Der Pflegenotstand in Deutschland wird nach neuesten Hochrechnungen der BARMER brisanter als bisher angenommen. Bis zum Jahr 2030 sollen bei konservativen Annahmen mehr als 180.000 Pflegekräfte fehlen, auch weil es mit dann insgesamt rund sechs Millionen Pflegebedürftigen über eine Million Betroffene mehr geben wird als bisher angenommen.
Das geht aus dem aktuellen Pflegereport der BARMER hervor, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER:
„Die Politik muss zügig gegensteuern, andernfalls bleibt die Pflege eine Großbaustelle auf schwachem Fundament. Im Koalitionsvertrag stehen dazu einige richtungsweisende Vorhaben. Das begrüßen wir ausdrücklich! Nun muss rasch die Umsetzung angegangen werden."
Finanzielle Überforderung Pflegebedürftiger vermeiden
Allem voran müssten die Bundesländer endlich ihrer Pflicht nachkommen, die Investitionskosten für stationäre Pflegeeinrichtungen zu übernehmen. Dadurch würde bereits eine Entlastung bei den Eigenanteilen der Pflegebedürftigen erreicht werden. Denn bisher stellen die Pflegeheime dies in der Regel den Bewohnerinnen und Bewohnern in Rechnung. Um eine finanzielle Überforderung der Pflegebedürftigen zu vermeiden, sollten zudem die Leistungsbeträge der sozialen Pflegeversicherung einmalig angehoben und dann regelmäßig dynamisiert werden.
Die für den Jahreswechsel geplante Anhebung der Pflegesachleistungsbeträge sowie die Einführung eines Leistungszuschlages bei vollstationärer Pflege seien erste wichtige Schritte. Der ab dem kommenden Jahr vorgesehene jährliche Steuerzuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro solle im Gleichschritt mit den jährlichen Ausgaben der Pflegeversicherung ansteigen. Vorstandschef Staub dazu:
Die künftige Bundesregierung will die Pflegebedürftigen mittelfristig in Bezug auf die steigenden Eigenanteile in der stationären Pflege entlasten. Auch die Prüfung zur weiteren Senkung der Eigenanteile ist ein wichtiges Element.
Ausgaben für Pflege steigen auf 59 Milliarden Euro
Der Autor des BARMER-Pflegereports, Prof. Dr. Heinz Rothgang vom SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen, wies aufgrund der höheren Zahl an Pflegebedürftigen und des zunehmenden Personalbedarfs auf einen deutlich größeren Finanzbedarf hin. Dieser werde ohne weitere Leistungsverbesserungen, die gleichwohl nötig seien, von 49 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 59 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 steigen. Rothgang erläutert:
Neben den Herausforderungen bei der Finanzierung muss der Blick auch auf die Frage gerichtet werden, wer künftig die Pflegebedürftigen betreuen soll. Bereits heute fehlen tausende Pflegekräfte. Den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, muss ein zentrales Anliegen werden.
Den Reportergebnissen zufolge fehlten bis zum Jahr 2030 etwa 81.000 Pflegefachkräfte, 87.000 Pflegehilfskräfte mit und 14.000 Pflegehilfskräfte ohne Ausbildung. Dabei sei im stationären Bereich die vollständige Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens noch gar nicht berücksichtigt. Der Pflegeberuf müsse vor diesem Hintergrund deutlich attraktiver werden. Daher sei es richtig, geteilte Dienste abzuschaffen und den Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten einzuführen. Außerdem müsse mehr getan werden, um die Belastungen dieser enorm anstrengenden Arbeit abzufedern.
Eine Million Pflegebedürftige in Heimen
Wie aus dem BARMER-Pflegereport weiter hervorgeht, werden in weniger als zehn Jahren knapp drei Millionen Pflegebedürftige ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt und damit rund 630.000 mehr als im Jahr 2020. Zudem wird es insgesamt eine Million Menschen vollstationär und 1,17 Millionen durch ambulante Pflegedienste versorgte Menschen geben. Dies entspricht einem Anstieg um gut 200.000 Betroffene (+26 Prozent) in Pflegeheimen und 165.000 Personen, die ambulant versorgt werden (+16 Prozent). Barmer-Chef Straub warnt:
Angesichts der steigenden Zahl Pflegebedürftiger und der bereits heute großen Zahl an fehlenden Pflegekräften ist Deutschland auf dem besten Wege, in einen dramatischen Pflegenotstand zu geraten.
Um diesen abzuwenden, müsse die künftige Bundesregierung vor allem die Ausbildung attraktiver machen. Es müsse mehr Nachwuchs für die Pflege gewonnen werden, so Straub. Die Vereinheitlichung der Pflegeausbildung und der Wegfall des Schulgeldes durch das Pflegeberufegesetz seien hier wichtige Schritte gewesen.
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