Beratungspflichten, Haftung, Deckungslücken am Beispiel der Elementarschaden-Versicherung
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beziffert die versicherten Schäden der Flutkatastrophe im Juli auf rund 7 Milliarden Euro. Für ganz oder teilweise nicht versicherte Schäden käme indes auch die Einstandspflicht des häufig „betreuenden“ Versicherungsvermittlers in Betracht.
Während 99 Prozent der Gebäude entsprechend versicherbar sind, besteht gegen elementare Naturgefahren wie Hochwasser, Starkregen, Erdrutsch oder Lawinen allenfalls bei 46 Prozent in Deutschland eine Versicherungsdeckung – im letzten Hochwassergebiet sogar für nur 37 Prozent.
Unterversicherungsverzicht als Haftungsfalle für Vermittler
Versicherungsvermittler müssen sich davon überzeugen, dass der Versicherungsnehmer (VN) die Versicherungsbedingungen einschließlich absehbarer Lücken auch verstanden hat. Typisches Beispiel ist der Unterversicherungsverzicht, wenn die Versicherungssumme eine bestimmte Relation zur Wohnungsgröße hat. So meinte ein VN nach Beratung, die Versicherungssumme zu erhöhen wegen der größeren Wohnungsfläche nach Umzug, sein Hausrat sei ja nach Umzug nicht mehr wert.
Der Vermittler akzeptierte das und dokumentierte die Ablehnung so. Dass der versicherte Wert deutlich unter dem tatsächlichen (Neuwert) lag und daher auch bei einem Teilschaden nur der anteilige Wert ersetzt wird (mangels Unterversicherungsverzicht), hatte der Vermittler wohl nicht eindringlich verdeutlicht, sondern den Kunden in seinem dokumentierten Irrtum belassen.
Ein Tierarzt meinte, er empfiehlt dringend, das kranke Pferd in die Tierklinik zu bringen. Das lehnte der Besitzer ab – woraufhin das Pferd starb. Der Tierarzt haftete, weil er hätte verdeutlichen müssen, dass das Pferd – wenn es nicht in die Klinik gebracht wird – sehr wahrscheinlich stirbt.
Ungenannte Gefahren in der Deckung
Versicherungsdeckungen richten sich nach der unmittelbar genannten Gefahr. Wenn etwa Versicherungsschutz gegen Starkregen oder Erdrutsch besteht, aber nicht gegen Überflutung, so zahlt die Versicherung nichts, wenn etwa nur oberhalb am Fluss ein Starkregen niedergeht oder ein Erdrutsch den Staudamm zerstört und durch die resultierende Flut das Gebäude überschwemmt wird.
Hochwasser bringt es bisweilen mit sich, dass auch schwere Gegenstände wie Container in Bewegung geraten und dabei Häuser zerstören – kein nach den Versicherungsbedingungen gedeckter Elementarschaden, sondern Schäden aufgrund sogenannter unbenannter Gefahren.
Verwandeln sich schwimmende Kraftfahrzeuge, Baumaschinen oder Lkw-Anhänger in Schadensstifter, so tritt auch keine Haftpflichtversicherung wegen deren Betriebsgefahr ein – denn „betrieben“ hat sie niemand. Der Fahrzeughalter – wenn ihn ein Verschulden trifft – oder Hausbesitzer wird kaum darauf achten – der Vermittler muss es jedoch wissen, bevor es im Schadensfall zu einer Leistungsablehnung des Versicherers kommt.
Wer trägt wessen Insolvenzrisiko?
Im ersten Stock platzte in einer Arztpraxis eine Wasserleitung in der kalten Jahreszeit. Der Hauptschaden entstand im Parterre und wurde vom Gebäudeversicherer der Praxisräume voreilig reguliert. Später forderte der Versicherer einen Teil der Entschädigung vom Eigentümer der Praxisräume zurück.
Der BGH (Urteil vom 18.12.2020, Az. V ZR 193/19) entschied jedoch, dass der Praxiseigentümer möglicherweise gar nicht haftet – sondern dessen Mieter. Wenn der Mieter diesbezüglich unversichert ist, stellt sich sofort die Frage, ob diese Lücke vom Versicherungsvermittler des Praxisvermieters und/oder des Praxismieters übersehen worden war.
Die Vermutung des beratungsrichtigen Verhaltens
Die regelmäßige „Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens“ erleichtert den Beweis für das haftungsbegründende Beratungsverschulden des Vermittlers, weil sie schlicht gerichtlich angenommen wird. Nämlich: Der Beratene hätte sich bei richtiger Beratung auch richtig verhalten. Und daher als Folgerung: Verhält er sich falsch, muss er also falsch beraten worden sein.
Solche Regel-Vermutungen können zwar auch durch Gegenbeweise widerlegt werden. Der Vermittler muss dazu aber schon sehr gut dokumentieren und erklären, warum jemand keine oder eine unzureichende Elementarschadenversicherung abgeschlossen hat oder – weil diese ja gegebenenfalls auch bei Schäden aus Elementargefahren nicht leistet – auf eine Allgefahrendeckung verzichtet hatte. Jeder Versicherungsschutz gilt für den unmittelbaren Schadenseintritt – umgekehrt gilt das aber auch für Ausschlüsse. Also eine Versicherung gegen Erdrutsch zahlt auch dann, wenn dieser Folge eines Starkregens ist.
Oder wenn eine Flut nicht das Grundstück überschwemmt hat, sondern durch Abtragung den Erdrutsch verursacht. Wenn Sturmflut ausgeschlossen ist, zahlt eine Versicherung gegen Überschwemmung trotzdem, wenn die Sturmflut nur bewirkt, dass ein Fluss nicht ins Meer abfließt, sondern aufgestaut wird und das Grundstück überschwemmt.
Auch Flutschützer können lückenhaft versichert sein
Ein Bewachungsunternehmen hatte es übernommen, Flutschutztore rechtzeitig zu schließen – was nicht erfolgte. Der Gebäudeversicherer des Eigentümers regulierte über 5 Millionen Euro an Schäden und regressierte beim Bewachungsunternehmen. Dessen Betriebshaftpflicht zahlte keinen Cent, denn „Flutschutz“ war als Tätigkeit nicht mitversichert gewesen.
Das Bewachungsunternehmen bat sodann den Makler zur Kasse – schließlich habe dieser seinen Kunden mit „individuellem und an das Risiko angepasstem Versicherungsschutz (zu) versorgen, von sich aus das Risiko (zu) untersuchen und ungefragt über (seine) Bemühungen (zu) unterrichten".
Der Makler dürfte unterversichert sein, denn seine AGB-Haftungsbeschränkung auf 2,5 Millionen Euro erwies sich für das Gericht als unwirksam (LG Hamburg, Urteil vom 09.09.2021, Az. 413 HKO 27/20). Wäre es ein Agent gewesen, müsste dessen Versicherungsunternehmen (mit) einstehen.
All-Risk-Deckung
Der Versicherungsvermittler wird sich stets fragen müssen, ob es eine umfassendere Deckung auf dem Markt gibt – einschließlich Direktversicherern sowie ausländischer Anbieter, welche ihre Tarife durch Notifikation bei der BaFin legal auf dem deutschen Markt anbieten dürfen.
Ein Blick auf den Versicherungsschutz seines Kunden, des VN, wäre zudem hilfreich, um die Deckung auf allen Ebenen zu optimieren – letztlich ein fürsorglicher Vertriebsansatz, auch für Ungeübte. Eine Haftung kann sich auch ergeben, wenn nicht wie gesetzlich vorgeschrieben auf einen nur eingeschränkten Marktzugang hingewiesen wurde.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Naturgefahren: Das müssen Eigenheimbesitzer beachten
Elementarschaden: Unwetter warten nicht auf die Politik
Fast jede stärkere Überschwemmung in Deutschland verursachte Staatshilfen in Milliarden-Höhe. So stellte alleine Nordrhein-Westfalen rund 12,3 Mrd. Euro für den Wiederaufbau im Ahrtal zur Verfügung. Befürworter der Pflichtversicherung bezeichnen es deshalb als dringend notwendig, dass die Politik eine verpflichtende Elementarversicherung für Eigentümer einführt.
Schäden bei Erdbeben extra versichern
Auch in Deutschland sind Erdbeben möglich und auch hier können sie schwere strukturelle Schäden an Gebäuden verursachen. Solche Schäden sind über eine Naturgefahrendeckung versicherbar. Diese ist allerdings nicht automatisch in der Wohngebäude- und Hausratversicherung enthalten.
Tief Axel: Welche Schäden deckt eine Gebäude- oder Hausratversicherung ab?
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Recyclingbranche unter Feuer: Warum Entsorger kaum noch Versicherungsschutz finden
Brände in Recyclinganlagen nehmen wieder zu – und mit ihnen die Prämien. Für Vermittler stellt sich die Frage: Wer bietet überhaupt noch tragfähigen Versicherungsschutz für diese Hochrisiko-Branche? Die Hübener Versicherung bleibt eine der letzten Adressen mit Branchenspezialisierung.
Insolvenzverfahren bei ELEMENT Insurance AG: Wie über 300.000 Verträgen abgewickelt werden sollen
Die ELEMENT Insurance AG muss nach Überschuldung und Rückversicherer-Aus abgewickelt werden. Über 300.000 Verträge wurden bereits beendet, die Schadenbearbeitung läuft weiter. Insolvenzverwalter Friedemann Schade setzt auf digitale Tools und konstruktive Lösungen – auch im Streit mit einem ehemaligen Dienstleister.
PKV bleibt 2025 stabil – doch Prävention bleibt politische Baustelle
Die private Krankenversicherung (PKV) zeigt sich zum Wahljahr 2025 widerstandsfähig und finanziell solide. Das geht aus der aktuellen SFCR-Studie von Zielke Research hervor: Die durchschnittliche Solvency-II-Quote liegt bei beachtlichen 515,55 Prozent. Kein einziges der untersuchten Unternehmen unterschreitet die gesetzlichen Kapitalanforderungen – ein Signal für Stabilität und Verlässlichkeit in unsicheren Zeiten.
Wüstenrot & Württembergische trotzt Krisenjahr – starker Auftakt 2025 nährt Gewinnhoffnungen
Trotz massiver Unwetterschäden und steigender Kfz-Kosten hat die W&W-Gruppe 2024 mit einem Gewinn abgeschlossen – und startet 2025 mit starkem Neugeschäft optimistisch ins neue Jahr. Vorstandschef Junker sieht die Gruppe auf stabilem Kurs.