Etwa ein Viertel der Pflegehaushalte ist durch die Pflege zeitlich und psychisch sehr stark belastet. Gleichzeitig tragen Haushalte, in denen Angehörige gepflegt werden, im Durchschnitt nur geringe finanzielle Eigenbeteiligungen.
Dies geht aus einer Befragung für den Pflege-Report 2020 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. Für die Studie befragte Forsa im Auftrag des WIdO von Dezember 2019 bis Januar 2020 rund 1.100 pflegende Angehörige.
Durchschnittlich geben die befragten Pflegehaushalte eine zeitliche Belastung von mehr als achteinhalb Stunden (8,6 Stunden) pro Tag für die Unterstützung der Pflegebedürftigen an.
Von dieser Zeit übernehmen fast drei Viertel die Haupt-Pflegepersonen. Etwa 1,5 Stunden werden von anderen – nicht bezahlten – Personen erbracht. Nur knapp eine Dreiviertelstunde (0,7 Stunden) pro Tag erbringen Pflegedienste oder andere Leistungen der Pflegeversicherung.
Ungleiche Verteilung der zeitlichen Belastungen
Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO und Mitherausgeberin des Pflege-Reports, sagt dazu:
„Die Leistungsangebote der Pflegeversicherung sind in den letzten Jahren deutlich ausgebaut und flexibler gestaltet worden. Trotzdem ist jede vierte Person, die einen Angehörigen zu Hause pflegt, durch die Pflege insgesamt hoch belastet. Gleichzeitig machen die Ergebnisse unserer Befragung deutlich, dass die zeitliche Belastung durch die Pflege sehr ungleich verteilt ist.“
Die Hälfte der pflegenden Angehörigen wendet rund vier Stunden und weniger pro Tag für die Pflege auf. Ein Viertel der Haushalte hingegen leistet mindestens siebeneinhalb Stunden (7,6 Stunden) pro Tag.
Hoher Pflegegrad bedeutet hohe Belastung
Haushalte, in denen Menschen mit den Pflegegraden 3 bis 5 oder mit einer demenziellen Erkrankung gepflegt werden, sind besonders stark gefordert: Hier leistet ein Viertel der betroffenen Haushalte rund zehn Stunden Pflegearbeit pro Tag. Jeder zehnte dieser Haushalte gibt sogar Pflegezeiten von 20 Stunden und mehr pro Tag an.
Insgesamt ergab sich auf Basis der sogenannten „Häusliche-Pflege-Skala“ (HPS) für knapp 26 Prozent der befragten Pflegepersonen eine "hohe Belastung". Die Skala ergibt sich unter anderem aus Fragen zur körperlichen Erschöpfung, Lebenszufriedenheit und psychischen Belastung. Für 43 Prozent wurde eine mittlere Belastung festgestellt, nur bei knapp 31 Prozent der Pflegenden ist sie niedrig.
Ambulante Pflege: Eigenanteile im Durchschnitt bei 250 Euro pro Monat
Dagegen in Grenzen halten sich die finanziellen Aufwendungen der Haushalte, in denen Angehörige gepflegt werden. Die Befragung zeigt, dass nur jeder vierte Pflegebedürftige (25 Prozent) selbst Eigenleistungen für die Pflege und Betreuung zu Hause zu tragen hat. In diesem Fall liegen sie im Durchschnitt bei rund 250 Euro im Monat.
Auch Haushalte, die Sachleistungen der Pflegeversicherung wie einen Pflegedienst oder Tagespflege nutzen, sind nur zu knapp 40 Prozent von Eigenanteilen betroffen. Sie zahlen im Schnitt etwa 200 Euro pro Monat. Nur fünf Prozent der Befragten gaben an, zusätzlich privat weitere Hilfen zu bezahlen.
Schwinger, Pflege-Expertin, erklärt dazu:
„Insgesamt zeigen sich deutlich geringere finanzielle Belastungen als in der vollstationären Pflege, wo die Eigenanteile - und zwar nur für Pflege und Betreuung - im vergleichbaren Zeitraum zur Befragung im 4. Quartal 2019 im Durchschnitt 775 Euro betrugen.“
Wunsch nach Unterstützung bei pflegenden Angehörigen
Die Probleme der meisten Befragten liegen in anderen Bereichen. Die Hälfte der Befragungsteilnehmer äußert den Wunsch nach mehr Unterstützung in den Bereichen „Körperpflege, Ernährung und Mobilität", beim Thema „Betreuung und Beschäftigung im Alltag" sowie bei der „Führung des Haushalts".
Bei pflegenden Angehörigen, die laut Häusliche-Pflege-Skala „hoch belastet" sind, ist der Wunsch nach Unterstützung in den genannten Bereichen noch deutlich stärker ausgeprägt. Bis zu 75 Prozent dieser Personen wünschen sich mehr Unterstützung. Das gilt auch für andere abgefragte Bereiche wie „Hilfe in der Nacht“.
Insgesamt fühlt sich jeder fünfte Befragte (22 Prozent) bei der Bewältigung der Pflege „eher nicht gut“ oder „überhaupt nicht gut“ unterstützt. Jeder Vierte (25 Prozent) kann die Pflegesituation nach eigener Auskunft „nur noch unter Schwierigkeiten“ oder „eigentlich gar nicht mehr“ bewältigen. Unter den pflegenden Angehörigen, die Demenzkranke oder Menschen mit den höheren Pflegegraden 3 bis 5 versorgen, betrifft dies sogar jeweils rund ein Drittel der Befragten.
Individuelle Bedarfe der Betroffenen fokussieren
Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO, meint hierzu:
„Es greift zu kurz, bei der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nur über eine Begrenzung der Eigenanteile für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen zu sprechen. Auch in der häuslichen Pflege gibt es erhebliche Belastungen.“
Diese seien aber nicht in erster Linie finanzieller Art, sondern lägen vor allem in der zeitlichen und emotionalen Belastung der Personen, die hauptsächlich für die Pflege zuständig sind.
Hier sei das Bild sehr heterogen: von relativ entspannten Pflege-Situationen bis zu pflegenden Angehörigen, die mit ihrer Kraft am Ende seien und dringend Unterstützung bräuchten.
Schwinger fordert daher:
„Wir müssen auch in der ambulanten Pflege die individuell sehr unterschiedlichen Bedarfslagen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen stärker in den Blick nehmen. Es ist bemerkenswert, dass jeder vierte Befragte eine hohe subjektive Belastung angibt.
Frühere Befragungen zeigten hier wesentlich geringere Anteile. Auch wenn die Befragungen unterschiedliche methodische Zugänge aufweisen, wirft dies Fragen auf, was den Erfolg der Reformbemühungen in den letzten Jahren angeht.“
Notwendig sind gezielte Hilfen für Pflegehaushalte
Die Leistungen und Hilfen der Pflegeversicherung müssten noch stärker differenziert und gezielt bestimmten Haushalten gewährt werden. Und zwar solchen, die einen besonders hohen Bedarf haben oder sich in einer Krisensituation befinden.
Dr. Antje Schwinger argumentiert hierzu:
„Ein gezielterer Einsatz der Mittel ist auch angesichts des enger werdenden Finanzierungsspielraums der Pflegeversicherung dringend geboten.“
Hier geht's zum Download des Pflegereport-2020.