Versicherer gehen gestärkt aus der Multikrise

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Die Berichtssaison H1/22 für die europäischen Versicherer ist abgeschlossen und die Ergebnisse sind ein Zeichen der Stärke für diesen Sektor. Die Mehrheit der Emittenten im Anlageuniversum der Plenum Investments AG übertraf die Analystenerwartungen und ihre Kapitalisierung stieg weiter an.

Ein Beitrag von Franz Rötger, Portfoliomanager bei Plenum Investments

Die Inflation hat – mit Ausnahme der britischen Kfz-Versicherer – keine schwerwiegenden Auswirkungen auf den Sektor, und wie wir bereits geschrieben haben, führten höhere Zinsen zu einer Verbesserung der Solvency-II-Positionen. Ein aktives Kapitalmanagement ist nach wie vor eine der Hauptstärken des Sektors. Die derzeitige Ausweitung der Renditen bei Versicherungsanleihen ist aus unserer Sicht eine Kaufgelegenheit, bei der bessere Qualität zu historisch hohen Renditeniveaus verfügbar ist.

Underwriting-Ergebnisse in P&C blieben stark

Franz Rötger, Portfoliomanager, Plenum Investments AG © Plenum Investments AG

Die meisten Versicherer in unserem Anlageuniversum verzeichneten im Bereich Property & Casualty (P&C) ein Prämienwachstum im oberen einstelligen Bereich, das auf höhere Tarife, eine sich erholende Wirtschaftstätigkeit und Inflationseffekte zurückzuführen ist. In der gesamten Branche wirkten sich die höheren Tarife leicht positiv auf die versicherungstechnischen Ergebnisse aus.

Dies wurde teilweise durch eine höhere Schadenhäufigkeit neutralisiert, da sich die Wirtschaftstätigkeit mit dem Abklingen der Pandemie allmählich wieder normalisiert. Die wetterbedingten Schäden blieben relativ hoch, insbesondere in Frankreich, wo sie sich erheblich auf die versicherungstechnischen Ergebnisse auswirkten. Mehrere Versicherer haben während der Pandemie sehr vorsichtig reserviert und zusätzliche Reservepuffer gebildet. Diese werden nun schrittweise aufgelöst und tragen zur Glättung der Ergebnisse bei. Wir sehen jedoch keinen allgemeinen Trend zu höheren Reserveauflösungen.

Der starke Anstieg der Inflation wurde weitgehend durch Preisanpassungen aufgefangen. Die einzigen Emittenten, die signifikante Auswirkungen auf ihre Ergebnisse zu verzeichnen hatten, waren die britischen Kfz-Versicherer wie Admiral und Direct Line, bei denen die Schadeninflation die Preiserhöhungen übertraf. So verschlechterte sich die Combined Ratio von Admiral in H122 von 75,2 Prozent auf 96,7 Prozent und die von Direct Line von 84,2 Prozent auf 96,5 Prozent, blieb aber profitabel.

Die schwachen versicherungstechnischen Ergebnisse schlugen sich sofort in den Ergebnissen nieder und veranlassten beide Emittenten, ihre Ausschüttungen zu kürzen. Während die Auswirkungen auf die diesjährigen Ergebnisse in H2/22 wahrscheinlich erheblich sein werden, erwarten wir, dass der Effekt bald abflachen wird, da die Versicherer weiterhin Policen neu tarifieren werden. Eine vollständige Erholung der Erträge könnte unseres Erachtens jedoch bis zu zwei Jahre dauern

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In Europa gibt es keine vergleichbaren Emittenten mit einem ähnlichen Fokus auf Motor-Versicherung. So lassen Diversifizierung und niedrigere lokale Inflationsraten kontinentaleuropäische P&C Versicherer besser dastehen. Wir stellen außerdem fest, dass in Ländern wie Österreich die Kfz-Versicherungspolicen an die Inflation gekoppelt sind, so dass die lokalen Versicherer in H1/22 in diesen Sparten besser abschnitten als andere europäische Versicherer.

Die Zinssätze sind für die Ergebnisse in der Sachversicherung weniger relevant als in der Lebensversicherung. Der Krieg in der Ukraine hat nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Ergebnisse der Erstversicherer. Die österreichischen Versicherer Uniqa und Vienna Insurance Group sind in dieser Region am stärksten exponiert. Aber selbst für sie ist die Auswirkung auf das Geschäft überschaubar und liegt unter 10 Prozent des Gesamtergebnisses.

Höhere Rückversicherungsprämien, höhere Katastrophenschäden

Die Rückversicherer rechneten aufgrund steigender Prämien mit einem guten Jahr 2022, doch die tatsächlichen Ergebnisse fielen eher gemischt aus. Munich Re, Swiss Re und Hannover Rück übertrafen die Konsenswerte, während Scor den Markt enttäuschte. Die Prämieneinnahmen stiegen weiter an, da die Emittenten ihr erhebliches Überschusskapital während der schwierigen Marktlage wieder in das Geschäft investierten.

Die Combined Ratios im Teilsektor Rückversicherung verschlechterten sich tendenziell aufgrund höher als erwarteter Katastrophen- und Großschäden in Europa. Nur die Münchener Rück wies Katastrophenschäden auf, die innerhalb ihres Katastrophenbudgets lagen. Hannover Rück und Scor meldeten im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern relativ hohe Schäden aufgrund der Dürre in Brasilien. Wir stellen außerdem fest, dass Scor die strategische Entscheidung getroffen hat, ihre Exponierung gegenüber Naturkatastrophen, insbesondere im Golf von Mexiko, zu reduzieren, um die Ertragsvolatilität zu verringern.

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Die Schäden im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine bleiben begrenzt, aber die Schätzungen für Q1/22 wurden in Q2/22 nach oben korrigiert. Die Unsicherheit in Bezug auf das Luftfahrtgeschäft bleibt bestehen, da bisher kein Rückversicherer in unserem Anlageuniversum ausdrücklich für Luftfahrtschäden reservierte.

Das Ausmaß der durch den Ukraine-Krieg verursachten Branchenverluste wird inzwischen allgemein als eher am unteren Ende der Spanne von 10-20 Mrd. US-Dollar eingeschätzt. Das versicherungstechnische Ergebnis von Munich Re verbesserte sich, während Swiss Re und Scor die höheren Prämien nicht in bessere versicherungstechnische Erträge umsetzen konnten.

Auf der Lebensversicherungsseite sehen wir durch die Pandemie immer noch nachteilige Entwicklungen, die sich weiterhin in den Ergebnissen niederschlagen. Diese traten im US-Mortalitätsgeschäft auf und betreffen hauptsächlich Scor und Munich Re. Das heißt, die Situation bleibt ungewöhnlich, da das Sterblichkeitsgeschäft und nicht die Langlebigkeit die Quelle der negativen Entwicklung ist.

Kapitalisierung steigt

Die Solvency-II-Positionen der Versicherer sind nach wie vor sehr stark, und die steigenden Zinsen haben die Solvency-II-Position der einzelnen Versicherer verbessert. Fast ein Drittel der Versicherer Anlageuniversum von Plenum Investements meldete in H1/22 Solvency-II-Quoten über ihren jeweiligen Zielbandbreiten, was den Handlungsspielraum des Kapitalmanagements im Hinblick einer möglichen Eintrübung des gesamtwirtschaftlichen Umfeldes erhöht.

Drei Viertel der Versicherer meldeten steigende Solvency-II-Positionen in H1/22, wobei in den meisten Fällen die Zinssätze der Hauptfaktor waren. Klare Ausreißer sind die österreichischen und französischen Akteure, was bis zu einem gewissen Grad auf ihren Geschäftsmix zurückzuführen ist. Chesnara ist ein weiterer Ausreißer, hat aber vor kurzem eine Anleihe platziert, um das zusätzliche Kapital für Fusionen und Übernahmen zu verwenden. Wir gehen daher davon aus, dass sich die Solvency-II-Quote zu gegebener Zeit wieder normalisieren wird.

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Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Versicherer, die weniger empfindlich auf Zinsbewegungen reagieren, das heißt die britischen Motor-Versicherer Admiral und Direct Line, niederländische Versicherer wie AEGON, Achmea und NN Group sowie die Allianz mit ihren eigenen Problemen, nämlich der Rückstellung für die „Structured Alpha“-Abwicklung und Aktienrückkäufe.

Der Rückgang der Solvency-II-Positionen der britischen Motor-Versicherer ist auf sinkende versicherungstechnische Ergebnisse und eine Ausweitung der Renditen zurückzuführen. Esure veröffentlichte Zwischenergebnisse, in dem sie angab, dass die Solvency-II-Position innerhalb der Zielspanne von 140 – 160 Prozent liegt, was einen Rückgang von 188 Prozent zum Jahresende 2021 bedeutet.

Aktives Kapitalmanagement

Eine der Stärken des Sektors ist das aktive Kapitalmanagement. In Anbetracht der höheren Zinssätze schlägt sich dies derzeit in höheren Ausschüttungen nieder. Während wir bei den am besten kapitalisierten Akteuren kontinuierliche Aktienrückkäufe beobachten, besteht in der Branche die Tendenz, die Solvency-II-Position am oberen Ende des Zielbereichs oder sogar darüber zu halten. Das heißt, die Versicherer neigen dazu, in diesen volatilen Zeiten ein gewissen Kapitalpuffer vorzuhalten.

Einige Versicherer nutzen jedoch ihren Handlungsspielraum. So haben zum Beispiel AXA, Generali und Storebrand gerade neue Aktienrückkaufprogramme für H2/22 aufgelegt. AXA und Generali haben bereits Solvency-II-Quoten, die deutlich über denen der Konkurrenz liegen. Die Solvency-II-Quote von AXA lag in H1/22 bei 227 Prozent und damit über dem oberen Ende des Zielbereichs von 170-220 Prozent. Bei dieser Zahl wurde der Aktienrückkauf bereits vorweggenommen, so dass in der Bilanz von AXA ein erheblicher Kapitalüberschuss verbleibt. Der Rückkauf sollte daher nicht überraschen und den Emittenten für die Unwägbarkeiten des Marktes sehr gut absichern.

Generali kündigte mit den Halbjahresergebnissen 2022 ein Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 500 Mio. Euro an. Einschließlich dieses Rückkaufs liegt die Solvency-II-Quote von Generali in H1/22 immer noch bei 233Prozent und damit nahe am oberen Ende des relativ breiten Zielbereichs von 180 – 240 Prozent. Auch hier ist das Niveau höher als bei den meisten Konkurrenten, was die Bedenken hinsichtlich des Länderrisikos bis zu einem gewissen Grad zerstreuen dürfte.

Die Solvency-II-Quote von Storebrand erreichte 184 Prozent in Q122 und 195 Prozent in H1/22. Der Emittent hatte zuvor angekündigt, überschüssiges Kapital oberhalb des Zielbereichs von 150 – 180 Prozent auszuschütten und kündigte daher bereits im Q1/22 ein neues Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 500 Mio. Norwegische Kronen an, das im H222 durchgeführt werden soll. Trotz der derzeitigen Marktunsicherheiten gehen wir davon aus, dass der Emittent den Aktienrückkauf auch danach fortsetzen wird, da die Solvency-II-Quote wahrscheinlich weiterhin über dem Zielwert liegen wird.

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Die großen Rückversicherer wie Münchener Rück, Hannover Rück und Scor haben alle ihre Aktienrückkäufe und Spezialdividenden in H1/22 durchgeführt. Wie üblich erwarten wir, dass sie gegen Ende des Jahres weitere Ausschüttungen in Erwägung ziehen werden, so dass sie in der Zwischenzeit Spielraum haben, um potenzielle Katastrophenverluste aufzufangen. Angesichts ihrer hohen Solvency-II-Positionen von 235Prozent (Hannover Rück), 252 Prozent (Münchener Rück) und 240 Prozent (Scor) mag dies etwas übervorsichtig erscheinen, aber der Rückversicherungsmarkt dürfte relativ hart bleiben, was es attraktiver macht, überschüssiges Kapital in das Underwriting zu verlagern.

Die NN Group hat in H1/22 bereits 55 Prozent ihres Aktienrückkaufprogramms durchgeführt. Der Emittent hat keinen expliziten Solvency-II-Zielbereich und 750 Mio. EUR seines 1,0 Mrd. Euro schweren Rückkaufprogramms dienten der Ausschüttung von Veräußerungsgewinnen aus dem Verkauf von NN Investment Partners an Goldman Sachs. Obwohl die Markteffekte zu einer Beeinträchtigung der Solvency-II-Quote führten, bleibt die operative Kapitalgenerierung solide und der Emittent sieht keine Notwendigkeit, Maßnahmen zur Stützung seiner Solvabilität zu ergreifen.

Die Allianz hat ihr Aktienrückkaufprogramm trotz eines Rückgangs der Solvency-II-Quote vollständig durchgeführt. Dennoch liegt die Solvency-II-Quote weiterhin bei 200 Prozent und damit über dem Mindestziel von 180 Prozent. Wir rechnen nicht mit weiteren Maßnahmen vor Jahresende. Aviva meldete einen Rückgang der Solvency-II-Position, der auf eine Kapitalrückgabe in Höhe von 3,75 Mrd. Britische Pfund über das B-Share-Programm zurückzuführen ist, das nach Abschluss der Veräußerung vor allem des französischen und italienischen Geschäfts initiiert wurde.

Darüber hinaus führte der Emittent in H1/22 ein Aktienrückkaufprogramm im Wert von 1,0 Mrd. Britische Pfund durch, und ein Schuldenabbauprogramm in Höhe von 1,0 Mrd. Britische Pfund ist im Gange. Auf Pro-Forma-Basis stieg die Solvency-II-Quote in H1/22 von 186% auf 213% und lag damit weit über dem Zielbereich von 160-180%. Der Emittent hat bereits seine Absicht angekündigt, nach den Ergebnissen des GJ22 ein neues Aktienrückkaufprogramm zu starten, so dass in der Zwischenzeit ein erheblicher Kapitalpuffer verbleibt.

Nur wenige Versicherer mussten tatsächlich Gegenmaßnahmen ergreifen, um ihre Solvency-II-Quoten zu stützen. Soweit wir wissen, bestand bei keinem von ihnen die Gefahr, dass die Solvabilität-II-Quote unmittelbar unter das Zielniveau fällt. Das heißt Admiral kürzte seine grosszüßgige Dividende, um den Rückgang der Solvabilität-II-Quote zu begrenzen. Direct Line stellte die zweite Tranche des Aktienrückkaufprogramms ein, was die Solvency-II-Quote um etwa 4 Prozentpunkte verbessern sollte.

Diese Maßnahmen stehen im Einklang mit unserer Erwartung, dass die Ausschüttungen sofort gekürzt werden, bevor sich die Solvency-II-Position des Emittenten auch nur in die Nähe unangenehmer Werte bewegt.

Fazit: Sektorprämie intakt

Wie bereits mehrfach erwähnt, bieten die Anleihen von Versicherungsunternehmen höhere Renditen als Anleihen von Banken und Corporates. Unserer Ansicht nach ist diese Prämie auf die Enge des Marktes sowie auf die spezifischen Kenntnisse zurückzuführen, die für das Verständnis von Versicherungsbilanzen und die Versicherungsregulierung (Solvency II) benötigt werden. Die Sektorprämie ist strukturell bedingt, und die Renditen von Versicherungsanleihen haben ein Niveau erreicht, das seit der Finanzkrise nicht mehr erreicht wurde.

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Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, sind die europäischen Versicherer in der komfortablen Lage, das aktuelle makroökonomische Umfeld zu meistern. Das umsichtige Kapitalmanagement ist eine Kernkompetenz der Versicherer. Darüber hinaus sind die Produkte des Versicherungssektors von grundlegender Bedeutung, was den Sektor in einem rezessiven Umfeld widerstandsfähiger macht.

All dies unterstreicht die Attraktivität des Sektors aus der Perspektive des Anleiheinvestors auf längere Sicht und die derzeitige Ausweitung der Renditen sollte als Anlagemöglichkeit betrachtet werden. Denn die Flucht in Qualität wird dann relevant, wenn Inflationssorgen und weitere Zinserhöhungen bei den herkömmlichen und ganz besonders bei High Yield Anleihen das Ausfallrisiko ansteigen lässt. So betrachtet sollten Versicherungsanleihen im aktuellen Marktumfeld zu herkömmlichen Anleihen relativ profitieren.

Bild (2–7): © Plenum Investments AG