen keine besonderen oder wenige technische Vorkenntnisse, um selbstständig Apps und eigene Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. Damit liegt die Entwicklung von Lösungen bei Business-Stakeholdern, die die betrieblichen Anforderungen am besten verstehen, was zu einer drastischen Beschleunigung führt.
Und zweitens, agile Tools entlasten die interne IT-Abteilung, weil die IT-Teams nicht mehr aufgefordert sind, hartkodierte Lösungen für jede interne Betriebsanforderung zu entwickeln. Das nimmt den Druck von ihrem Backlog und erlaubt, sich vermehrt auf die Entwicklung und Bereitstellung besserer Produkte für den Markt zu konzentrieren.
Wie kommt das zustande? Der No-Code-/Low-Code-Ansatz ermöglicht operativen Leiter*innen, die IT-Abteilung zu überspringen und eine benutzerdefinierte, automatisierte Lösung mithilfe von Drag-and-Drop-Funktionen zu entwerfen, bereitzustellen, zu verwalten und zu aktualisieren – und das in einem Bruchteil der normalerweise benötigten Zeit: von sechs bis zwölf Monaten auf sechs bis zwölf Stunden.
Für den Geschäftsbetrieb von InsurTechs bedeutet dies, dass kundenorientierte und interne Prozesse mit größerer Agilität, geringeren Kosten, ohne Engpässe für die internen Entwicklungsteams optimiert werden können und externe Berater*innen wegfallen.
3. Virtuelle Assistenten (AKA-Chatbots)
Die Versicherungsbranche hat jeden Tag mit Millionen von Kund*innen zu tun – jede*r von ihnen hat Anfragen zu ausstehenden Schadensfällen, Versicherungsschutz, Policen, Kontoaktualisierungen und mehr. Der Kundensupport kann aber nur eine bestimmte Anzahl von Anfragen gleichzeitig bearbeiten. Die daraus entstehenden Wartezeiten führen zu einem schlechten Kundenerlebnis und die unzeitgemäße Abwicklung treibt die Kund*innen direkt zur Konkurrenz.
Laut einer Studie von American Express geben ein Drittel der befragten Kund*innen an, dass sie nach einer schlechten Erfahrung mit dem Kundenservice einen Anbieterwechsel in Betracht ziehen würden.
Damit das nicht passiert, haben InsurTechs regelbasierte und intelligente Chatbots in ihre Websites und mobilen Apps integriert. Diese helfen von der Schadensbearbeitung über die Lead-Qualifizierung und den Kundensupport bis hin zu personalisierten Empfehlungen.
Mit einer gut konzipierten Chatbot-Anwendung kann auch größerer Komfort für Kund*innen bei der Versicherungssuche und beim Versicherungsabschluss bereitgestellt werden. Chatbots vereinfachen den Ablauf, indem sie den Prozess klar und konsistent halten und eine Reihe von überflüssigen menschlichen Interaktionen auf der Anbieterseite beseitigen.
So sparen InsurTechs hohe Kosten und vereinfachen nebenbei das Kunden-Onboarding für alle. Intelligente Chatbots sind dazu vollautomatisch und unendlich skalierbar – egal ob InsurTechs 10 oder 1000 Besucher auf ihrer Website haben. Um als InsurTech-Anbieter wettbewerbsfähig zu bleiben, ist dieses Maß an Support-Geschwindigkeit ein absolutes Muss.
InsurTechs auf Erfolgskurs bringen
Der Unterschied zwischen einem InsurTech und einem erfolgreichen InsurTech liegt in den operativen Teams und ihren Prozessen. Denn am Ende des Tages liefern InsurTechs dem Markt ein essenzielles Produkt, das ein dringendes Bedürfnis bedient.
Die Innovation eines InsurTech-Produkts liegt also nicht im Produkt selbst, sondern in der Art und Weise, wie das Produkt geliefert wird: bequem, sicher, verständlich, schnell und erschwinglich.
Die Qualität der Produkte eines InsurTechs hängt vollständig von der Effizienz seiner Geschäftsprozesse (sowohl intern als auch marktbezogen) und der Technologie ab, die es zu deren Unterstützung einsetzt. Kontinuierliche Prozessverbesserung ist das, was die Gewinner von den Verlierern trennt. Wo sollte man also zuerst anfangen?
Ganz einfach: Durch den Einsatz eines End-to-End-Tools zur Automatisierung von Geschäftsprozessen mit No-Code-/ Low-Code-Funktionalität können InsurTechs ihre zeit- und ressourcenintensivsten Prozesse automatisieren, unabhängig von der Komplexität, den beteiligten Akteuren oder Systemen. Und sie können dies in einem Bruchteil der Zeit selbst tun, mit wenig oder gar keiner Beteiligung der IT.
Fazit
Neue Technologien und Tools zur Prozessoptimierung verändern die Versicherungsbranche von Grund auf. Am deutlichsten ist dieser Wandel im operativen Betrieb der InsurTechs zu spüren.
Noch ist unklar, was der nächste große Sprung für InsurTechs sein wird oder wer es in der nahen Zukunft an die Spitze schaffen wird. In jedem Fall werden die InsurTech-Unternehmen die verstaubten, ineffizienten Geschäftsprozesse der Versicherungsbranche auf den Prüfstand stellen müssen.
Und jeder Versicherer ist spätestens jetzt gefragt, interne Abläufe und – noch wichtiger – operative Abläufe an der Schnittstelle zu Kunden und Maklern zu automatisieren. Denn wer es sich zum Ziel erklärt hat, in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig zu bleiben, wird ein besseres Kundenerlebnis beim Versicherungsprozess abliefern müssen – und das gelingt nur mit den passenden Technologien.
Über den Autor
Jan Hugenroth ist Gründer und Geschäftsführer von Next Matter – der neuen Standard-Softwarelösung für Operations-Teams. Mit einem starken Sinn für Operations und Verstand für Technologie beschloss er 2018, beide Welten zu verbinden und Next Matter zu gründen.
Die Begeisterung für schlanke Prozesse und effizientes Teamwork entwickelte er in seiner Zeit als Engagement Manager bei McKinsey & Company. Dort betreute er Kunden zu Themen wie Digitalisierung, organisatorische Veränderungen, Prozessoptimierungen und Wachstumsstrategien. Mit seiner langjährigen Erfahrung als Operations Manager und Entwickler weiß Jan Hugenroth, wie anspruchsvoll die Koordination von Teams und Automatisierung von Prozessen sein kann.
Manuelle Prozesse und langwierige Entwicklungszeiten kann sich aber heute kein Unternehmen mehr leisten. Deshalb will der Geschäftsführer mit seinem Team Next Matter als Schaltzentrale aller operativen Prozesse etablieren – das Herzstück jedes Operations-Teams.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Werte und Kompetenzen: Schlüsselfaktoren für den Finanzvertrieb von morgen
Die Finanzdienstleistungsbranche erlebt einen tiefgreifenden Wandel, der auch den Vertrieb verändern wird. Technologische Innovationen, sich verändernde Kundenanforderungen und neue Geschäftsmodelle stellen Führungskräfte vor neue Herausforderungen.
Zufriedenheit mit digitalen Lösungen stagniert
Versicherungskunden nutzen zunehmend digitale Kontaktkanäle: Waren es 2019 noch 57 Prozent, kommunizierten 2023 bereits 75 Prozent der Verbraucher online mit ihrem Versicherer. Ein Anlass zu Euphorie ist dies aber nicht, denn die Zufriedenheit der Versicherten stagniert an zahlreichen touchpoints.
Verbraucher offen für Chatbots im Kundenservice
Jeder dritte Bundesbürger begrüßt den Einsatz von KI-Chatbots in der Kundenbetreuung und jeder fünfte wäre bereit, künftig ganz auf menschlichen Kundenservice zu verzichten. Trotz dieser Offenheit bleibt der persönliche Kontakt für 75 Prozent der Verbraucher weiterhin wichtig, zumindest als Option.
Vom schnellen Einstieg in KI profitieren
Ein Großteil der deutschen Versicherer verzichtet bislang noch auf den flächendeckenden Einsatz von KI, obwohl enorme Chancen darin liegen: KI kann die Kundenzufriedenheit verbessern, Effizienz steigern und wertvolle Geschäftseinblicke liefern. So lassen sich schnell spürbare Ergebnisse erzielen.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
KI in der Versicherungsbranche: BaFin sieht Verantwortung bei den Unternehmen
Auf dem Vorlesungstag des Instituts für Versicherungswissenschaften e. V. an der Universität Leipzig sprach Julia Wiens, Exekutivdirektorin der BaFin, über die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz in der Versicherungsbranche. Sie betonte, dass die Verantwortung für den ethischen und sicheren Einsatz von KI bei den Unternehmen selbst liegt.
GPT-4.5: Inkrementelle Optimierung statt bahnbrechender Fortschritt
Mit der Veröffentlichung von GPT-4.5 am 27. Februar 2025 setzt OpenAI den Weg der schrittweisen Modellverbesserung fort. Die neue Version bringt eine effizientere Rechenleistung, reduziert Fehler und verarbeitet längere Kontexte zuverlässiger.
Leitungswasserschäden: INTER testet KI-gestützte Lösung zur Früherkennung
Leitungswasserschäden mit Hilfe von KI rechtzeitig erkennen - das ist das erklärte Ziel einer Kooperation zwischen der INTER und dem Start-Up Enzo. Für ausgewählte INTER-Kunden beginnt eine Testphase.
Elektronische Patientenakte gestartet: Modellregionen testen neues System
Seit Mitte Januar wird die „ePA für alle“ schrittweise eingeführt – zunächst in ausgewählten Regionen. Der GKV-Spitzenverband betont, dass das System ausreichend getestet werden muss.