Seit gut 15 Jahren werden Behandlungen in deutschen Krankenhäusern über die DRG-Fallpauschalen abgerechnet. Eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Gesundheitssystemforschers Prof. Dr. Michael Simon kommt nun zu dem Ergebnis, dass diese Kostendruck ohne eine systematische Berücksichtigung von Qualität sowie intransparente, rational nicht begründete Umverteilungseffekte in und zwischen Kliniken erzeugen.
Dadurch hat laut Studie das DRG-System sehr problematische Entwicklungen ausgelöst oder verstärkt. Angesichts dieser negativen Erfahrungen empfiehlt der Wissenschaftler, die Fallpauschalen abzuschaffen.
Über das DRG-Fallpauschalen-System werden Behandlungen in deutschen Allgemeinkrankenhäusern abgerechnet. Nach Prof. Dr. Michael Simons Analyse macht es gegenwärtig 70 bis 90 Prozent der Klinikbudgets aus. Aktuell umfasst der DRG-Katalog rund 1.300 Fallpauschalen.
Neues Vergütungssystem gefordert
Statt dem DRG-System sollte ein Vergütungssystem, das von einer qualitätsorientierten staatlichen Krankenhausplanung ausgeht und die wirtschaftliche Sicherung aller Krankenhäuser gewährleistet, die auf dieser Basis als bedarfsgerecht eingestuft werden, eingeführt werden. Dazu wurden in letzter Zeit durch die Ausgliederung der Pflegebudgets aus dem DRG-System erste Schritte gemacht, die nun fortgeführt werden sollten, so Prof. Dr. Michael Simon.
Der Gesundheitsexperte plädiert für eine grundlegende Rückkehr zum „Selbstkostendeckungsprinzip“, das bis Anfang der 1990er Jahre galt. Es beruhte darauf, dass Kliniken, die im öffentlichen Krankenhausplan als notwendig anerkannt waren, im Rahmen von Wirtschaftlichkeits-Vorgaben das nötige Geld bekamen, um ihren Betrieb sicherzustellen. Prof. Dr. Michael Simon empfiehlt zudem, bei der Krankenhausplanung die Orientierung an Qualitätskriterien zu stärken.
Denn auch hat das Fallpauschalen-System eine Privatisierungswelle angeschoben, durch die es erstmals in der Bundesrepublik weniger Allgemeinkrankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft gibt als Kliniken, die zu privaten, gewinnorientierten Konzernen gehören.
Zwischen 2000 und 2010 wuchs die Zahl der privaten Allgemeinkliniken um rund 30 Prozent von etwa 440 auf 575. Seit 2009 übersteigt sie die Zahl der öffentlich getragenen Häuser.
Dieser Trend könnte sich wieder verschärfen, wenn Einnahmeausfälle durch die Corona-Pandemie nicht ausreichend ausgeglichen werden und Kommunen gleichzeitig aufgrund von Steuerausfällen nicht in der Lage sind, daraus entstehende Verluste ihrer Kliniken auszugleichen.
DRG-System: grobes, oft intransparentes Raster
Auch wenn auf den ersten Blick das DRG-System wie ein recht differenziertes Verfahren wirkt, entpuppt es sich nach Analyse des Experten jedoch als grobes, oft intransparentes Raster. Dieses erzeigt auf unterschiedlichen Ebenen hoch problematische Wirkungen. Das beginne bei der Definition der Fallgruppen. Prof. Dr. Michael Simon kritisiert das System als „in hohem Maße medizinisch inhomogen. Es fasst Patienten mit teilweise sehr unterschiedlichen Diagnosen und Behandlungsarten zu gleichen Fallgruppen zusammen.“ So entstünden „Kostenunterschiede, die es für Krankenhäuser lukrativ machen, selektiv nur wenig kostenaufwändige Patientengruppen zu behandeln und die anderen entweder abzuweisen oder an andere Krankenhäuser weiterzuleiten.“
Diese Verzerrung werde verschärft dadurch, dass die Stichprobe der Kliniken, deren Daten in die Kalkulation der Fallpauschalen einfließen, nicht repräsentativ für die Gesamtheit der deutschen Krankenhäuser ist. Auch dadurch erscheine die jährliche Neufestsetzung der Pauschalen aus Sicht vieler Krankenhäuser als „eine Art Glücksspiel“.
Kein systematischer Blick auf Qualität
Was für Prof. Dr. Michael Simon noch gravierender ist, ist, dass bei der Kalkulation der Pauschalen den erhobenen durchschnittlichen Kosten nicht systematisch die dabei erreichte Behandlungsqualität gegenübergestellt wird. Beispielsweise flössen keinerlei Daten zur „Strukturqualität“ in den Krankenhäusern ein, also etwa der Personalausstattung auf den Stationen. Im Bemühen, den Durchschnitt nicht zu überschreiten oder gar zu unterbieten, sparten Krankenhaus-Manager beim größten Posten in ihrer Kalkulation: bei der Belegschaft. So „bestraft das DRG-Fallpauschalensystem eine überdurchschnittlich gute Personalbesetzung mit Verlusten und belohnt Unterbesetzung mit Gewinnen.“
Durch den hohen Druck von außen hätten viele Klinikleitungen in den vergangenen Jahrzehnten höchst problematische Entscheidungen getroffen. So wurde zwar der ärztliche Dienst in den vergangenen Jahrzehnten deutlich aufgestockt, aber im durch die Fallpauschalen finanziell gedeckelten System mussten die zusätzlichen Ausgaben an anderer Stelle eingespart werden. Das geschah etwa beim technischen und Servicepersonal der Krankenhäuser, das über Ausgliederungen in Tochterfirmen mit oftmals deutlich schlechterer Bezahlung wechseln musste.
Pflegedienst: mindestens 100.000 Vollzeitstellen zu wenig
Allein zwischen 2002 und 2006 fielen an deutschen Akutkrankenhäusern 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege weg. Da die Personalausstattung zuvor bereits unzureichend war und Patientenzahlen und -alter schon durch den demografischen Wandel weiter gestiegen sind, geht Prof. Dr. Michael Simon davon aus, dass in deutschen Allgemeinkrankenhäusern aktuell gut 100.000 Vollzeitstellen für Pflegerinnen und Pfleger fehlen.
Prof. Dr. Michael Simon dazu:
„Angesichts dieser erheblichen Unterbesetzung im Pflegedienst deutscher Krankenhäuser muss davon ausgegangen werden, dass dies Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung hat.“
Angesichts der Probleme könne nach Ansicht des Experten „für das DRG-System in keiner Weise der Anspruch erhoben werden, es sei ein vernünftig konstruiertes Vergütungssystem, das in der Lage ist, eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung sicherzustellen.“
Eine gewisse Wirkung habe es lediglich bei der Deckelung der Ausgaben für Krankenhausbehandlungen.
System der Fallpauschalen gescheitert?
Nach Analyse von Prof. Dr. Michael Simon zeigt es sich , dass das System der Fallpauschalen gescheitert sei, daran, dass die seit diesem Jahr geltenden neuen Pflegebudgets für Kliniken, mit denen der eklatante Personalmangel gemildert werden soll, auf den tatsächlichen Selbstkosten für Pflegepersonal beruhen und nicht mehr auf dem DRG-System:
„Das kann als Beleg dafür gewertet werden, dass die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Krankenhausversorgung ohne das Selbstkostendeckungsprinzip nicht dauerhaft erreichbar und zu gewährleisten ist.“
Nach diesem sinnvollen ersten Schritt solle die Gesundheitspolitik jetzt konsequent umsteuern und das DRG-System vollständig abschaffen.
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