Nichts leichter als das: Bestandsbewertung

Da nehme die Maklerin, der Makler ihre/seine geballte Faust vors Gesicht, hebe den Daumen und lasse diesen von links nach rechts springen – und schon ist der Wert des Bestandes festgestellt. Falls sie/er eine Probe möchte, so lasse sie/er ihn von rechts nach links zurückspringen – und siehe da, es kommt das Gleiche heraus, dann muss es ja richtig sein.

Eine Beitrag von Prof. Dr. Wilhelm Zeidler, Zeidler Consulting GmbH

Nun mag ja der Daumensprung ein albernes Beispiel einer Bestandswertermittlung sein, aber warum wird dieses Verfahren dann so häufig in seinen unterschiedlichen Abwandlungen angewendet?

Für die Bestandswertermittlung gibt es kein vorgeschriebenes oder allgemein anerkanntes oder von einer wirtschaftsberufsständischen Organisation – wie zum Beispiel dem IDW, Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. – empfohlenes Verfahren. So kann jeder, der sich dazu berufen fühlt, nach seinem Gusto einen Wert ermitteln oder schätzen oder „daumspringen“.

Zurzeit gibt es eine große Anzahl von Bestandsübergängen. Demzufolge schießen die Nachfolgeberater wie Champignons aus der Pferdekoppel nach einem warmen Regen.

Die Beratung wird mit unterschiedlicher Qualität durchgeführt. Darin liegt eine Gefahr für die Maklerin, den Makler, da es sich bei dem Verkauf ihres/seines Bestandes um die EINMALIGE Realisation der oft langjährigen, mühsamen und anstrengenden Tätigkeiten handelt, die auch noch häufig in die Planung der eigenen Altersversorgung aufgenommen ist.

Diese Einmaligkeit des „Versilberns“ des Ergebnisses des eigenen Berufslebens als Maklerin oder Makler fordert größte Behutsamkeit. Diese zeigt sich daran, dass man sich Zeit nimmt und eine fundierte betriebswirtschaftliche Unterstützung in der Wertermittlung und eine juristische Beratung sucht.

Die Wertermittlung: Ein Blick in die Glaskugel?

Gern genommen zur Wertermittlung werden Faktoren, die dann so lauten: „Leben mal Faktor X; Kranken mal Faktor Z; Kfz mal Faktor Y ….“ Woher die Faktoren kommen? Weiß keiner so genau. Warum die richtig sein sollen? Weiß keiner so genau. Oft werden dann Vergleiche mit anderen Verkäufen in der Nähe oder Ferne herangezogen. Gibt es diese Vergleiche und sind sie richtig erfasst? Weiß keiner so genau. Wissenschaftlich könnte ein Faktorsystem anhand aller oder sehr vieler Bestandsübergänge aufgebaut werden.

Gibt es aber nicht. Um eine Größenordnung des Bestandswertes als Näherungswert zu erhalten, können die Grundsätze zur Errichtung der Höhe des Ausgleichsanspruchs in der Welt der Ausschließlichkeitsvermittler  herangezogen werden. Es handelt sich um von den Interessenvertretern der Versicherer und der Einfirmenvermittler verabredete Grundsätze.

Diese können für einen Schnell-Check gut herangezogen werden. Aber dieser zeigt nicht den tatsächlichen Wert. Hier vorgeschlagen wird ein Verfahren, das zwei unterschiedliche Ansätze zusammenführt. Einmal eine finanzmathematische Berechnung, dann eine individuelle Chancen-Risiken-Analyse. Finanzmathematisch wird der „harte“ Wert ermittelt. Dazu bedarf es einiger Größen, die der Berater mit dem Maklerhaus ermitteln muss.

Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler, Geschäftsführer, Zeidler Consulting GmbH

Welche sind das? Einmal der Abriebfaktor. Er wird aus der Analyse der Vergangenheit gewonnen und sagt aus, mit wie viel Prozent der vor drei Jahren vor dem Bewertungszeitpunkt bestehende Courtagewert in den dann folgenden drei Jahren abgeschmolzen ist.

Kurz gesagt: Wie viel ist von der Courtage vom 01.01.2018 am 31.12.2020 noch übrig? Und das ohne Neugeschäft in den drei Jahren.

Zugegeben, das ist etwas nervig, da die Zahlen nicht aufbereitet oder sehr leicht abzulesen sind. Kriegt man aber hin. Dann der Courtagewert am Bewertungsstichtag.

Das kann jeder Tag sein, aber in der Regel ist es das Ende eines Wirtschaftsjahres des Maklerhauses. Wichtig ist, dass nur Courtagen in die Bewertung einfließen, die auch in der Zukunft gezahlt werden. Zum Beispiel Sachcourtagen.

Die Abschlusscourtage in der Lebensversicherung kann nicht mehr angesetzt werden. Diese wurde durch das Maklerhaus bereits vereinnahmt und auf irgendeine Art verwendet. Damit ist dieser Typus von Courtage für den Käufer zwar interessant, aber dafür zahlt er keinen Kaufpreis. Anders sieht es da mit der Folgecourtage in der Lebensversicherung aus.

Die werden auch in der Zukunft fällig oder können zumindest fällig werden. Auch Dynamiken in der Lebensversicherung sind einzubeziehen, und zwar in der durchschnittlichen Höhe der Inanspruchnahme durch die Kunden in der Vergangenheit und des durchschnittlichen Anpassungssatzes. Dann wird an die bereinigte Courtagehöhe am Bewertungsstichtag der Abzinsungsfaktor angelegt und die zu erwartenden Courtagen für die Folgejahre ermittelt.

Wie lang ist die Zukunftsbetrachtung?

Es kann betriebswirtschaftlich seriös nur ein mittlerer Planungshorizont angelegt werden. Das heißt drei bis vier Jahre. Jede längere Betrachtung unterliegt schwer kalkulierbaren Risiken. Die Courtagebeträge der zukünftigen, zum Beispiel vier, Jahre werden dann abgezinst zu einem Barwert zum Bewertungsstichtag. Dabei spielt der Abzinsungsfaktor eine gewisse Rolle. Hierfür sind die Zinssätze zu finden, die die aktuelle Situation am besten wiedergeben. Zum Beispiel zehnjährige Staatsanleihen, der Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung oder andere.

Hängt ein Maklerhaus von drei oder vier großen Kunden ab, die gemeinsam einen Courtageanteil von 45 Prozent haben, so ist von einem Malus auszugehen. Hat ein Maklerhaus eine intensive Zielgruppenorientierung – und ist diese Zielgruppe attraktiv – sowie einen guten Zugang zu dieser Zielgruppe, so spricht das für einen Bonus.

Damit wäre der „harte“ Wert bestimmt. Und wär’s das auch? Nein! Meines Erachtens wird ein großer Fehler dadurch gemacht, dass geglaubt wird, Bestände seien einfach vergleichbar, wenn nicht gar gleich. Nach dem Motto: 350.000 Euro Courtage, hauptsächlich Personenversicherungen, Privatkunden.

Das scheint zu kurz gesprungen, da jeder Bestand anders ist. Jeder Bestand hat eigene Chancen und Risiken. Und hier setzt eine qualitative Bewertung ein, die die Kriterien für Chancen und Risiken für DIESEN Bestand analysiert. Nach der Analyse werden Boni oder Mali vergeben in Prozent auf den „harten“ Wert. Für diese qualitative Betrachtung gibt es wiederum keine Verfahrensvorgaben oder Empfehlungen. Allein die Erfahrung des Bewertenden ist die Grundlage. Allerdings werden diese Kriterien in Gesprächen mit den Inhabern des Maklerhauses gemeinsam entwickelt und abgesprochen.

Als Beispiele können genannt werden: Hängt ein Maklerhaus von drei oder vier großen Kunden ab, die gemeinsam einen Courtageanteil von 45 Prozent haben, so ist von einem Malus auszugehen. Hat ein Maklerhaus eine intensive Zielgruppenorientierung
– und ist diese Zielgruppe attraktiv – sowie einen guten Zugang zu dieser Zielgruppe, so spricht das für einen Bonus.

Durch die Ermittlung des „weichen“ Wertes soll die Individualität des Bestandes, was ja die Handschrift der Maklerin, des Maklers bei der Akquisition und der Betreuung ist, herausgearbeitet werden.

Durch die beiden Werte ergibt sich der Bestwert, der für die Verkaufs-/Kaufverhandlungen die Basis darstellen soll. Jeder Preis darüber ergibt einen Goodwill, jeder darunter einen Badwill.

Das beschriebene Verfahren wird für die Bewertung empfohlen, da es einerseits eine „kalte“ Berechnung ist, die für alle gleich ist, die den „harten“ Wert bestimmt. Dieser Wert ist ein Ertragswert, das Verfahren also ein Ertragswertverfahren. Dann folgt der „weiche“ Wert, der die Individualität des Bestandes aufnimmt und an die Wertfindung weitergibt.

 

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