Einer Schätzung des Kreditversicherers Coface zufolge würden deutsche Unternehmen 6 Prozent ihrer Arbeitskosten einsparen, wenn sie jede vierte telearbeitsfähige Stelle in Schwellenländer auslagerten.
Vor allem das Potenzial der Region Südostasien wird im Rahmen einer Analyse deutlich, aber auch andere Schwellenländer wie Brasilien und Polen stechen hervor. Bei Angestellten in großen Volkswirtschaften könnte virtuelles Offshoring wirtschaftliche Ängste auslösen und zur Quelle politischer Risiken werden.
Bis zu 40Prozent der Arbeitnehmer in der EU haben während des ersten Lockdowns im vergangenen Jahr regelmäßig im Homeoffice gearbeitet. Coface-Volkswirt Marcos Carias erläutert:
Viele Unternehmen wurden von der Produktivität ihrer Belegschaft positiv überrascht und öffneten sich zunehmend der Idee einer teilweise globalisierten, virtuellen Belegschaft. Dieser Kulturwandel könnte Firmen in Industrieländern nun verleiten, dauerhaft neue und weitaus günstigere Arbeitskräfte in Schwellenländern einzustellen.
Berechnungen zufolge würden deutsche Unternehmen 6 Prozent ihrer Arbeitskosten einsparen, wenn sie nur ein Viertel der telearbeitsfähigen Arbeitsplätze ins Ausland verlagerten. Noch höher sind die Einsparpotenziale in Frankreich (7 Prozent) und im Vereinigten Königreich (9 Prozent).
Potenzielle „Hotspots“ vor allem in Südostasien
Um unter den Schwellenländern diejenigen mit den besten Voraussetzungen für virtuelles Offshoring zu identifizieren, hat Coface einen Indikator entwickelt, der auf vier Schlüsselkriterien basiert:
- die Zahl geeigneter Arbeitskräfte für Remote-Arbeit
- die Wettbewerbsfähigkeit bei den Arbeitskosten
- die zur Verfügung stehende digitale Infrastruktur
- das Coface-Geschäftsklima, welches unter anderem die Rechtssicherheit im jeweiligen Land ausdrückt.
Südostasien sticht als Region mit hohem Potenzial hervor. Vor allem Indien und Indonesien, aber auch Brasilien haben eine große Anzahl potenzieller Telearbeiter und vergleichsweise niedrige Arbeitskosten. Polen sticht durch sein gutes Geschäftsklima in Verbindung mit einer sehr guten digitalen Infrastruktur hervor.
"Auch China und Russland sind theoretisch ideale Ziele für eine Verlagerung. Wachsende geopolitische Spannungen und Cybersicherheitsprobleme mit dem Westen stellen jedoch ein großes Hindernis dar," analysiert Marcos Carias.
Schattenseiten: Abwärtsdruck und politische Polarisierung
Eine Verlagerung der Arbeit in dieser Größenordnung könnte destabilisierende gesellschaftliche Auswirkungen in den betroffenen Industrieländern haben.
Es gibt einen gut dokumentierten Zusammenhang zwischen der Deindustrialisierung und dem Aufstieg von Anti-Establishment-Politikern, der in den westlichen Demokratien im letzten Jahrzehnt beobachtet wurde.
Dabei führte das physische Offshoring in der Fertigung zu einer Einkommensstagnation bei weniger qualifizierten Arbeitnehmern, was sie in der Folge für eine Anti-Globalisierungsrhetorik empfänglich machte. Bei der virtuellen Verlagerung von Arbeitsplätzen besteht die Gefahr, dass sich ein ähnliches Muster bei hochqualifizierten Fachkräften durchsetzt.
Hinzu kommt, dass es im Westen bereits einen Trend zu sinkenden Erträgen aus der Hochschulbildung gibt, da das Angebot an Hochschulabsolventen schneller steigt als die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften.
Demnach könnte eine Verlagerung gen Osten einen zusätzlichen Abwärtsdruck auf hochqualifizierte Einkommen in den entwickelten Volkswirtschaften ausüben, insbesondere in Einstiegspositionen.
In der jüngeren Vergangenheit haben gut ausgebildete junge Fachkräfte die Globalisierung im Allgemeinen begrüßt und von ihr profitiert – anhaltend pessimistische Jobaussichten könnten die Waage in die entgegengesetzte Richtung kippen lassen. In der Folge würden die Risiken für eine politische Polarisierung und sozialen Unruhe steigen.
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